Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Ich-Treue und Du-Treue

Hallo ihr Lieben!

Als ich heute die Tagesmeditation von Ysabelle gelesen habe musste ich an meine eigene Situation denken. Vor ein paar Monaten stand ich vor einer sehr wichtigen Entscheidung. Es ging im Wesentlichen um eine tiefgreifende Veränderung in meinem Leben, die viele in meinem Umfeld schockiert hat.

„Wie kannst du nur heute so ganz anders denken, wenn du dich doch damals aus freien Stücken für diesen Weg entschieden hast. Wie kannst du jetzt guten Gewissens sagen, dass dein Versprechen nicht mehr gilt?“ bekam ich zu hören.

Es geht hier um nichts geringeres als um Treue, einen Wert den ich sehr hoch schätze, und um die Frage wie Treue mit Veränderung zusammenpasst. Ich fand für mich eine wichtige Unterscheidung zwischen Treue zu mir selbst und Treue zu etwas oder jemand anderem.

Ich-Treue bedeutet für mich, dass ich meinen Idealen und Werten entsprechend handle und mich so verhalte, wie ich es entsprechend dieser inneren Richtschnur als angemessen empfinde.

Du-Treue auf der anderen Seite heißt für mich, dass ich dir gegenüber ehrlich bin, dir meine Werte und die Bedürfnisse hinter ihnen zeige und versuche, mich danach auszurichten. Auf die Weise kannst du sicher sein, dass ich wirklich hinter dem stehe, was ich sage. Es kann heißen, mich mit ganzer Seele für etwas, das mir jetzt wichtig ist einzusetzen. Landläufig wird Du-Treue aber eher als Verpflichtung verstanden, alles so einzurichten, dass ich mich auch morgen noch nach dem ausrichte, was ich gestern gelobt habe. Beispiele sind die Ehe, die Religion oder die politische Einstellung.

Die Ich-Treue verletze ich in dem Moment, wo ich etwa aus Unachtsamkeit etwas sage oder mache, was nicht den Werten entspricht, die ich gerne leben möchte. Im Idealfall meldet mein Körper mir das zurück, etwa in Form von Traurigkeit und gibt mir die Chance, aus dieser Erfahrung zu lernen. Ich kann mich dann in mich selbst einfühlen und meine Bedürfnisse hinter dieser Handlung suchen um dann entweder meine Handlungen oder meine Werte zu überdenken.

(Wenn es nicht so ideal läuft werde ich mich vielleicht innerlich dafür verurteilen, „nicht nach meinen Werten zu leben“ oder etwas zu tun, was ich „nicht tun sollte“. Das kann zu einer inneren Blockade führen die meine Einsicht und Veränderung lähmt, weil ich mich dann nur noch damit beschäftige, als Angeklagter, Verteidiger und Richter über mich selbst aufzutreten.)

Mir ist nämlich wichtig, ein kohärentes, in sich stimmiges und fortlaufend mitwachsendes Wertesystem zu entwickeln. Der letzte Punkt ist für mich besonders wichtig, denn er berührt sehr entscheidend die Du-Treue. Wenn sich meine Werte entwickeln oder ändern werde ich mit dir erneut in Verhandlung darüber treten, was uns beiden wichtig ist und ob unsere bisherigen Strategien dafür noch taugen. Auf die Weise kann ich die Verbindung und die Tiefe in unserer Beziehung erhalten, die mir wichtig ist.

Äußerlich bin ich heute nicht mehr derselbe Mensch wie noch vor einigen Jahren. Um mir selbst treu zu bleiben habe ich mich verändert, ich habe neue Erfahrungen zugelassen und meine Innenwelt ist gewachsen. Mir selbst treu zu bleiben hat für mich bedeutet, frühere Entscheidungen erneut zu prüfen um festzustellen ob ich weiterhin zu ihnen stehen konnte.

Manchmal gab es fließende Übergänge, manchmal waren Erfahrungen aber auch so radikal und einschneidend, dass ich erst einmal Tabula rasa machen wollte.

Manchmal bedeutete es Anstrengung, weiterhin hinter früheren Entscheidungen zu stehen oder mich erneut für etwas anderes zu entscheiden. Immer bedeutete es innere Zwiespälte und Konflikte um abzuwägen, was von beidem angesagt war.

Hier ist die Methode der Selbstempathie wirklich ein wertvolles Werkzeug um festzustellen, was hinter den warnenden inneren Stimmen steht. (Gerhard Rothaupt hat auf seiner Internetseite einen Text zu dem Thema „Angst – Wegweiser zur Freiheit oder ins innere Gefängnis“ veröffentlicht, den ich dafür sehr hilfreich finde)

Ein Beispiel damit es anschaulicher wird:

Vielleicht sind mir Gemeinschaft und Freundschaft wichtig und ich entscheide mich dafür, Samstags mit Freunden einen Videoabend zu machen, vielleicht mögen sie alle Action und wir schauen deswegen entsprechende Filme.

Wenn ich mich nun entscheide, gewaltfrei zu leben und inneres Wachstum anzustreben, dann werden diese Werte vielleicht verletzt, wenn ich mir einen brutalen Actionfilm anschaue. Vielleicht werde ich in der folgenden Nacht Alpträume haben oder mich an einzelne furchtbare Szenen aus dem Film erinnern und unwohl fühlen.

Wenn ich diese Erfahrung ernst nehme kann ich meine Gefühle und Bedürfnisse zur Sprache bringen und habe die Chance mich zu verändern. Vielleicht erkenne ich, dass mir die Gemeinschaft mit diesen Menschen auf genau diese Art und Weise viel wichtiger ist als Gewaltfreiheit und ich ändere mein inneres Wertekonzept entsprechend. Oder wir einigen uns beim nächsten Mal auf einen sanfteren Film. Im Extremfall könnte es vielleicht sogar bedeuten, mir andere Freunde zu suchen wenn unsere Werte sich nicht in Übereinstimmung bringen lassen.

Auf diese Weise bleibe ich mir zuallererst selber treu und kann dann mit dir in Verbindung gehen.

Ich habe in der Vergangenheit die Vorstellung verinnerlicht, dass es so etwas wie feste Versprechen gibt, die unter allen Umständen eingehalten werden müssen. Diese Vorstellung berücksichtigt nicht die Dynamik im menschlichen Leben – innere und äußere Umstände ändern sich, Werte entwickeln sich, Erfahrungen kommen hinzu oder werden in neuem Licht gesehen.

Um wirklich alle Erfahrungen angstfrei und ohne vorgefertigte Meinung zu betrachten, finde ich es deswegen nützlich, die äußere Realität wie sie sich mir darstellt auch dann akzeptieren, wenn sie von dem abweicht, was ich bisher als meine innere Realität annehme. Das bedeutet für mich der erste Schritt der GFK, die Beobachtung.

Nur wenn ich treu zu mir selber stehe kann ich auch ehrlich mit dir in Verbindung treten. Wenn wir beide uns immer aufs neue darüber austauschen, was uns wichtig ist und wo wir in unserem Streben danach Überschneidungen haben, werden wir wahrscheinlich die Herzensverbindung länger halten können als wenn wir sie als unbedingte Verpflichtung ansehen. Und wir werden uns einander offen zeigen können, weil wir keine Angst haben müssen vor dem, was wir in uns spüren, wir müssen uns nicht schämen für das was wir denken, glauben oder fühlen. Wenn wir dazu fähig sind werden wir auch von Veränderungen nicht überrascht werden, weil wir ehrlich zu uns sein durften.

Markus

Ist Verlässlichkeit ein Bedürfnis?

Hallo ihr Lieben!

Ich glaube ich kann gut nachvollziehen, warum Respekt und Verlässlichkeit für viele Menschen wichtig sind. Gleichzeitig bin ich mir bei diesen und einigen anderen Bedürfnissen nicht wirklich klar, ob sich nicht eine Strategie eingeschlichen hat, nämlich dass mein Gegenüber sich auf eine bestimmte Art und Weise verhält.
In dem Moment, wo ich Bedürfnis und Strategie vermische gebe ich sehr viel Macht über mein Leben aus der Hand, weil ich dann nicht mehr sehe, wie ich mein Bedürfnis auf andere Weise erfüllen könnte.
Wenn ich aber in mich gehe und versuche herauszufinden, warum ich mir z.B. von meiner Partnerin Verlässlichkeit wünsche dann merke ich vielleicht, das es etwas mit mir zu tun hat.

Damit, dass ein Teil von mir sich auf etwas bestimmtes einstellen können möchte, sicher sein möchte, dass sich meine Bedürfnisse erfüllen, das nicht irgendeine unangenehme Überraschung dazwischen kommt.

Wenn ich ehrlich zu mir bin bräuchte ich diese Sicherheit und Verlässlichkeit im Grunde nicht, denn sie stellen Strategien dar, mir meine Bedürfnisse zu erfüllen. Ein anderer Weg wäre zum Beispiel möglich wenn ich genügend Selbstvertrauen hätte. Damit meine ich das Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten, mit jeder Situation auf die ich treffe umgehen zu können. Ich könnte zum Beispiel jeden Moment – ob schön oder nicht – einfach akzeptieren und annehmen. Oder ich entscheide mich, selbst dafür zu sorgen, dass sich meine Bedürfnisse erfüllen – zum Beispiel auch indem ich eine Bitte an mein Gegenüber stelle und klar mache, was ich grade brauche.

Eine GFK-Trainerin aus Hamburg sagte einmal, dass Bedürfnisse in Schichten kommen. Nach außen sieht vieles wie ein Bedürfnis aus was ich für mich, intern, noch tiefer ausbuddeln kann. So stellt jede Schicht eigentlich eine Strategie dar bis ich beim ultimativen Grund-Bedürfnis ankomme (Glücklich sein oder wie auch immer man das nennen möchte). Bis dorthin kann ich mich immer fragen: Welches Bedürfnis erfüllt sich für mich wenn … gegeben ist?
Unterm Strich würde ich für mich sagen, dass ich mir Verlässlichkeit, Respekt, Sicherheit und vieles mehr von anderen wünsche, aber ich bin ziemlich zuversichtlich, dass ich eines Tages nicht mehr darauf angewiesen sein werde, weil ich dann hoffentlich in mir selber diese Sicherheit und das nötige Vertrauen in das Universum und mich selber haben werde.

Bis das soweit ist möchte ich üben, konkrete Bitten zu stellen, damit mein Gegenüber weiß, wie er dazu beitragen kann, dass mein Leben schöner wird.

Markus

Sei dir selber treu

Und diese Regeln präg in dein Gedächtnis:
Gib den Gedanken, die du hegst, nicht Zunge,
Noch einem ungebührlichen die Tat.
Leutselig sei, doch mach dich nicht gemein.
Den Freund, der dein, und dessen Wahl erprobt,
Mit ehrnen Haken klammr ihn an dein Herz.
Doch schwäche deine Hand nicht durch Begrüßung
Von jedem neugeheckten Bruder. Hüte dich,
In Händel zu geraten; bist du drin,
Führ sie, daß sich dein Feind vor dir mag hüten.
Dein Ohr leih jedem, wenigen deine Stimme;
Nimm Rat von allen, aber spar dein Urteil.
Die Kleidung kostbar, wie’s dein Beutel kann,
Doch nicht ins Grillenhafte: reich, nicht bunt;
Denn es verkündigt oft die Tracht den Mann,
Und die vom ersten Rang und Stand in Frankreich
Sind darin ausgesucht und edler Sitte.
Kein Borger sei und auch Verleiher nicht;
Sich und den Freund verliert das Darlehn oft,
Und Borgen stumpft der Wirtschaft Spitze ab.
Dies über alles: Sei dir selber treu,
Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage,
Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.
Leb wohl! Mein Segen fördre dies an dir!


William Shakespeare, Hamlet, DRITTE SZENE, Ein Zimmer in Polonius‘ Hause

Um 1600 verfasste William Shakespeare das Drama mit diesem berühmten Monolog. Viele Stellen in dem Stück werden noch heute oft zitiert, so auch der folgende Passus:
Den von dem König und der Königin geschickten Höflingen Rosenkrantz und Guildenstern erklärt Hamlet: “There is nothing either good or bad but thinking makes it so.” (“An sich ist nichts entweder gut oder böse, sondern das Denken erst macht es dazu”) (II.2.250f). Nichts scheint an diesen Worten veraltet oder verstaubt, weder die Worte Hamlets, die das Herz eines jeden GfK’lers lachen lassen, noch die Worte von Polonius, der seinen Sohn Laertes verabschiedet. Am meisten hänge ich an dem letzten Absatz des Monologs, in dem Polonius seinem Sohn einen Rat gibt, den ich so schwer zu befolgen finde. Jahrelang hatte ich diesen Text  untermeiner Schreibtischunterlage, und wieder und wieder habe ich die letzten vier Zeilen gelesen.

This above all: to thine ownself be true,
And it must follow, as the night the day,
Thou canst not then be false to any man.
Farewell: my blessing season this in thee!

Sei dir selber treu, (…) du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.

Wie oft tun wir genau das nicht. Wie oft werden wir uns selbst untreu, wie oft fällt es uns schwer darauf zu vertrauen, dass wir so wie wir sind, richtig und willkommen sind. Wie oft nehmen wir uns zurück, wie oft sagen wir nicht, was wir wirklich denken, wie oft beschwichtigen wir uns selbst mir „so wichtig ist das nicht“ oder „ich will doch nur meine Ruhe!“

Was heißt das, uns selber treu sein?

In erster Linie bedeutet es, eine echte Verbindung zu uns selbst zu haben. Was sind meine Bedürfnisse? Wie geht es mir? Was brauche ich? Die wahre Verbindung zu anderen hat bei uns selbst seinen Ausgangs- und Endpunkt. Wie geht es mir, wie geht es Dir? Empathie ohne Verbindung zu mir selbst ist Co-Abhängigkeit, das habe ich in den letzten Monaten begriffen.

Wie können wir authentisch sein, wenn wir uns immer wieder zurücknehmen, aus welchen Gründen auch immer? Wie sollen wir Kraft schöpfen, wenn wir uns wieder und wieder verstellen, verbergen, nicht mit dem zeigen, was in uns lebendig ist?

Der Weg lautet „Weilverschiebung“.

Gelernt haben wir:

Mutti ist traurig, weil du

In der GfK erkennen wir:

Unsere Gefühle resultieren aus unerfüllten Bedürfnissen. Der nicht erfolgte Telefonanruf kann mich heute traurig machen, morgen mit Erleichterung erfüllen, denn heute bin ich einsam und brauche Gesellschaft, und morgen bin ich erschöpft und brauche meine Ruhe.

Ich bin (…), weil ich (…) brauche.

Die Verantwortung für dich liegt nicht mehr in meinen Händen. Ebenso bist du nicht mehr für meinen Frieden und meine Harmonie, mein Bedürfnis nach Nähe oder mein Bedürfnis nach Unterstützung verantwortlich.

Jetzt kann ich mir selber treu sein und mit Dir in Verbindung treten. Was brauche ich? Und was brauchst du? Wie kann ich dazu beitragen, dass dein Leben wundervoll wird? Und bist du bereit dazu beizutragen, dass mein Leben wundervoll wird – wenn ich einfach so sein kann, wie ich wirklich bin.

Heute will ich mir vor Augen halten, dass ich ein wunderbares Geschenk für andere Menschen bin, wenn ich mir selber treu bleibe.

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