Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Kurzurlaub

Hallo, Welt!

Ich habe mal ein paar Tage Urlaub gemacht. Ab Morgen geht es hier wieder intensiv los.

Irgendwelche besonderen Wünsche?

ich plane etwas über Nähe und über Oxitocin und über markierende Kater.
Zum Neugierig machen hier ein Zitat aus einem Interview, das im aktuellen Stern-Gesundheitsheft steht:

Sex baut auch bei Frauen Stress ab, nur hat sie auch bei mäßigem Stress erst mal keine Lust darauf. Denn der weibliche Organismus produziert nur sehr geringe Mengen Testosteron, die keine Wirkung auf das Stresshormon Cortisol haben. Um dieses abzubauen, ist bei ihr ein anderes Hormon zuständig: das Oxytocin. Und dessen Konzentration steigt in ganz anderen Situationen an: beim Kuscheln, beim Reden, beim Bad im Kerzenschein.

Das ist doch eine spannende Mischung, oder?

So long!

Ysabelle

Annehmen was ist

„Bei Trübsal ist Gleichmut die beste Würze.“
Plautus, Das Schiffstau, 402 / Trachalio

Dieser Tage hatten zahlreiche Menschen in meinem Leben Geburtstag. Die eine fühlte sich zu schwach, um eine Feier auszurichten. Doch ohne ihr Zutun kamen Menschen zu Besuch und sie verbrachte, verteilt über mehrere Tage, einen anregenden und liebevollen Geburtstag.
Eine andere Person hatte sich entschlossen, zu einem Fest einzuladen und schwärmte im Nachhinein: Hättest du dabei sein können, du hättest dich rundum wohl gefühlt.
Eine dritte Person war in gedrückter Stimmung und voller Schmerz. Menschen, die ihm wichtig waren, würden nicht da sein, im Rückblick auf die vergangenen Jahre schien das Leben voller Mühsal und Verzweiflung.
Es lässt mich nicht kalt zu sehen, wie jemand, der mir nahe steht, so im Schmerz ist. Und heute Nacht gab Marshall mir eine Antwort, wie ich solche Situationen für mich einschätzen kann.
Ich habe es mir angewöhnt, zum Einschlafen Marshalls CD „Nonviolent communication“ zu starten. Irgendwann döse ich dann weg und es fühlt sich an, als lese mir ein lieber Mensch eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Gestern Nacht sprach Marshall zum Thema „Connecting empathetically“, so steht es auf dem CD-Label. Eigentlich handelt sein Exkurs davon, andere zu unterbrechen, wenn man nur ein Wort mehr gehört hat als man hören mag. Und er beschreibt, wie man „Auntie“ unterbrechen kann, die 20 Jahre nach dem Scheitern ihrer Ehe noch immer über den bösen Ex-Mann klagt: Ist dein Bedürfnis nach Fairness nicht erfüllt?
Manchmal verstellt uns der Schmerz aus der Vergangenheit den Blick auf das Heute. Unser Leben scheint trüb, es ist, als trügen wir wie beim Zauberer OZ eine Brille, die unsere Sicht auf die Dinge – diesmal jedoch in einem gleichmäßigen Grau – erscheinen lässt.
Wir können diese Brille abnehmen, indem wir annehmen, was ist.
Wenn wir bereit sind zu erkennen, welche unerfüllten Bedürfnisse aus der Vergangenheit uns noch heute festhalten, können wir dafür Sorge tragen, dass unsere Bedürfnisse im Hier und Jetzt erfüllt werden. Der amerikanische Lebensberater und Autor Dale Carnegie („Sorge dich nicht, lebe!“) schrieb dazu: Heul nicht über verschüttete Milch!
Die Worte klingen harsch, und doch können sie einen Segen für uns beinhalten. Die Milch ist fort, im Ausguss, nicht mehr zu verwenden. Doch wir können es nicht ändern. Der einzige Tag, den wir gestalten können, ist der heutige. Wir können heute die Empathie finden, die wir brauchen, wir können heute tatkräftig Dinge verändern, die uns stören, wir können heute feiern, trauern, bedauern, Wiedergutmachung leisten, Dinge anders machen. Die Vergangenheit ist vorbei, wir können sie nicht ändern. Den heutigen Tag aber können wir so begehen, dass wir uns gern an ihn erinnern.

Heute ist die einzige Zeit die zählt.

Es ist, wie es ist…

Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Erich Fried

Die Erben von Erich Fried sollen sehr eigen sein, was die Verwendung von Frieds Gedichten angeht. Ich hoffe, es gibt keinen Ärger, wenn ich hier darauf Bezug nehme.

In den vergangenen Tagen habe ich zwei Texte eingestellt, die ich schon länger kenne, und die mich im Moment beschäftigen. Zum einen ist es die Geschichte Wer weiß, wozu es gut ist… und zum anderen die Geschichte Gott fügt alles wunderbar und in gewisser Weise haben beide Geschichten den gleichen Inhalt. Ich kann heute zu einer Einschätzung kommen, die unter einem anderen Blickwinkel ganz anders aussieht. Der König, der sich den Finger abschneidet, der Sohn des alten Mannes, der vom Pferd fällt – beides sieht auf ersten Blick aus wie ein Unglück. Im Nachhinein erweist es sich als glückliche Fügung, dass es genau so gekommen ist. Ich kann aus beiden Geschichten die gleiche Lehre ziehen. Es ist, was es ist. Es ist weder gut noch schlecht. Es reicht völlig, wenn ich auf die Tatsachen schaue und überlege, wie ich damit verfahren kann. Der alte Bauer macht die Feldarbeit allein, der Minister des Königs geht fort… Es reicht vollkommen aus, wenn wir mit diesen Situationen umgehen. Ich muss keine tiefere Bedeutung hineinlegen, ich muss mich nicht als Opfer oder Glückskind sehen. Es reicht einfach zu akzeptieren, dass es ist wie es ist.

Heute bin ich bereit, die Realität anzunehmen, ohne daraus eine Bewertung abzuleiten.

Gott fügt alles wunderbar

Ein König hatte einen Minister, der bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit sagte: „Gott fügt alles wunderbar.“ Nach einiger Zeit hatte der König diesen Satz so oft gehört, daß er ihn nicht mehr ertragen konnte.

Die beiden sind auf der Jagd. Der König schießt einen Hirsch. Minister und König sind hungrig, machen Feuer, grillen den Hirsch, der König beginnt zu essen und schneidet sich in seiner Gier einen Finger ab. Der Minister sagt auch dieses mal: „Gott fügt alles wunderbar.“ Jetzt reicht es dem König. Wütend entläßt er den Minister aus seinen Diensten und befiehlt ihm, sich fortzuscheren. Er wollte ihn nie wiedersehen.

Der Minister geht. Der König, vom Hirschbraten gesättigt, schläft ein. Wilde Räuber, Anhänger der Göttin Kali, überfallen und fesseln ihn, wollen ihn ihrer Göttin opfern und – verspeisen. Im letzten Moment bemerkt einer der Kalianhänger den fehlenden Finger. Die Räuber beratschlagen sich und befinden: „Dieser Mann ist unvollkommen. Ihm fehlt ein Körperteil. Unserer Göttin darf nur Vollkommenes geopfert werden.“ Sie lassen ihn laufen.

Der König erinnert sich an die Worte des Ministers: „Gott fügt alles wunderbar“ und begreift: Genau so ist es. Auch in diesem Fall. Er fühlte sich schuldig, weil er den Minister verbannt hat, und läßt ihn suchen. Nach langer Zeit wird er gefunden. Der König entschuldigt sich und bittet ihn, wieder in seine Dienste zu treten. Der Minister entgegnete: „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich bin dankbar, daß du mich fortgeschickt hast. Mich hätten die Räuber geopfert. Mir fehlt kein Finger. Gott fügt alles wunderbar.“

Wer weiß, wozu…

Ein alter Mann lebte zusammen mit seinem einzigen Sohn auf einer kleinen Farm. Sie besaßen nur ein Pferd, mit dem sie die Felder bestellen konnten und kamen gerade so über die Runden.

Eines Tages lief das Pferd davon. Die Leute im Dorf kamen zu dem alten Mann und riefen „Oh, was für ein schreckliches Unglück!“ Der alte Mann erwiderte aber mit ruhiger Stimme: „Wer weiß…, wer weiß schon, wozu es gut ist?“

Eine Woche später kam das Pferd zurück und führte eine ganze Herde wunderschöner Wildpferde mit auf die Koppel. Wieder kamen die Leute aus dem Dorf: „Was für ein unglaubliches Glück!“ Doch der alte Mann sagte wieder: „Wer weiß…, wer weiß schon, wozu es gut ist?“

In der nächsten Woche machte sich der Sohn daran, eines der wilden Pferde einzureiten. Er wurde aber abgeworfen und brach sich ein Bein. Nun musste der alte Mann die Feldarbeit allein bewältigen. Und die Leute aus dem Dorf sagten zu ihm: „Was für ein schlimmes Unglück!“ Die Antwort des alten Mannes war wieder: „Wer weiß…, wer weiß schon, wozu es gut ist?“

In den nächsten Tagen brach ein Krieg mit dem Nachbarland aus. Die Soldaten der Armee kamen in das Dorf, um alle kriegsfähigen Männer einzuziehen. Alle jungen Männer des Dorfes mussten an die Front und viele von ihnen starben. Der Sohn des alten Mannes aber konnte mit seinem gebrochenen Bein zu Hause bleiben.

„Wer weiß…, wer weiß, wozu es gut ist?“

Verfasser unbekannt, gefunden in:  „Way of the Peaceful
Warrior“  von Dan Millman,dt:  Der Pfad des friedvollen Kriegers

Drum prüfe, wer sich ewig bindet…

Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet.“
Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke
„Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht etwas bessres findet.“
Verballhornung von Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke

Gerade an diesem Wochenende hatten wir eine Märchenhochzeit in Schweden. Kronprinzessin Victoria heiratete ihren früheren Fitnesstrainer Daniel Westing. Es war beiden anzusehen, dass sie sich von Herzen zugetan sind, doch darum soll es heute nicht gehen. Heute möchte ich einen Blick auf die oben zitierte Verballhornung des Schiller-Zitats werfen: Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht etwas bessres findet.
Was ist etwas Besseres? Um etwas Besseres zu finden, muss ich vergleichen. Und dann komme ich zu solchen Ergebnissen wie „der Mann verdient mehr“, und „die Frau sieht besser aus“. Wenn wir nach diesen Standards gehen, sind wir auf dem besten Weg, an unserem eigenen Unglück ein paar Henkel anzuschweißen.
Marshall erläutert nicht ohne Grund immer wieder, dass sich mit anderen zu vergleichen eine der einfachsten und prächtigsten Möglichkeiten ist, sich wirklich elend zu fühlen. Dabei geht es darum, was ich nicht habe, wohl aber aber andere:
Welche Qualitäten Mozart im Alter von acht Jahren aufzuweisen hatte im Gegensatz zu mir, zum Beispiel. Ich kann nicht mal Klavier spielen.
Es gibt mit Sicherheit Nobelpreisträger, die jünger sind als ich, und Ex-Top-Models, die besser aussehen als das, was ich morgens im Spiegel sehe.
Eine unserer Kernfragen lautet also:
Bin ich gut genug?
Und ich antworte mit einer Gegenfrage: Wofür?
Wer setzt die Maßstäbe dafür, ob es zum Beispiel „etwas Besseres“ als mich gibt? Wie ist jemand, der „besser“ ist als ich? In welchen Wettbewerb soll ich da eintreten? Wie viele Disziplinen werden ausgetragen? Kochen, Putzen, Stricken, Blogeinträge verfassen, Auto waschen, Bücher schnell lesen?
Das kriege ich alles hin. Französisch sprechen, Fußball spielen, Gehirnoperationen vornehmen, einen HTML-Code für saubere Blog-Ränder erkennen, Crepes auf der heißen Platte wenden, einen Wasserrohrbruch reparieren, einen Fahrradreifen wechseln – Fehlanzeige. Bin ich deshalb ein schadhaftes Modell? Bin ich deshalb ungenügend? Brauche ich ein Selbstverbesserungsprogramm, um Maßstäben gerecht zu werden, die ich nicht einmal kenne? Überprüfe ich mich selbst an dem Qualitätsprogramm, das mir unsere Kultur eingebaut hat? Die Träume meiner Eltern? Kind, aus dir soll mal etwas Besseres werden?
Was brauche ich wirklich?

Ich glaube heute, zuerst brauche ich wirklich Selbstliebe.
Wenn ich mich selbst liebe, muss ich keine Angst mehr haben, die Liebe eines anderen zu verlieren, weil ich nicht gut genug bin, weil er etwas Besseres findet. Vielleicht findet er oder sie einen anderen Menschen, mit dem er (oder sie) mehr von seinen (oder ihren) Bedürfnissen erfüllen kann. Aber das sagt nichts über meine Qualitäten aus. So wie ich bin, bin ich richtig und liebenswert.

Heute will ich mein Herz für mich selbst entdecken und festhalten.

Kostenlose Umarmungen

Hallo, Welt,
Markus hatte ja weiter unten schon auf dieses Video aufmerksam gemacht, hier also eine Einbettung.

Vor ein paar Jahren habe ich das erste Mal von dieser Aktion gehört. Rübenigel, eine GfKlerin aus Hannover, hatte damals eine Free-Hug-Aktion in Hannover mit gestaltet und davon auch Bilder ins Netz gestellt. Die Aktion zieht mich sehr an, weil ich oft das Bedürfnis habe, einfach mal in den Arm genommen zu werden. Mal loslassen, verschnaufen, durchatmen, Wärme und Zuwendung spüren…
Mal sehen, wie ich in den kommenden Tagen an ein paar kostenlose Umarmungen komme.

So long,

Ysabelle

Selbstabwertung und die Folgen

„Wer verstehen will, der muss zuhören können.“
Erhard H. Bellermann, Schmetterlinge im Kopf, Engelsdorfer Verlag, Ausgabe 2006.

Gestern war ich aus beruflichen Gründen mit zwei Frauen unterwegs. Und wieder einmal erstaunte mich zu hören, wie viele von uns mit sich selbst oder über sich selbst reden. „Mein Mann sieht ja gern Dokumentationen im Fernsehen, aber ich bin dafür zu blöd“ oder „wenn ich nicht immer so viel in mich reinstopfen würde, wäre ich auch nicht so fett!“ Andere Menschen aus meinem Umfeld werten sich heute ab, weil sie vor 40 Jahren (!) eine schlechte Note im Abitur eingefahren haben, und wieder jemand anderes bezeichnet sich selbst als unfähig, faul oder schlampig. Gestern dachte ich bei mir, wenn ich für jede dieser Selbstabwertungen in meinem Umfeld einen Euro kriegen würde, bräuchte ich nicht mehr arbeiten zu gehen.
Das erste Mal las ich über diese Selbstabwertungen und die Folgen vor 15 Jahren bei Luise Hay. Sie schlug vor, tagsüber einen Kassettenrekorder mitlaufen zu lassen und sich einmal selber zuzuhören. Damals dachte ich, Hey, eine coole Idee, und habe es nicht gemacht. Inzwischen gelingt es mir recht gut, freundlich mit mir zu sprechen oder zumindest wahrzunehmen, wenn ich das nicht tue. Und dann kann ich diesen Kritiker, diesen eingebauten Erzieher, diesen unzufriedenen Nörgler willkommen heißen. Ich stoße ihn nicht aus, ich schicke ihn nicht weg. Wie in einer Konferenz oder einem Stuhlkreis lade ich ihn ein Platz zu nehmen und seine Ansichten zu vertreten. Er meint es gut mit mir, auch wenn es sich nicht so anhört. Wenn ich seine Bedürfnisse wahrnehme und mit einbeziehe, stehen die Chancen gut, dass ich in Frieden leben kann. Und wenn er sagt, „du bist zu fett“, frage Ich ihn, „bist du besorgt um meine Gesundheit, oder bist du beunruhigt, ob ich mit 20 Kilo Übergewicht noch als attraktiv angesehen werde?“
Der Anteil antwortet mir verlässlich, und oft bin ich dann ganz gerührt, wenn mir klar wird, wie viel Sorge, ja Fürsorge hinter solchen bissigen Bemerkungen steckt. Es braucht nur ein bisschen Übersetzungsarbeit, um mir diesen Schatz zugänglich zu machen.

Heute will ich mich daran freuen, dass es in mir Stimmen gibt, die mein Bestes wollen. Ich werde ihre Worte so übersetzen, dass ich die Schönheit ihrer Botschaft auch feiern kann.

Free Hugs

Hallo Leute!

Ich habe grade auf  Sein.de ein wunderschönes Video gefunden, dass ich gerne mit euch teilen möchte!

Wärend ich es sehe kommen mir die Tränen, obwohl es eigentlich ein sehr schlichtes Video ist, aber es spricht meine Sehnsucht nach Geborgenheit und einer besseren Welt an…wie mit einer einfachen kleinen Geste schon so viel erreicht werden kann!

PS: Leider klappt es mit dem einbinden nicht so wie ich möchte, deswegen klickt einfach das Video oder die Seite an.



Markus

Von Tätern und Opfern

„Täter haben meistens eine längere Lebenserwartung als Opfer und es macht mehr Spaß, Täter als Opfer zu sein.“
Henryk M. Broder, Jüdische Allgemeine, 17. März 2005, S. 3, Freispruch für Israel (Artikel zum gleichnamigen Buch von Alan Derschowitz)

In den vergangenen Tagen stolperte ich immer wieder über das Thema „Opfer sein, zum Opfer gemacht werden“. Mir ist unbehaglich dabei. Opfer sein macht uns klein und hilflos, wir sind einer Macht, größer als wir selbst, ausgeliefert, und diese Macht will uns nichts Gutes.

Ich will und werde – trotz des Zitats von Henryk M. Broder – keine Diskussion über Völkermord und Massenvernichtung anfangen. Mein Verstand ist zu klein, um zu erfassen, was im Dritten Reich passiert ist und was noch heute in vielen Ländern der Erde passiert. Ich möchte stattdessen über meine eigene Opferhaltung nachdenken und in welcher Weise ich diese Haltung auch bei anderen Menschen wieder erkenne.

Ich arbeite seit vielen Jahren in der gleichen Firma. Wie in vielen anderen Unternehmen ist auch hier in den vergangenen Jahren umstrukturiert und rationalisiert worden. Und lange lebte ich in der Opferhaltung. Oh, mein Arbeitsplatz ist nicht sicher… Wer weiß, wann sie mich kündigen… Mein Leben ist nicht planbar, ich habe Angst…

Mein Leben ist seither nicht einen Deut sicherer geworden, noch immer werden jedes Quartal Menschen entlassen. Aber meine Einstellung hat sich geändert und seither habe ich eine Menge Probleme weniger. Es fühlt sich an, als hätte ich Vertrauen zum Leben gefunden. Gelegentlich überfällt mich noch immer die Angst, aber ich habe inzwischen Werkzeuge gefunden, um leichter damit umzugehen.
Aussagen wie „ich werde gemobbt“ oder „der versucht mich zu manipulieren“ oder „ich werde ausgegrenzt“ oder „die haben mich im Stich gelassen“ sind Anzeichen dafür, dass wir uns als Opfer sehen. Wir erleben uns als hilflos, ohnmächtig, verzweifelt, orientierungslos, angstvoll oder bewegungsunfähig. All diese Gedanken haben eines gemeinsam: es gibt Gute und Schlechte, und die anderen sind die Schlechten, denn sie tun oder unterlassen etwas, was bei uns großen Schmerz auslöst.

Ich erlebe es als kühnen Schritt von mir selbst, mich aus diesem Opferdenken zu verabschieden. Ich stelle mir vor, ich hätte zunächst nur einen Ausschnitt eines riesigen Gemäldes gesehen. In meinem Fokus war der Teil zu sehen, auf dem ich vermeintlich zum Opfer gemacht wurde. Doch nun ändert sich die Perspektive. Ich stehe keineswegs im Mittelpunkt von Mobbing, Aussortieren, Ablehnung und Ausgrenzung. Vielmehr kann ich erkennen, dass all meine „Mitspieler“ auf dem großen Gemälde mit sich beschäftigt sind. Sie haben ihre eigenen Bedürfnisse und ihre eigenen Strategien, um sie sich zu erfüllen. Es kann schon sein, dass ich irgendwann vom Rand kippe. Aber dann nicht deshalb, weil mich jemand auf dem Kieker hat, weil ich jemandem oder einer Welle zum Opfer falle, sondern weil Dinge so sind, wie sie sind. Was für eine himmlische Freiheit sich mir durch die neue Blickrichtung eröffnet! Ich bin kein Opfer mehr. Und ich muss mein Gegenüber nicht mehr als Täter entmenschlichen, sondern darf ihn mit all seinen wundervollen Bedürfnissen wahrnehmen.

Heute öffne ich meinen Blick für die Freiheit, die mir zuteil wird, wenn ich die Opferrolle hinter mir lasse.

Linke Menschen, rechte Menschen

Menschen

Ich gehe auf der Straße,
und ich sehe keine linken Menschen,
ich sehe keine rechten Menschen.
sondern nur: Menschen.

Ich dränge mich im Berufsverkehr
in Bus und Bahn und Zug,
und ich sehe keine linken Menschen,
ich sehe keine rechten Menschen,
sondern nur: Menschen.
Menschen, die es eilig haben.

Ich gehe ins Krankenhaus,
und ich sehe keine linken Menschen,
ich sehe keine rechten Menschen,
sondern nur: Menschen.
Kranke Menschen, die Schmerzen haben.

Warum die Menschen einteilen?
Warum ihnen ein Etikett ankleben?
Warum sie mit Farbe anstreichen?
Warum die Menschen einteilen
in gute und böse,
in gelbe und rote,
in linke und rechte Menschen?

Warum?

(aus Phil Bosmans: Worte zum Menschsein)

Dieses Gedicht fand ich auf der Seite von Jürgen Eckel, der im vorigen Jahr überraschend verstorben ist. Jürgen hat auf seiner Seite verschiedene Tages- und sonstige Meditationen eingestellt und auch einige Texte zusammen getragen, die mir schon oft Freude gemacht haben. Ein A-Freund pflegt die Seite weiter, nachdem sie drei Monate aus dem Internet verschwunden war. Ich finde, dieses Gedicht passt hervorragend zur GfK.

Y.

Schland…

So können wir auch feiern. Das macht doch Spaß, oder? Diese Version gefällt mir besser als der Siegertitel von Lena Meyer-Landruth.

Hier ein Kommentar aus dem Hamburger Abendblatt:

Kommentar
Zeugnis des Scheiterns
Von Matthias Iken 15. Juni 2010, 05:42 Uhr

Von der Plattenindustrie kann man lernen, wie man stillos verarmt. Die Entwicklung des Internets und des MP3-Dateiformats hat die Branche in eine tiefe Krise gestürzt. Binnen zehn Jahren sank die Zahl der verkauften CDs in Deutschland von 210 auf 147 Millionen. Es dauerte Jahre, bis die Manager erkannten, dass Musiktauschbörsen im Netz juristisch kaum beizukommen ist. Und die erste Firma, die bewies, dass Nutzer im Netz zu zahlen bereit sind, war keiner der vier großen Musikverlage – sondern der Computerkonzern Apple. Das Internetzeitalter ist für die Musikindustrie ein Zeitalter des Scheiterns.

Und offenbar hat die Branche noch immer nicht begriffen, wie das Geschäft im Netz funktionieren kann. Zwar hat EMI mit dem harmlosen Stückchen „Satellite“ von Lena einen Erfolg gelandet. Doch seit diesem Coup sind die Hamburger Musikmanager ängstlich bemüht, alles verbieten zu lassen, was den maximalen Ertrag minimieren könnte.

In dieser Angst hat EMI nun auch noch ihre Juristen gegen eine Münsteraner Studentengruppe namens Uwu Lena losgeschickt. Die hatte Ungeheuerliches gewagt – in einer Spaßaktion den Lena-Song zur WM umgedichtet und zu „Schland O Schland“ aufgewertet. Binnen Stunden registrierte YouTube 500 000 Klicks. Weil die nicht genehmigte Coverversion das Urheberrecht verletzte, wurde der Song von den Webseiten entfernt.

Was juristisch richtig ist, bleibt wirtschaftlich töricht: Vermutlich wären die Musikmanager besser beraten gewesen, die Münsteraner kurzerhand unter Vertrag zu nehmen – und den Song für 99 Cent unters fußballvernarrte Volk zu streuen.

Inzwischen hat die Plattenfirma die Jungs unter Vertrag genommen, nächste Woche kommt die Scheibe raus.

Y.

Leben mit XXL

Jetzt ist Sommer, egal ob man schwitzt oder friert,
Sommer ist, was in deinem Kopf passiert,
es ist Sommer, ich hab das klar gemacht,
Sommer ist, wenn man trotzdem lacht.

Aus einem Song von den Wise Guys

Dieser Tage wurde ich Zeuge einer Diskussion, die mich zunächst ratlos machte. Es ging um einen Artikel in einer Frauenzeitschrift, in dem es sinngemäß hieß: Tolle Mode in XXL.
Ein großer Mann fand diese Zeile unerträglich. „Da ist von oben herab und heißt im Grunde nichts anderes als ,auch für solche Fettsäcke wie dich gibt e noch Klamotten zu kaufen‘.“

Ich schloß die Augen und hörte dem Mann zu. Die Worte verblassten in ihrer Wirkung, aber die Gefühle und Bedürfnisse wurden klarer. Der Mann spürte Schmerz, er war aufgewühlt, betroffen, bitter, geladen, sauer, streitlustig. Ich vermute, seine Bedürfnisse nach Respekt und Selbstvertrauen waren in diesem Moment im Mangel, die Gewissheit, so wie ich bin, bin ich in Ordnung.

„Wahrscheinlich reagiere
ich so intensiv, weil ich selbst damit ein Thema habe“, sagte der Mann schließlich.

Wie geht es mir, wenn ich so einen Vorgang beobachte? Ich bin irritiert, ich habe einen Impuls zu argumentieren, ich möchte darauf hinweisen, dass XXL eine Kleidergröße ist und sonst nichts, und dass die Konnotation, der Beigeschmack, in unseren Köpfen geschieht.
Was für ein Bild entsteht bei mir bei dem Begriff XXL? In mir entstehen Gedanken an einen großen starken Mann, an den ich mich ankuscheln kann. Eine Freundin, mit der ich darüber sprach, sagte, man muss doch das Kind beim Namen nennen. Hier steht doch nicht „moppelig“ oder „fett“. Ich habe selber Kleidergröße 48, natürlich trage ich XXL!

Zurück zu den Wurzeln. Was ist die Beobachtung? Da steht etwas von Kleidergröße XXL. Das ist die Bezeichnung einer Konfektionsgröße. Was in meinem Kopf dazu passiert, ist beeinflusst durch Erziehung, Kultur, persönlichen Geschmack…
Ich habe die Wahl, was ich höre. Höre ich auf dem Kritikohr, dass dem Mann die Überschrift nicht gefällt, bin ich in der Welt von Richtig oder Falsch. Oder bin ich bereit zu hören: ich spüre einen großen Schmerz, weil bei mir ein wichtiges Bedürfnis nicht erfüllt ist!

Heute bin ich bereit, hinter einer Kritik auf die unerfüllten Bedürfnisse zu hören.

Wortschätzchen: Provoziert

„Der Duft, der Frauen provoziert.“ –

Werbespruch, Axe

Diesem Wort nähere ich mich nur ganz vorsichtig. Es weckt in mir allerlei Assoziationen, und die sind keineswegs sexy, wie der Werbespruch für Axe vielleicht noch vermuten lässt.

Als ich ein Kind war, war „provozieren“ gleichzusetzen mit Prügel. Du hast mich provoziert, hieß es. In meiner Familie konnte man das noch steigern: du hast ja um Schläge gebettelt.
Allein bei der Erinnerung daran überfällt mich tiefe Verzweiflung. Gibt es unter Euch jemanden, der glaubt, ein Kind MÖCHTE geschlagen werden?
Am Samstag habe ich bei der Arbeit mit einem fünfjährigen Jungen zu tun gehabt. Ich war gerade dabei, das Essen für zehn Personen zuzubereiten und hatte schon die Nudeln im Topf, also Endspurt. Der Tisch war gedeckt und die Süßigkeiten weggeräumt. Doch der Kleine fand die Schale mit den Naschies und griff zu. Ich sagte, guck mal, das Essen ist gleich fertig, und deshalb möchte ich nicht, dass Du jetzt noch naschst. Dann hast Du ja gleich keinen Hunger! Er langte wieder in die Schale und sagte, ich will sowieso nicht Mittag essen.

Es verschlug mir echt die Sprache. Ich fühlte mich hilflos und frustriert, ich war ärgerlich und fassungslos. In mir stiegen Erinnerungen auf, wie ich diese Art von Diskussion mit meinem Sohn geführt habe, als er klein war, und ich war voller Scham, dass mir in diesem Moment mein GfK-Werkzeug nicht zur Verfügung stand. Und ich hatte tiefste Hochachtung für Eltern, die sich in einer solchen Situation mit dem Bedürfnis des Kindes verbinden können. Als ich Kind war, gab es für eine solche Antwort gleich eine Ohrfeige oder einen Katzenkopf: das hast du provoziert.

Wenn ich glaube, ich sei provoziert worden, liegt die Verantwortung für mein Handeln nicht mehr bei mir. Du bist Schuld. Du hast etwas gemacht, das mich meines freien Willens beraubte, dass ich nur noch eine einzige Möglichkeit gesehen habe, mich abzugrenzen, meine Interessen zu wahren. Damit bist Du dann auch dafür verantwortlich, was ich fühle und wie ich damit umgehe.

Ich habe schon zu oft erlebt, wie jemand handelt, der glaubt, provoziert worden zu sein. Prügeln, Brüllen, Bilder von der Wand dreschen, eine Beziehung beenden, Dinge zerschlagen. Wenn ich das erlebe, wird mir eiskalt ums Herz, ich habe Angst, ich traue mich nicht, mich zu bewegen, etwas zu sagen. Ich bewege mich wie auf rohen Eiern. Ich hantiere mit einer scharfen Handgranate und ein „falscher“ Blick lässt sie hochgehen…

Welche Gefühle werden lebendig, wenn der Gedanke kommt, man werde provoziert?
Alarmiert
Aufgeregt
Betroffen
Durcheinander
Einsam
Empört
Geladen
Hasserfüllt
Hilflos
Ohnmächtig
Schockiert
Streitlustig
Überwältigt
Ungeduldig
Zornig

Besonders beim Gefühl „einsam“ ging ich in Resonanz, das rührte mich ganz tief an. Meine Vermutung, welche Bedürfnisse in mir unerfüllt sind, wenn ich denke, ich würde provoziert, beginne ich deshalb mit
Verbindung
Gesehen/gehört werden
Respekt
Verstehen
Leichtigkeit

In der Hamburger S-Bahn-Station Jungfernstieg hat ein 16-Jähriger einen 19-Jährigen erstochen, weil dieser zu ihm gesagt hatte, was ist los, Alter? Der 16-Jährige sagte, er habe sich provoziert gefühlt.
Was mag er gefühlt haben?
Was mag meine Mutter gefühlt haben, wenn sie mich schlug?
Was habe ich gefühlt, wenn ich meinen Sohn geschlagen habe?
Verzweiflung und Ohnmacht. So war das bei mir. Hilflosigkeit, Wut.
Und es war verbunden mit der Gewissheit: ich bin richtig, und du bist falsch.
Und wenn ich mein Richtig nicht durchsetzen kann, dann knallt es. Dann bist DU schuld, denn Du hast mich provoziert. Auch wenn es ein fünfjähriger Junge ist, der in einer fremden Atmosphäre nicht einfach essen will, was die fremde Frau kocht. Der vielleicht Sicherheit braucht und Einbezogen sein, der sich wünscht, dass seine Bedürfnisse genau so zählen wie die der anderen.

Was kann ich tun, wenn in meinem Gehirn nur hämmert: Provokation! Der will mich vorführen! Ich werde gemobbt!

Mir fällt nur die Giraffenhotline ein. Irgendjemanden anrufen, der mir einfühlsam zuhört und mir Empathie gibt. Und der mich auf dem Weg begleitet, bei mir zu bleiben, statt außer mir zu sein.

Mögt Ihr die Überlegungen ergänzen?

Provoziert – das macht mir Höllenangst.

Am Konferenztisch bei BP

Hallo, Welt,

ich weiß nicht, ob das klappt mit dem Einbetten, aber dieses Filmchen wurde mir gerade zugespielt und ich – habe gelacht.

Ysabelle

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