Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Worte aus der Ecke

Als die Reporter der „Welt am Sonntag“ Claudia (Schiffer) besuchten, entdeckten sie „Schokoladenfinger auf den Polstern“. Ist Claudia keine strenge Mutter? „Ich kann auch schon mal lauter werden und schimpfen, wenn ich müde bin und die mir den Molli machen.“ Den Molli machen? „Das sagen wir am Niederrhein, wenn sie einfach nicht gehorchen und machen, was sie wollen.“ Zur Strafe gehe dann auch mal die „naughty corner“ (ungezogene Ecke) eine Ecke in der Küche für ungezogene Kinder. Claudia Schiffer zur WamS: „Da kann man dann schmollen für fünf Minuten und wenn man sich beruhigt und entschuldigt hat, ist alles wieder gut.“
Aus einem Artikel anlässlich der Geburt des dritten Kindes von Claudia Schiffer in der Bild am Sonntag vom 16.5.2010

Was geben wir unseren Kindern mit?
Du hast etwas FALSCH gemacht, du warst UNARTIG. Geh in die Ecke und schäme dich! Nur wenn du dich ent-schuldigst, wirst du wieder in unserer Mitte aufgenommen. Viele von uns kennen solche Sätze aus ihrer eigenen Kindheit. Das Interview mit dem Top-Model fand aber 2010 statt.
Diese Wucht der Bemerkungen kann noch gesteigert werden. Jetzt hat Mutti/Vati dich nicht mehr lieb!
Und ich kenne auch mehr als einen Fall, in dem es hieß: Ich gebe dich weg!

Für manche Kinder fand die Trennung vom den Menschen, die sie liebten, tatsächlich statt. Scheidung ist eine klassische Situation, durch die Kinder ein Elternteil verlieren. Der Tod eines Angehörigen, Abwesenheit eines Elternteils durch lange Krankheit oder das Übergeben der Erziehung an ein Internat. In England, wo Claudia Schiffer lebt, übrigens an der Tagesordnung.

Je länger ich gegen die Gespenster ankämpfe, die in frühen Jahren in meinem Kopf implantiert wurden, desto intensiver spüre ich, wie mächtig dieses System aus Schuld und Scham seine Spuren hinterlassen hat. Ich feiere den Fortschritt, wenn ich bemerke, dass ich wieder auf ein „Richtig“ oder „Falsch“ hereingefallen bin. Und es gelingt mir immer besser, mich nicht dafür zu verurteilen, dass ich eben immer noch so denke, wenn ich quasi unbeobachtet denke. Jahrzehnte Autobahnpflege im Gehirn lässt sich nicht in vier Jahren GfK-Training in einen Feldweg zurückbauen. Wir sind so erzogen, es steckt uns in den Zellen, und es ist Arbeit, diesen Virus nach und nach auszuschwemmen.

Ich bin richtig und du bist falsch – was passiert mit uns, wenn wir uns in diesem Kosmos bewegen?
Wir spüren Wut und Ärger, wenn der andere FALSCH ist.
Wir empfinden Schuld, wenn wir den Gedanken haben, wir hätten etwas Falsches getan.
Und wir spüren Scham, wenn wir zu dem Glauben kommen, mit uns sei etwas falsch.

Das Schuldprinzip ist zentral für unsere heutige Gesellschaft.
In der Gewaltfreien Kommunikation machen wir die Erfahrung, dass wir Wut und Ärger wandeln können. Eine unserer möglichen Strategien ist zum Beispiel der Ärger-Tanz. Doch um uns von Scham zu lösen, brauchen wir Stärkeres als ein Tanzparkett. Wohl nur in einem spirituellen Prozess dürfen wir erkennen, dass wir wunderbare Geschöpfe sind.

Heute bin ich bereit zu sagen: So wie ich bin, bin ich ein wunderbares Geschöpf. Nichts an mir ist falsch, ich bin liebenswert und ich werde geliebt.

Empathie & Co-Abhängigkeit

Das Gebet des Co-Abhängigen

Von Kelly Bryson

Unsere Autorität, die du bist in anderen,
Selbstaufgabe sei dein Name.
Co-Abhängigkeit entsteht, wenn wir den Willen andrer erfüllen,
zu Hause wie am Arbeitsplatz.
Gib uns heute
unsere täglichen Krümel Liebe.
Und lass uns die Last unserer Schuld spüren,
so wie wir selbst anderen das Gefühl, uns etwas zu schulden, vermitteln.
Und führe uns nicht zur Freiheit,
sondern erlöse uns von dem Gewahrsein.
Denn dein ist die Sklaverei und die Schwäche und die Abhängigkeit,
für immer und in Ewigkeit,
Amen


Gefunden in dem Buch „Sei nicht nett, sei echt!“
Handbuch für Gewaltfreie Kommunikation

Das Gleichgewicht zwischen Liebe für uns selbst und Mitgefühl für andere finden

Kelly Bryson,
Junfermann Verlag, 22,50 Euro

Eine Lektion, die ich in diesen Tagen schmerzhaft erfahren musste, lautet: Empathie ohne Selbstempathie ist Co-Abhängigkeit. Und ich möchte diese Aussage von Gerhard Rothhaupt noch ergänzen: Und Co-Abhängigkeit ist ziemlich weit von GfK entfernt.
Was heißt das?
In der Gewaltfreien Kommunikation geht es um Verbindung. Und zwar nicht nur um die Verbindung von mir zu dir, sondern insbesondere um die Verbindung zu mir selbst. Wie geht es mir ganz grundsätzlich? Aber auch: Wie geht es mir mit dir, mit dem was ich von dir sehe und höre?
Wenn Paul nach einem netten Kinoabend plötzlich laut wird und sich darüber aufregt, dass kein Bier mehr im Haus ist, hat Pauline eine Palette von Möglichkeiten. Zunächst kann sie ihr Set Wolfsohren austesten: Ohren nach innen: Oh, Mist, ich hab tatsächlich vergessen, welches einzukaufen. Auf mich ist auch wirklich kein Verlass…
Oder sie trägt die Ohren nach außen: Sag mal, mach hier nicht den Affen! Du kannst doch wohl selbst Samstags mal ne Kiste Bier holen? Wie führst du dich überhaupt auf?

Wenn Pauline jetzt eine GfK-Gruppe besucht, ist es ihr vielleicht ein Anliegen, die Wolfsohren im Schrank zu lassen. Gilt ihre Aufmerksamkeit allerdings nur Paul und seiner Befindlichkeit, hat sie ein Problem. Vielleicht scheint sie selbstlos, wenn sie sich jetzt liebevoll um Paul kümmert: Dir ist es wirklich wichtig, dass die Einkäufe überprüft werden und Vorräte aufgefüllt, höre ich das richtig? Du hattest dich auf Entspannung und Leichtigkeit gefreut, und jetzt bist du frustriert und ärgerlich, weil du kein Bier vorfindest…?
Doch das ist keine echte Verbindung, sondern Co-Abhängigkeit. Die Verbindung kommt erst zustande, wenn Pauline mit ihren Giraffenohren auch nach innen lauscht und herausfindet: Wie geht es mir, wenn ich dich so höre? Was brauche ich? Geht es mir vielleicht um Respekt? Wünsche ich mir Unterstützung beim Überprüfen der Vorräte? Und dann kommt der nächste Schritt, der mir und so vielen anderen Isabells, Paulines, Gudruns und Lisas dieser Welt so schwer fällt: Ich zeige mich mit dem, was in mir lebendig ist. Ich lerne mich zuzumuten. Erst dann beginnt der Giraffentanz. So geht es mir. Wie geht es dir? Was brauche ich, und was brauchst du?


Heute will ich achtsam sein, auch meine Bedürfnisse wahrzunehmen und auszudrücken. Wenn Empathie für mein Gegenüber allein im Fokus ist, werde ich überprüfen, wie ich meine Bedürfnisse angemessen ausdrücken kann.

Die Farben der Wut

* „Ein Soldat zittert nicht, weil er friert, sondern aus Wut, dass es so kalt ist.“
Graffiti n der Wand des Factory Restaurantes, S-Bahn Hasselbrook (Hamburg)

Wut kann viele Nuancen und Farben haben. Dieser Tage haben wir ein paar Begriffe für Wut gesammelt. Irritation, Frustration, Verstimmmung, Missfallen, Unmut, Ärger, Groll, Rage, kochen (vor Wut), rot sehen, außer sich sein – diese Worte geben nur einen kleinen Geschmack auf das, was wir umgangssprachlich als Wut bezeichnen.
Wut tut gut ist die Botschaft der Gewaltfreien Kommunikation. Denn Wut bringt uns mit unseren tiefer liegenden Bedürfnissen in Verbindung. Und über die Wut können wir Zugang zu Gefühlen finden, von denen wir bisher keine Ahnung hatten.
Ein nicht ganz fiktives, aber anonymisiertes Beispiel:
Der kleine Sohn steht morgens am Bett und sagt: Papa, ziehst du dich jetzt an?

Papa wird wütend. In diesem Fall hat er ein ganzes Rudel Wölfe an seiner Seite. Die Wölfe kommentieren heftig: Kann dieses Gör nicht mal guten Morgen sagen? Da will man ein Mal die Woche ausschlafen, aber nein, dieser Junge hat einfach keinen Respekt! Es muss doch möglich sein, wenigstens am Sonntag mal eine Stunde länger zu schlafen. Kann der sich nicht mal selbst beschäftigen? Haben wir gestern nicht zwei Stunden mit der Eisenbahn gebaut? Er hat eben keinerlei Rücksicht, Das fehlt dem Jungen! Da könnte seine Mutter doch wirklich mal aktiv werden!


Ohne Zeifel, der Vater ist stinksauer. Doch seine vehemente Wolfsshow hilft ihm und uns, die tiefer liegenden Bedürfnisse näher kennen zu lernen. Der Vater wünscht sich Erholung und Wertschätzung, er wünscht sich Respekt und die Möglichkeit, in seinem eigenen Rhythmus in den Sonntag zu starten. Doch das ist nur die äußere Schale dessen, was sich für den Vater bei der Arbeit an diesem Beispiel zeigt. Denn der Blick auf die Bedürfnisse eröffnet auch den Zugang zu weiteren, tiefen Gefühlen: Der Vater empfindet Scham, weil er sich eben nicht einfach freut, dass das Kind so einen vertrauensvollen Zugang zu ihm hat, sondern weil er stattdessen ärgerlich und ungehalten reagiert. Schmerz, dass er selbst bei seinen eigenen Eltern kein Verständnis, kein Gesehen werden erlebt hat. Er spürt die Trauer, dass er so wenig Zeit mit seinem Sohn verbringen kann, weil er gleichzeitig von anderen Herausforderungen sehr erschöpft ist…
Und dann ist die Wut auf einmal wie weggeblasen. Er ist verbunden mit sich, mit seinen Gefühlen, und mit dem Wunsch und der Freude seines Sohnes, mit ihm in den Tag zu starten. Eine gute Basis für eine gemeinsame Lösung, oder?

Heute will ich mir vergegenwärtigen, dass meine Wut mich mit meinen tiefen Bedürfnissen in Verbindung bringt und darunter ganz andere Gefühle verborgen sind. Ich bin bereit die Zeit zu investieren, diesen verborgenen Schatz zu heben.

Man hört nur mit dem Herzen gut

„Das Herz hat die Eigenschaft des Wissens, die Leber des Gefühls, die Lunge des Blattes (der Veränderlichkeit, Beweglichkeit?), der Mund dient der Vernunft als Weg, ein Sprachrohr für das, was der Mensch vorträgt, und eine Aufnahme der Erfrischungen des Körpers; und er spricht, hört aber nicht, während das Ohr hört, aber nicht spricht.“ – Die Schöpfung Adams; Hildegard von Bingen (1098-1179) deutsche Heilkundige, Nonne und Mystikerin

Marshall Rosenberg erzählt davon, wie er einmal mit 23 Psychotherapeuten eine Übung machte. Er gab ihnen den Satz „ich bin total deprimiert und weiß nicht mehr weiter“ und bat sie, ihre Antwort dem Patienten gegenüber auf einen Zettel zu schreiben. Dann sammelte er die Zettel ein. Nun bat er die Therapeuten sich vorzustellen, sie selber seien ein Patient und wurden sagen: „ich bin total deprimiert und weiß nicht mehr weiter“ . Dann las er den Therapeuten ihre eigenen Antworten vor. Nur in drei von 23 Fällen fühlten sich die Menschen verstanden. Auf den meisten Zetteln stand übrigens: Wann hat das angefangen?

Es gibt viele Dinge, die einer einfühlsamen Kommunikation im Wege stehen. Ich selber habe viele Jahre Details nachgefragt. Was hat das gekostet? Warum hast du das gemacht? Warst du da schon geschieden? Ich hatte geglaubt, diese Fakten wissen zu müssen, um den anderen wirklich zu verstehen. Heute weiß ich, dass es sich dabei um ein intellektuelles Verstehen – oder eben oft auch um mein eigenes Unverständnis handelte. Rückblickend habe ich nicht wirklich verstanden, worum es ging, auch wenn ich alle Fakten säuberlich zusammengetragen hatte. Und mir war damals auch nicht klar, dass auch in meinen Rückfragen eine Bewertung lag. „Warst du beim Arzt?“ konnte eben auch den Beigeschmack haben: Du solltest wirklich zum Arzt gehen. Oder auch: Wegen so einer Kleinigkeit rennst du zum Arzt?

Joachim Bauer beschreibt in seinem Buch „Warum ich fühle was du fühlst“ wie in unserem Kopf die Spiegelneuronen dafür sorgen, dass wir andere Menschen verstehen. Dabei wird auch deutlich, dass wir häufig unbewusst Signale aussenden, die etwas darüber aussagen, wie es uns mit dem Gesagten oder Gehörten geht. Verantwortlich dafür sind eben besagte Spiegelzellen, die in unserem Gehrin auch dann feuern, wenn wir beim anderen etwas sehen oder hören, was wir aus eigener Erfahrung kennen. Wenn sich jemand anderes den Kopf stößt, sagen wir oft automatisch „aua“, obwohl wir uns selbst nicht verletzt haben. Dieses Prinzip der Spiegelung funktioniert auch in der Kommunikation. Wir reagieren auf das, was wir sehen oder hören.
Wenn wir einen intelllektuellen Zugang zu dem Gehörten haben, kann es schwierig sein, eine echte Verbindung zu unserem Gegenüber herzustellen. Wir sind im Kopf, haken imaginäre Fragebögen ab, überprüfen, ob wir alle notwendigen Informationen haben. Einfühlsames Zuhören braucht das nicht. Wir können uns bewusst dafür entscheiden, nur auf die Gefühle und Bedürfnisse unseres Gesprächspartners zu achten.

Ich stelle immer wieder fest, wie bereichernd es ist, einfach nur beim anderen zu sein, seine Worte zu reflektieren. Und ich merke, wie sehr ich es genieße, wenn andere mir dieses Geschenk machen. Das Zauberwort heißt Empathie.

Heute will ich mir die Erlaubnis geben, in Gesprächen einfach nur präsent zu sein. Ich leere meinen Kopf von allen Fragen und Urteilen und lausche nur auf die Gefühle und Bedürfnisse meines Gegenübers.

Stimmen

„Die Welt ist ein Berg, und alles, was man je von ihr zurückbekommt, ist der Widerhall der eigenen Stimme.“ – Dschalal ad-Din Rumi, zitiert von Abd al-Qadir as-Sufi in „Was ist Sufismus?“

Mit unseren inneren Stimmen können wir ganze griechische Chöre ausstatten. Her Hamburger Professor für Kommunikationspsychologie Friedemann Schulz von Thun hat vor über 30 Jahren ein Denkmodell entwickelt, das uns helfen kann, unsere inneren Stimmen besser wahrzunehmen und ihnen zuzuhören. Er nennt es das innere Team. In der Gewaltfreien Kommunikation lernen wir, auf die Stimmen dieses inneren Teams einzugehen. Mit ein wenig Glück hören wir tatsächlich in unserem Kopf einen Chor aus einzelnen Stimmen, die alle nur eine Absicht haben: Sie wollen unser Bestes.

Dabei sind so unterschiedliche Teammitglieder wie innere Kinder, Richter, besorgte Mütter oder übermütige Brüder vereint. Und jeder von ihnen hat eine Meinung, was nun gerade unserem Besten dient. Unter Umständen können diese Meinungen durchaus weit auseinander liegen.
Vor einigen Wochen entdeckte ich diesen Schreibtischstuhl, der genau meinen Bedürfnissen nach Gesundheit, Bequemlichkeit, Spaß und Leichtigkeit entsprach. „Los, kaufen!“ jubelte mein innres Kind. Mein innerer Richter hatte da ganz andere Ansichten. „Du hast erst vor einem halben Jahr einen Schreibtischstuhl günstig gekauft, der wunderbar ist und seinen Zweck erfüllt. Das Geld kannst du sparen!“ Und dann gab es eine Stimme, die sagte, „du verbringst so viele Stunden am Schreibtisch, wenn dieser spezielle Stuhl dazu dient, dass du das ohne Schmerzen tun kannst, solltest du ihn kaufen.“ Und eine mahnende Stimme meinte: Wenn du so mit deinem Geld rumschmeisst, sind keine Rücklagen da, wenn etwas passiert!“

Früher bin ich oft wie eine Flipperkugel zwischen diesen Positionen hin- und hergeschossen. Oft habe ich dann für Dinge zweiter Wahl weniger ausgegeben, war aber auch weniger glücklich. Und dieser Frust über ein unerfülltes Bedürfnis brach sich dann an anderer Stelle Bahn.

Heute gelingt es mir immer öfter, mein innreres Team an einen Tisch zu holen und sie alle zu Wort kommen zu lassen. Ich kann jedem von ihnen Einfühlung geben und herausfinden, welches Bedürfnis gerade von ihnen vertreten wird. So kann ich meine Entscheidungen auf eine breite Basis innerer Zustimmung stellen und finde damit eine neue, tiefe Zufriedenheit.

Heute will ich aufmerksam werden, wenn ich feststelle, dass in mir Stimmen lebendig werden. Sie sind ein Widerhall dessen, was ich in meinem Leben berücksichtigen möchte.

Inventur

4. Schritt
Wir machten eine gründliche und furchtlose Inventur in unserem Inneren.
Aus dem 12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker

In den letzten Monaten hatte ich eine Reihe von beruflichen Workshops, in denen es um Qualitätsverbesserung und Innovation ging. Dabei haben wir uns unser Produkt genau angeschaut und überprüft, ob es mit den Anforderungen des Marktes (und unserer Zielgruppe) noch übereinstimmt. Auf einer Pinnwand war der geplante Ablauf des Prüfprozesses und die Ziele festgehalten. Zwischendurch haben wir immer wieder kontrolliert, ob wir uns noch auf der Straße sind, für die wir uns entschieden haben. Und je näher wir dem Ziel kamen, desto häufiger guckten wir auf die Tafel. Haben wir alle Fragen beantwortet? Ist noch etwas offen? Was bedarf noch der Klärung?

Wir stecken uns ein Ziel und wir überprüfen, ob wir auf dem Erfolg versprechenden Weg sind, es zu erreichen – dieser Prozess lässt sich durchaus mit dem 12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker vergleichen. Dabei handelt es sich um ein spirituelles Programm zum persönlichen Wachstum. Es eignet sich nicht nur, um vom Alkohol trocken zu werden, sondern auch um andere Verhaltensweisen, die uns schädigen, näher unter die Lupe zu nehmen und zu verändern.

Im vierten Schritt des Programms von AA heißt es nun: Wir machten eine gründliche und furchtlose Inventur in unserem Inneren. Eine solche Inventur kann uns helfen zu überprüfen, ob wir noch auf dem Weg sind, den wir mit der Integration der Gewaltfreien Kommunikation in unser Leben eingeschlagen haben. Wie steht es um die Konflikte in meinem Leben? Gelingt es mir in schwierigen Situationen, bei mir zu bleiben? Wie halte ich es mit der Verbindung? Steht Verbindung für mich wirklich oben, oder bin ich gefangen in Groll und Frustration?

Ich kann das tun, indem ich abends meinen Tag Revue passieren lasse und für mich überprüfe, ob mein Verhalten dem Leben diente. Ich kann aber auch in regelmäßigen Abständen einen Blick auf die innere Pinnwand werfen und schauen: Bin ich noch auf der Zielgeraden? Stimmt die Richtung, oder ist es Zeit für eine Kurskorrektur?
Dieser Blick dient nicht dazu, uns niederzumachen: Jetzt hast du schon so viele Seminare gemacht und flippst immer noch aus, wenn dein Mann dich wegen der Telefonrechnungen fragt. Vielmehr geht es darum herauszufinden, was wir brauchen, um ein Leben in Frieden und Freiheit zu führen. Vielleicht benötigen wir auf diesem Weg Unterstützung, vielleicht hilft uns die Arbeit an alten Glaubenssätzen, vielleicht ist es an der Zeit, liebevoller mit uns selbst umzugehen. Wie könnten wir es besser herausfinden als bei einer respektvollen und ehrlichen Inventur?

In diesen Tagen will ich mir Zeit nehmen zu überprüfen, wie gut es mir gelingt, die GfK in mein Leben zu integrieren. Wenn ich merke, dass mir an manchen Stellen schwer fällt, dieses Ziel zu erreichen, werde ich überlegen, welche Unterstützung mir gut tun würde.

Was zwischen den Ohren passiert

„Des Menschen Geist wohnt in den Ohren: Wenn er etwas Gutes höret, so erfüllet er den Leib mit Wohlgefallen; höret er aber das Gegenteil, so brauset er auf.“ – Xerxes I., überliefert von Herodot, Historien

Gestern stand ich vor einer kniffligen Entscheidung. Mein Wolf hatte mich gut im Griff, wollte Sorge tragen, dass ich schön bescheiden bleibe. Ich suchte Bestätigung und rief einen Freund über Skype an. „Hol die Giraffenohren“, bat ich ihn. Wir haben beide eine Videokamera, und so konnte ich sehen, wie er an sein Regal ging und die Giraffenohren nahm. Ich erzählte ihm von meinen Entscheidungsnöten, und wenn es nach dem Lehrbuch gegangen wäre, hätte sich der Freund sicher anders verhalten müssen. Statt mir also die „angeforderte“ Einfühlung zu geben, gab er mir einen Ratschlag. „Entscheide dich so. Alles andere wirst du später bereuen…“

Ich war erst unsicher, ob ich dieser klaren Empfehlung folgen sollte, doch dann „erfüllte es den Leib mit Wohlgefallen“. Ich spürte buchstäblich im Körper, wie ich mich entspannte, wie Freude einzog, alles in mir leicht wurde. Ich hatte geglaubt, ich bräuchte Einfühlung, vermutlich brauchte ich in Wirklichkeit eine Erlaubnis. Und die konnte ich mir nach der Reaktion meines Freundes geben. Mein Wolf war verblüfft, denn seine Bescheidenheit sollte doch gerade dazu dienen, es anderen Recht zu machen. Und plötzlich gab es dafür gar keine Notwendigkeit mehr… Zwischen meinen Ohren war etwas passiert.

Es gibt so viele Dinge, die uns in einer bestimmten Situation gut tun können. Wenn wir nicht auf eine Strategie fixiert sind, haben wir die Chance, großen Reichtum zu finden und in unserem Leib zu spüren.

Heute will ich dankbar alle Freundlichkeiten annehmen, die mir geschenkt werden.

Sich etwas gönnen

* „Gute Weiber gönnen einander alles, ausgenommen Kleider, Männer und Flachs.“ – Des Quintus Fixlein Leben bis auf unsere Zeiten; in funfzehn Zettelkästen, Erster Zettelkasten, Jean Paul: Werke. Band 4, München 1959–1963, S. 65-78.

Ich habe eine Freundin, die auf einer Matratze auf dem Boden schläft, obwohl sie mit Rippenschmerzen zu kämpfen hat. In diesen Tagen sprachen wir darüber, ob ihr nicht ein neues Bett gut tun würde, aber sie schreckt vor dem Kauf zurück.
Dabei geht es nicht darum, dass sie es sich nicht leisten kann. Sie sagt: „Es ist nicht dran“. Vermutlich erfüllt sie sich mit ihrer Zurückhaltung ihr Bedürfnis nach Schutz (mir kann keiner nachsagen, ich hau hier die Kohle raus…), nach Leichtigkeit (das ist aber auch alles so kompliziert mit den verschiedenen Matratzen und Lattenrosten und Materialien…), vielleicht auch nach Geborgenheit, denn das Matratzenlager ist vertraut.

Es gab Zeiten, da habe ich mir mehr gegönnt, als für mein Konto gut war. Ich erfüllte mir damit mein Bedürfnis nach Leichtigkeit, nach Spaß, ich gab mir Wertschätzung, indem ich mich beschenkte. Geschenke dienten als Trost, Geschenke dienten auch dazu, Verbindung herzustellen, Nähe und Zärtlichkeit auszudrücken. Es hat lange gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich mich (und gelegentlich auch andere) mit kleinen Geschenken bei Laune gehalten habe, weil ich mir etwas Großes nicht gegönnt habe.

Das erste Mal bin ich darauf aufmerksam geworden, als mich jemand fragte, ob es mir Spaß mache, in meinem Arbeitszimmer zu sitzen, an einer einfachen Holzplatte und auf einem ausgedienten Bürostuhl, umringelt von unzähligen Kabeln. Zunächst wollte ich mir einfach bei Ikea einen neuen Schreibtisch kaufen, doch dann wurde es ein richtiger Luxusschreibtisch, denn das ist der Platz, an dem ich mich (neben meinem Bett) am längsten aufhalte.

Heute kann ich es gut aushalten, an interessanten oder attraktiven Dingen vorbei zu gehen. Eine kurze Überprüfung: Brauche ich das wirklich, und welches Bedürfnis will ich mir damit erfüllen? – und schon kann ich weiter gehen. Auf diese Weise ist zu anderen Zeiten ein bisschen Geld da, mit dem ich mir einen tieferen Wunsch erfüllen kann. Und meine Bedürfnisse nach Trost, Anerkennung, Zugehörigkeit oder Verbindung kann ich auf neue, kostensparende Weise erfüllen.

Heute will ich genau in mich hineinspüren, wenn ich mir etwas gönnen möchte. Welches Bedürfnis soll damit gestillt werden, und gibt es auch andere Möglichkeiten, mir dieses wunderbare Bedürfnis zu erfüllen?

Bittsteller

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Wer ist unter euch Menschen, der seinem Sohn, wenn er ihn bittet um Brot, einen Stein biete? oder, wenn er ihn bittet um einen Fisch, eine Schlange biete? Wenn nun ihr, die ihr doch böse seid, dennoch euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten!
(Matth. 7, 7ff)

Heute sprach ich mit jemandem der einen Kummer hatte. Wie wäre es, wenn Du Dein Gegenüber bitten würdest, ein bestimmtes Verhalten zu ändern? Das würde Dein Bedürfnis nach Sicherheit, Schutz, Vertrauen und Gemeinschaft nähren. Könntest Du die andere Person darum bitten? „Ja, das könnte ich“, entgegnete mein Gesprächspartner. Und wie fühlt sich das für Dich an?, fragte ich nach. Er dachte kurz nach und sagte: „Unbehaglich. Wie ein Bittsteller…“

Wie fühlt sich ein Bittsteller?
Unbehaglich, hatte ich gehört. Vielleicht besorgt. Bedrückt. Beklommen. Wird meine Bitte erfüllt? Vielleicht auch ärgerlich. „Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit, um die es hier geht?! Müsste mein Gegenüber nicht von allein darauf kommen, dies zu tun oder jenes zu lassen?“ Vielleicht fühlt sich der Bittsteller frustriert, gehemmt, unglücklich, widerwillig, zögerlich oder lethargisch. Ich glaube, dass der „Bittsteller“ eine Kopfkonstruktion ist, dass dahinter Interpretationsgefühle verborgen sind. Mein Fleischwolf suggeriert mir, dass entweder mit mir etwas nicht stimmt, oder mit meinem Gegenüber. Warum gibt er es mir nicht von allein? Warum muss ich darum bitten?
Eine mögliche Antwort lautet: Weil der andere keine Gedanken lesen kann.
Woher soll er oder sie wissen, welche Gefühle in mir lebendig sind? Woher soll er wissen, dass meine Bedürfnisse nach Sicherheit, Schutz, Verbindung, Nähe, Vertrauen oder Harmonie im Mangel sind? Er kann es nicht wissen, es sei denn, ich sage es ihm.

Bei einer Bitte geht es nicht darum, uns zu erniedrigen. Es geht darum, unseren Bedürfnissen Priorität zu geben. Eine Bitte ist ein Geschenk an mein Gegenüber, denn sie ermöglicht es ihm einen Beitrag dazu zu leisten, dass unser Leben wundervoll wird.

Heute will ich mich daran erinnern, dass meine Bitten Geschenke sind. Sie sind eine Einladung, mit mir in Verbindung zu sein oder zu bleiben. Ich zeige mich mit meinen Wünschen und Bedürfnissen.

Unter Professoren und anderen Gelehrten

„Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh; welche vier Stände doch nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste. Die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläufig; auch sind mir in diesem Augenblick nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse, und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben.“ – Heinrich Heine, Die Harzreise

Dieser Tage war ich zu Gast bei einem Symposium. Bis vor wenigen Minuten war ich allein ob des Begriffs voller Ehrfurcht und dachte, das müsse ja etwas sehr Wichtiges sein. Jetzt habe ich bei Wikipedia nachgeschlagen und fand: Der altgriechische Ausdruck Symposion (gr.: συμπόσιον sympósĭon; spätlat.: symposium) steht sinngemäß für „gemeinsames, geselliges Trinken“. Die Übersetzung als Gastmahl führt dazu, im Symposion fälschlich nur ein ausgelassenes Trink- und Essgelage zu sehen. Für die Griechen der Antike stand aber die gemeinsame gottverbundene und entsprechend ritualisierte Geselligkeit im Mittelpunkt. <...> Anschließend wurden nur für das Symposion bestimmte Lieder, die so genannten Skolien gesungen. Überwiegend – Während Xenophons Gastmahl auch von artistischen Darbietungen berichtet, scheint man sich überwiegend der geistigen Unterhaltung gewidmet zu haben: Man improvisierte Reden zu einem bestimmten Thema – wie bei Platon – löste Rätsel, die man sich gegenseitig aufgab, oder entschied sich für das beliebte Spiel, treffende Vergleiche zu finden….

So weit also Wikipedia.

Getrunken wurde neulich bei der Veranstaltung kaum, aber geredet dafür sehr viel. Ich war beeindruckt von der Tagesordnung und von den vielen Professoren, die da zusammen gekommen waren. Und ich merkte, wie sich meine alte Neigung meldete, die mich dann gern mit den anderen Anwesenden vergleichen möchte… Diese Frau hat das und das geleistet… und dieser Mann ist Professor für XY und hat erfolgreich eine Firma geführt…und was leistet du?
Zu meiner Freude und Erleichterung merke ich heute immer schneller, wenn ich in diese alte Falle tappe. Diesmal konnte ich nach kurzer Zeit feiern, dass ich bei jedem dieser Vorträge in der Lage war, den Referenten zu folgen. Ich hatte zwar nicht das Fachwissen, um selbst Arbeiten zu schreiben über Themen wie „Was Philip Kotler nicht beschrieben hat“ (ein berühmter Wirtschaftswissenschaftler) oder „Best Practice-Managementstrategien und ihre fatalen Folgen“. Aber ich habe genau verstanden, worauf die Referenten hinaus wollten.

Viele von uns neigen dazu, sich noch immer mit anderen zu vergleichen. Ich schlage nicht so gut ab wie Tiger Woods in seinen guten Zeiten, ich habe nicht die Figur wie Heidi Klum, ich weiß nicht so viel über Astrophysik wie Steven Hawkings. Aber als sich gestern Abend für heute Besuch zum Essen anmeldete, der eine Milcheiweiß-Unverträglichkeit hatte, war ich heute in der Lage, eine köstliche Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, obwohl ich wegen des Feiertages nicht mehr extra einkaufen konnte. Das sollen mir Tiger Woods und Heidi Klum erst mal nachmachen.

Wir alle sind einzigartig in dem, was wir dem Leben bieten können. Der eine hat eine wunderbare Singstimme, der andere ist Virtuose am Hochdruckreiniger. Wenn wir unsere Gaben und Talente feiern, wollen wir uns daran erinnern, dass es keinen Grund gibt, uns mit anderen zu vergleichen. So wie wir sind, sind wir gut genug. In jedem Moment.

Heute will ich mein Augenmerk darauf richten, ob ich mich mit anderen vergleiche. Ich frage mich liebevoll, welche Bedürfnisse ich mir damit erfülle. Und ich bin bereit nach Möglichkeiten zu suchen, diese Bedürfnisse auf andere Weise zu erfüllen.

Kommt ein Mann zum Psychoanalytiker…

Kommt ein Mann zum Psychoanalytiker. „Herr Doktor, ich habe solche Angst! Unter meinem Bett toben wilde Tiere. Kann man da was machen?“ Der Psychoanalytiker guckt sehr ernst und sagt: Hm. Das ist eine sehr schwierige Sache. Machen kann man da schon was, aber das dauert 300 bis 400 Stunden.“ „Oh“, meint der Patient, „und was kostet das?“ Entgegnet der Analytiker: „Die Stunde 100 Euro.“ „Ne,“ sagt der Mann, „so schlimm ist es denn auch wieder nicht!“, und geht.
Ein paar Wochen später treffen sich die beiden zufällig auf dem Parkplatz eines Supermarktes. „Herr Doktor, Herr Doktor“, sagt der Mann strahlend. „Mein Bruder hat mich geheilt.“ Der Therapeut wundert sich: „Ist ihr Bruder denn auch Psychoanalytiker oder Arzt?“ „Nein“, strahlt der Mann, „er ist Tischler. Und er hat einfach von meinem Bett die Beine abgesägt. Jetzt passen da keine wilden Tiere mehr drunter!“
Aus einem Vortrag von Harald Reinhardt

Ist das nicht eine verblüffende Lösung? Da bietet ein Fachmann eine Strategie an, die etliche 1000 Euro kostet, und ein Schreiner greift einfach zur Säge und schon hat sich das Problem erledigt. Ich vermute, keiner der Beteiligten kannte sich aus mit Gewaltfreier Kommunikation, und doch ist es schön zu lesen, wie zielorientiert hier gearbeitet wurde. Was waren die Bedürfnisse des Patienten? Vermutlich Schlaf, Entspannung, Ruhe, Sicherheit, Schutz und Unterstützung. Der Therapeut hatte eine Strategie im Angebot, der Bruder des Betroffenen eine andere. Wie gut, dass wir darauf vertrauen dürfen, dass es viele Strategien gibt, die alle Bedürfnisse berücksichtigen. Wenn wir den Mut haben, die Strategieebene zu verlassen und stattdessen erst nach den Bedürfnissen zu schauen, liegt die Lösung oft schon in Greifweite.

Heute will ich bewusst von der Strategieebene zu meinen Bedürfnissen gehen, um festzustellen, dass ich sie auf vielfältige Weise erfüllen kann.

Mein Freund, der Wolf…

Statt eines wörtlichen Zitats heute mal ein musikalisches Zitat. Ich bin bestimmt nicht die einzige, die sich an seine Stimme in AFN erinnert. Ich habe Wolfman Jack noch persönlich kennen gelernt, 1979 in Gießen. Eine echte Ikone des Musikgeschäfts. Und hier kommt seine Hymne…

Einer der jungen GfK’ler im Seminar am Samstag zeigte sich erschrocken über die Wolfsshow. Wie kann jemand, der sich doch der Gewaltfreien Kommunikation als Trainer verschrieben hat, so wilde Gedanken über seine Mitmenschen haben? Wie könnte ein Trainer wüten, schimpfen, andere Idioten und Trottel nennen – das ist doch keine GfK???

Sicher ist es in dem Moment keine Gewaltfreie Kommunikation, wenn ich meinen Konfliktpartner im persönlichen Kontakt genau mit solchen Namen eindecke. Aber je geübter ich werde, desto eher kann ich das vermeiden, indem ich zum Beispiel mir selbst eine Auszeit gönne, mir Empathie gebe. Und in dieser Auszeit ist Toben und Wüten nicht nur erlaubt, sondern geradezu erwünscht. Da darf es Bewertungen und Beschimpfungen hageln, denn sie haben jetzt ein einziges Ziel: Uns auf unsere tiefsten Bedürfnisse aufmerksam zu machen.

Entscheidend ist nicht, welche Worte wir in der Wolfsshow benutzen. Entscheidend ist die Haltung, mit der wir diese Vorstellung wieder verlassen. Geht es mir um Verbindung? Dann werde ich, sobald ich es kann, wieder auf den anderen zugehen, denn ich weiß: Deine Bedürfnisse sind genau so wichtig wie meine.


Heute will ich bei all meinen Wolfsgedanken im Gedächtnis behalten: Es geht mir um Verbindung. Ich gehe in dem Maße auf mein Gegenüber zu, wie es mir möglich ist.

Unter Anfängern

„Wie man den Wolf auch füttert, er wird trotzdem zum Wald hinschauen.“

Sprichwort aus Russland

Am Samstag war ich das erste Mal offiziell als Assistenztrainerin bei einem Einführungsseminar dabei. Mir ist dieser Kontakt mir Neulingen immer besonders kostbar und ich freue mich ihnen zu zeigen, wie wunderbar die Gewaltfreie Kommunikation unser Leben verwandeln kann.
Die Übung des Tages schien einfach, und doch weiß ich aus Erfahrung, wie viel Zündstoff in ihr steckt. Erinnere dich an eine Situation, in der du dich geärgert hast oder wo du im Nachhinein sagst, das hätte ich gern anders gehabt… Und dann lehne Dich zurück und genieße die Wolfsshow…

Wir alle kennen die Wolfsshow. Sie läuft in unserem Kopfkino, und in dieser Sendung sind wir voller Urteile, Anklagen, Kritik und wilden Gefühlen. Zurückzutreten und sich selbst zu sagen: Das ist ein Film, das sind meine Projektionen, ich lasse sie vor meinen Augen lebendig werden ist ein wichtiger Schritt im Prozess der GfK. Wir kommen über die Wolfsshow in Verbindung mit unseren wirklichen Bedürfnissen. „Sie ist total rücksichtslos“ bedeutet uns, dass uns Rücksichtnahme wichtig ist. All diese Urteile, die wir über andere (oder unser eigenes Verhalten) im Kopf haben, weisen uns den Weg zu unseren Bedürfnissen.

Ich lerne mehr und mehr, meine eigene Wolfsshow zu akzeptieren und zu genießen. Was mich in der Begegnung mit „Frischlingen“ erschreckt, ist nicht ihre Wolfsshow. Was mich erschüttert, ist die Tatsache, dass es ihnen so schwer fällt, Beobachtung und Bewertung zu trennen. Da wimmelt es in den Beobachtungen noch von „provoziert“ oder „angegriffen“, „vernachlässigt“, „belehrt“ und “zurückgewiesen“. Und ich erinnere mich daran, dass es keine fünf Jahre her ist, als ich genau so dachte, und dabei noch glaubte, ich sei eine neutrale Beobachterin. Voller Demut möchte ich heute dafür danken, dass es mir immer öfter gelingt, Beobachtung und Bewertung voneinander zu trennen und Interpretationsgefühle dort zu parken, wo sie eine Berechtigung haben: In der Wolfsshow.

Heute will ich mich daran erinnern, Beobachtung und Bewertung sauber zu trennen. Dieser Schritt hilft mir, Angriffsgedanken fallen zu lassen.

Strategien

„Was willst du denn mal werden?“ fragt der Lehrer den kleinen Fritz. „Kunstmaler, Arzt oder Fensterputzer“, antwortet der.
„Sonderbare Kombination“, meint der Lehrer. „Und was reizt dich ausgerechnet an diesen Berufen?“
„Nichts Bestimmtes“, antwortet Fritz. „Hauptsache, ich kriege nackte Weiber zu sehen!“

Diese kleine Geschichte erreichte mich heute per Mail aus Österreich. Zuerst wollte ich sie gleich löschen, doch dann hielt ich inne und schob sie gleich in den Blog. Kann man besser erklären, was Strategien in der Gewaltfreien Kommunikation sind?

Es ist ziemlich klar, welches Bedürfnis sich der Knabe mit seiner Berufswahl erfüllen will. Spannend ist, dass schon ein Halbwüchsiger über eine Vielzahl von Strategien verfügt, mit denen er seine Bedürfnisse befriedigen kann. Wie anders geht es uns an manchen Tagen! Gerade heute sprach ich mit einem Freund über die Strategie des Zusammenziehens. Welche Bedürfnisse erfüllst Du dir, und welche erfüllt sich Deine Freundin, wenn Ihr zusammen zieht? Und gibt es andere Strategien, mit denen Ihr diese Bedürfnisse erfüllen könnt, wenn es doch so schwer ist, unter einem Dach ALLE Bedürfnisse zu befriedigen…?
Oft sind wir gefangen von dem Gedanken, es könne nur eine einzige Strategie geben, mit der wir unsere Bedürfnisse erfüllen können. Dabei entstehen die Konflikte nicht auf der Bedürfnisebene, sondern in aller Regel auf der Strategieebene.


Heute will ich darauf achten, wann ich auf einer einzigen Strategie beharre. Ich will mir bewusst machen, dass es eine Vielzahl von Strategien gibt, mit denen ich meine Bedürfnisse erfüllen kann.

Nur Mut!

Es erfordert Mut, um ein Vorhaben zu beginnen und durchzuführen, und man braucht Mut, um aufzuhören, wenn etwas nicht gut ist.
Richard L. Evans

Ein Freund von mir ist dabei, sich auf die Selbstständigkeit vorzubereiten. Er besucht Kurse, führt Gespräche, knüpft Kontakte, sammelt Ideen. Ich bewundere ihn sehr und achte zugleich darauf, nicht in eine ungesunde, vergleichende Haltung zu kommen: Der traut sich was, und ich…?
Gelegentlich fehlt mir der Mut, ein Wagnis einzugehen. Doch heute mache ich mir deshalb keine Vorwürfe mehr. Ich bin zum Beispiel nicht selbstständig, weil ich die Sicherheit eines festen Arbeitsplatzes (und meine Arbeit) liebe. Meine Arbeit bietet mir Schutz, Selbstbestätigung, Kreativität, Struktur, Verbindung, Begeisterung, Austausch und Wachstum, bestimmt auch noch manches mehr. Wenn ich mich also für das feste Arbeitsverhältnis entscheide, dann deshalb, weil diese Bedürfnisse ganz oben stehen. Es könnte sein, dass es einen Tag gibt, an dem ich den Mut habe, mit dem festen Arbeitsverhältnis Schluss zu machen. Dann werden wahrscheinlich andere Bedürfnisse im Vordergrund stehen, vielleicht nach Autonomie, Authentizität, Anerkennung und Wertschätzung, Vertrauen und Spiritualität. Alles ist im Fluss, und ich darf mich jeden Tag neu entscheiden, welche Strategie meine Bedürfnisse am besten befriedigt. Dabei kann ich Vorhaben beginnen oder Vorhaben beenden.

Heute will ich mir vor Augen halten, dass es viele Strategien gibt, mit denen ich meine Bedürfnisse erfüllen kann. Ich habe die Wahl!

Copyright © 2024 by: Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren! • Template by: BlogPimp Lizenz: Creative Commons BY-NC-SA.