Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Es ist, wie es ist…

Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Erich Fried

Die Erben von Erich Fried sollen sehr eigen sein, was die Verwendung von Frieds Gedichten angeht. Ich hoffe, es gibt keinen Ärger, wenn ich hier darauf Bezug nehme.

In den vergangenen Tagen habe ich zwei Texte eingestellt, die ich schon länger kenne, und die mich im Moment beschäftigen. Zum einen ist es die Geschichte Wer weiß, wozu es gut ist… und zum anderen die Geschichte Gott fügt alles wunderbar und in gewisser Weise haben beide Geschichten den gleichen Inhalt. Ich kann heute zu einer Einschätzung kommen, die unter einem anderen Blickwinkel ganz anders aussieht. Der König, der sich den Finger abschneidet, der Sohn des alten Mannes, der vom Pferd fällt – beides sieht auf ersten Blick aus wie ein Unglück. Im Nachhinein erweist es sich als glückliche Fügung, dass es genau so gekommen ist. Ich kann aus beiden Geschichten die gleiche Lehre ziehen. Es ist, was es ist. Es ist weder gut noch schlecht. Es reicht völlig, wenn ich auf die Tatsachen schaue und überlege, wie ich damit verfahren kann. Der alte Bauer macht die Feldarbeit allein, der Minister des Königs geht fort… Es reicht vollkommen aus, wenn wir mit diesen Situationen umgehen. Ich muss keine tiefere Bedeutung hineinlegen, ich muss mich nicht als Opfer oder Glückskind sehen. Es reicht einfach zu akzeptieren, dass es ist wie es ist.

Heute bin ich bereit, die Realität anzunehmen, ohne daraus eine Bewertung abzuleiten.

Gott fügt alles wunderbar

Ein König hatte einen Minister, der bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit sagte: „Gott fügt alles wunderbar.“ Nach einiger Zeit hatte der König diesen Satz so oft gehört, daß er ihn nicht mehr ertragen konnte.

Die beiden sind auf der Jagd. Der König schießt einen Hirsch. Minister und König sind hungrig, machen Feuer, grillen den Hirsch, der König beginnt zu essen und schneidet sich in seiner Gier einen Finger ab. Der Minister sagt auch dieses mal: „Gott fügt alles wunderbar.“ Jetzt reicht es dem König. Wütend entläßt er den Minister aus seinen Diensten und befiehlt ihm, sich fortzuscheren. Er wollte ihn nie wiedersehen.

Der Minister geht. Der König, vom Hirschbraten gesättigt, schläft ein. Wilde Räuber, Anhänger der Göttin Kali, überfallen und fesseln ihn, wollen ihn ihrer Göttin opfern und – verspeisen. Im letzten Moment bemerkt einer der Kalianhänger den fehlenden Finger. Die Räuber beratschlagen sich und befinden: „Dieser Mann ist unvollkommen. Ihm fehlt ein Körperteil. Unserer Göttin darf nur Vollkommenes geopfert werden.“ Sie lassen ihn laufen.

Der König erinnert sich an die Worte des Ministers: „Gott fügt alles wunderbar“ und begreift: Genau so ist es. Auch in diesem Fall. Er fühlte sich schuldig, weil er den Minister verbannt hat, und läßt ihn suchen. Nach langer Zeit wird er gefunden. Der König entschuldigt sich und bittet ihn, wieder in seine Dienste zu treten. Der Minister entgegnete: „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich bin dankbar, daß du mich fortgeschickt hast. Mich hätten die Räuber geopfert. Mir fehlt kein Finger. Gott fügt alles wunderbar.“

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