Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

„Der Wolf beißt fremdes Fleisch

„Der Wolf beißt fremdes Fleisch, das eigene leckt er.“ – Sprichwort aus Albanien

Hallo, Welt!

Dieses Sprichwort fiel mir vor ein paar Tagen in die Hände. Heute entspricht es genau meiner Gefühlslage. Unversehens habe ich statt Frieden einen alten Konflikt an der Backe, und ich muss mich dauernd dran erinnern, dass es ein sehr schönes Marshall-Zitat gibt, wo er sinngemäß sagt: Never put your butt in an angry persons face. Die wörtliche Übersetzung von butt ist (Gewehr-)Kolben, aber ich kenne es auch auch Hintern. Und es ist natürlich ein charmantes Wortspiel, denn es geht darum, dass es keinen Sinn hat, zu jemandem, der ärgerlich ist, zu sagen, ja, aber…

Ich merke, dass ich heute Abend ganz angeschlagen bin, versucht mich zu rechtfertigen oder Beweise zu erbringen, warum etwas aus meiner Sicht ganz anders war. Wenigstens habe ich es im ersten Anlauf geschafft zu sagen: Danke, das du mir das alles mitteilst, was dich geärgert hat… und jetzt ringe ich um die Haltung.

Ich weiß schon, dass GfK nicht eine Frage dessen ist, was ich zum anderen sage. es geht um die Haltung. Und meine Haltung heute Abend muss ich mir erst mal irgendwo mühsam zusammenklauben. Marshall beschreibt so schön, wie es uns geht mit den alten Ohren: Anger, Guilt, Depression… Ärger/Wut, Schuldgefühle, Depressionen, schließlich das Verblassen aller Wahlmöglichkeiten. So fühle ich mich heute auch.

Zum Glück gibt es die Giraffentankstelle, ein umfangreiches Telefonbuch, eine freie Leitung. Ich werde heute Abend Empathie tanken und dann hoffentlich bald in der Lage sein, mit dem Konflikt angemessen umzugehen. Ist Deine Absicht Verbindung? JA! Ich weiß nur noch nicht, wie ich das hinkriegen soll, weil ich so voll mit Urteilen und Verteidigungen bin…

Also werde ich ein bisschen mein eigenes Fleisch lecken und dann mal gucken, ob ich nicht Vegetarier werde…

So long!

Ysabelle

Die Haltung in der GfK

Auf der Suche nach ein bisschen Stärkung fand ich diesen Abschnitt auf schattenblick.org.

Die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation

Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Marshall B. Rosenberg ist mehr als eine Werkzeugkiste. Die Methoden, isoliert betrachtet, können missbräuchlich auch zu gewaltvollen Zwecken, wie dem Einreden von Schuldgefühlen oder emotionaler Erpressung eingesetzt werden.

Schwerpunkt der GFK ist deshalb die Haltung, in der die Kommunikation stattfindet. Die Methoden sind ein Weg, sich dieser Haltung übend anzunähern. Teil der Haltung ist es, sich ergebnisoffen im Prozess des Verbindungsaufbaus mit dem Gegenüber zu befinden, und nicht das Überstülpen einer Meinung.

Ein weiterer Teil ist der Abbau von Feindbildern, das empathische Zuhören ausgehend von der Annahme, dass alle Menschen die gleichen Grundbedürfnisse haben und stets so handeln, wie es ihnen aktuell als die beste Möglichkeit der eigenen Bedürfnisbefriedigung erscheint. Im Gegensatz zur heute üblichen, von komplizierten gesellschaftlichen Konventionen, missverständlichen Andeutungen und Unausgesprochenem durchsetzten Sprache ist GFK eine sehr direkte, einfache und klare Art des sich Verständigens.

Ohne den beiden Tieren Eigenschaften zuschreiben zu wollen, nennt Rosenberg zur Vereinfachung seiner Erklärungen Sprache nach GFK „Giraffensprache“ und im Gegensatz dazu gewaltvolle Sprache „Wolfssprache“. Wolfssprache zeichnet sich u.a. durch das Denken in Schuld und Unschuld, Richtig und Falsch, das Aufrechnen von Gefallen, (moralisches) Verurteilen, Bewerten und Leugnen von Verantwortung aus.

Eine Methode der Giraffensprache, die hilft, sich eine im Sinne der GFK veränderte Denkweise anzueignen, ist die der vier Schritte: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte. Diese Schritte können beispielsweise beim aktiven Zuhören, zur Kommunikation der eigenen Situation, zur Selbstklärung, beim Ausdruck von Wertschätzung oder auch beim Schreien in Situationen extrem unbefriedigter Bedürfnisse eingesetzt werden. Rosenberg ermutigt, sich mit der Übung nach und nach von dem schematischen Vorgehen zu lösen und die vier Schritte in den eigenen „Slang“ zu übersetzen.

Hohepriester der Gewaltfreien Kommunikation

„Sich um uns selbst zu kümmern, ist nicht so egoistisch, wie manche Menschen annehmen, aber es ist auch nicht so selbstlos, wie manche Co-Abhängige glauben.“ Melody Beattie

Wenn man manchen Menschen zuhört, könnte man zu dem Eindruck gelangen, es gäbe „richtige“ und „falsche“ GfK. Besonders schmerzhaft finde ich es, wenn GfKler sich untereinander mit solchen Etiketten belegen. „Das ist keine Empathie, was du da machst“ fällt genau so in diese Kategorie wie „also, ich kann deine Bedürfnisse nicht erkennen, du bist überhaupt nicht zu spüren“.

Ich erlebe die Gewaltfreie Kommunikation als ständige Einladung bei mir zu gucken: Wie geht es mir, was brauche ich? Wie geht es MIR, wenn ich den anderen nicht spüren kann? Was löst das bei MIR für Gefühle aus? Und wenn ich hier Klarheit gefunden habe, kommt der zweite, kostbare Schritt: Wie geht es Dir? Was brauchst Du?

Wann immer wir beim anderen diagnostizieren, dass er keine richtige GfK macht, ist offensichtlich bei uns selbst ein Bedürfnis im Mangel. Nehmen wir dieses Wolfsgeheul als Einladung, noch einmal genauer bei uns zu spüren, welche Bedürfnisse in uns lebendig sind. Was brauchen wir? Und wenn wir es herausgefunden haben, können wir fragen: Was braucht unser Gegenüber? Es geht nicht um Richtig oder Falsch: Es geht um Verbindung!

Heute will ich mich in schwierigen Situationen liebevoll fragen: Geht es mir gerade um die Verbindung?

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