Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Gefühle fühlen

Hallo, Welt!

Irgendwie habe ich mir die Sehne im linken Ellenbogen beschädigt und nun fühlt es sich oft so an, als läge ein fremder Arm neben mir im Bett. Ich habe deshalb ein paar Termine bei meiner Masseurin gebucht und sie hat mich kräftig gewalkt, was zu einigem Miau meinerseits führte. Nach einem ihrer Griffe fragte sie, „wie fühlt sich das an?“ und ich antwortete: „Ganz dumm im Kopf“. Sie war begeistert. „Ich liebe es, dich zu behandeln. Du weißt immer, was du fühlst. Und das ist bei vielen anderen Patienten nicht der Fall.“

Ich weiß natürlich keineswegs immer, was ich fühle. Ganz im Gegenteil. Meist habe ich keine Ahnung, was ich gerade fühle. Und das hat gute Tradition in unserem Wertesystem, in dem die Verstandesleistungen doch so hoch angesehen sind und Gefühle mit Begriffen wie „Weichei“ und „Heulsuse“ diffamiert werden.
Die vergangenen zehn Jahre haben immerhin dafür gesorgt, dass ich wenigstens ÖFTER mal merke, was ich fühle. Zunächst habe ich geübt, wenigstens meine Basisgefühle kennen zu lernen: Freude, Liebe, Wut, Trauer, Angst, Schmerz und Scham. Im Grunde lassen sich alle Begriffe aus unseren GfK-Gefühlsworte-Listen unter diese sieben Begriffe einsortieren oder darauf runterbrechen. Die Basisgefühle haben den Vorteil, dass sie keinen Raum für Interpretationsgefühle lassen. Wenn ich glaube, hintergangen worden zu sein, fühle ich Schmerz und Trauer. Das Basisgefühl zu „manipuliert“ könnte Wut oder Angst oder Schmerz sein. Als ich in meiner ersten GfK-Jahresgruppe von Scham sprach, war eine andere Teilnehmerin vollkommen perplex: Scham sei doch kein Gefühl…?! Oh doch! Scham und Schuld sind Geschwister aus der herrschenden Klasse in einem System von Richtig oder Falsch. (ist das jetzt reif für den Hohlspiegel?)
Also: Der Umgang mit der Gewaltfreien Kommunikation erschließt mir einen leichteren Kontakt zu meinen Gefühlen. Ich werde aufmerksamer mir selbst gegenüber, und ich bin bereit, meinen Gefühlen Aufmerksamkeit zu schenken.
Meine neueste Aufgabe:
Lerne zu fühlen ohne zu urteilen!

Habt Ihr Erfahrungen dazu?

So long!

Ysabelle

Über Selbstverpflichtung

Ich beginne meine Gedanken zum heutigen Tag mit einem untypischen Zitat, nämlich mit der GfK-Tagesmeditation

Peaceful Living
by Mary Mackenzie

Man kann diese Tagesmediationen über die Seite von Puddle Dancer Press abonnieren, es gibt sie auch als Buch, und inzwischen auch auf deutsch.

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„Recovery is about more than walking away. Sometimes it means learning to stay and deal. It’s about building and maintaining relationships that work.“
– Melody Beattie

Day 97: Commitment

Do you ever give up on disagreements by walking away, either temporarily or permanently? Do you ever simply not engage in a conflict because you’re certain the situation cannot be resolved?

Sometimes, taking a break from conflict is a good thing because it gives the people involved a chance to calm themselves. Deciding not to engage can be a good choice.

Many times, though, people give up too soon, which decreases the possibility for resolution. This speaks to their level of commitment. How committed are they to valuing each other’s needs? How committed are they to finding resolution?

If we start a disagreement based on the consciousness that we want to get our own way or that the other person doesn’t care, we diminish the opportunity for success before we’ve even opened our mouth. Commitment is about living from our values even when it’s uncomfortable and tiring. It is a choice.

I once heard a speaker say that he had finally met his soul mate. He asked the audience if they knew how he knew that. They said no, but leaned forward in their seats because they were certain he was going to tell them something important. He said, „I know she’s my soul partner because I say she is.“ He committed himself to her. Consequently, when he and his wife argue, they focus on resolution because they are committed to staying in the relationship. This small shift in attitude has dramatically deepened their relationship.

Meet any disagreement with clarity about your commitment and with the goal of a resolution that values everyone involved. Who are you committed to? Does he or she know it?

Be aware today of whom you are committed to; when you interact with them, be conscious of your commitment.

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So weit das Zitat von meiner Kollegin aus den USA. Als ich den Entschluss fasste, GfK-Tagesmediationen zu schreiben, wusste ich übrigens nicht, dass es schon welche gibt… Umso mehr freut es mich, dass wir uns beide gern auf Melody Beattie beziehen, die unter anderem das Meditationsbuch „Kraft zum Loslassen“ geschrieben hat.

Ich möchte den obigen Text jetzt nicht im Detail übersetzen (auf Anfrage helfe ich gern), aber doch begründen, warum mich die Sätze so angesprochen haben.
Mary Mackenzie fragt, ob wir aus unserem Leben Situationen kennen, in denen wir „einfach“ weggegangen sind in der Annahme, es könne keine gemeinsame Lösung geben? Und sie glaubt, dass diese Entscheidung etwas mit unserem Commitment, unserer Selbstverpflichtung zu tun hat.
Wenn wir eine Meinungsverschiedenheit mit jemandem haben und davon ausgehen, dass es nach unserer Nase gehen soll, oder dass unser Gegenüber sowieso keine Rücksicht nehmen wird, verringern wir die Gelegenheit auf einen Erfolg, noch bevor wir überhaupt den Mund aufgemacht haben. Im Commitment geht es darum, nach unseren Werten zu leben, auch wenn es unbequem ist, und ermüdend.
Und dann beschreibt Mary anhand eines Beispiels, was den Unterschied ausmacht zwischen Commitment und Nicht-Verpflichtung. Liegt mein Augenmerk auf der Lösung des Konflikts, weil mein Gegenüber und ich uns verpflichtet fühlen, in der Beziehung zu bleiben?
ich brauche also Klarheit über mein Commitment, Klarheit darüber, wozu ich mich selbst verpflichtet fühlen möchte. Das Ziel aller Lösungen sollte sein, dass die Werte eines jeden zählen, von Bedeutung sind. Meine, UND Deine.

Mich machen diese Zeilen sehr nachdenklich, weil ich gern von anderen Commitment einfordere, aber jetzt realisiere, dass ich selber gar nicht immer bereit bin, mich dafür einzusetzen. Vor einigen Monaten habe ich in beruflichem Zusammenhang eine Mediation geleitet. Als einer der Teilnehmer erneut in Not geriet und sich an eine andere Stelle wandte, war ich zutiefst frustriert, traurig und stumm. Ich habe nicht um die Verbindung gerungen, aber ich habe der betreffenden Person innerlich „vorgeworfen“, den Geist unserer Vereinbarung nicht eingehalten zu haben. In meinem Leben gibt es verschiedene Verbindungen zu anderen Menschen, in denen ich von anderen gern Commitment sehen würde – so wie ICH es definiere… – aber selber eben keine klaren Schritte auf den anderen zugehe. Mir ist durch diese Worte von Mary Mackenzie noch einmal deutlich geworden, dass ich bei diesem Thema die eine oder andere Baustelle habe und es hier Raum für Trauer, Wachstum und Veränderung ist.


Heute will ich mir Gedanken machen, von welchen Menschen ich mir Commitment im Sinne von sozialer Verbindlichkeit wünsche. Und ich will überprüfen, wie sehr ich bereit bin, mich selbst diesen Menschen zu verpflichten.

Präsenz

Wenn wir über die Worte eines Menschen nachdenken und darauf hören, wie sie in unsere Theorie passen, dann schauen wir auf den Menschen – wir sind nicht bei ihm. Die wichtigste Zutat zur Empathie ist Präsenz. Wir sind ganz da für den anderen und seine Erfahrungen. Diese Qualität der Präsenz unterscheidet Empathie von vernunftmäßigem Verstehen und auch von Mitleid. Auch wenn wir uns manchmal dafür entscheiden, Mitleid zu haben, indem wir das fühlen, was die anderen fühlen, sollten wir uns bewusst machen, dass wir in dem Moment des Mitleidens keine Empathie geben.
Marshall Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation

Was macht empathisches Zuhören aus? „Ich versuche zu wiederholen, was mein Gegenüber sagt“ erzählt eine Frau in einem von Marshalls Workshops. „Aber was wiederhole ich. wenn mein Gegenüber sagt, ‘ich brauche wirklich, dass ER mich liebt‘?“
Und Marshall erklärt: „Ich brauche gar nichts zu wiederholen, ich muss nichts paraphrasieren. Bei Empathie geht es nicht darum, etwas Bestimmtes zu sagen oder zu tun. Es geht um Präsenz!“

Wie geht es jemandem, der sagt: ‘Ich brauche wirklich dass ER mich liebt‘? Ist dieser Mensch vielleicht gerade verzweifelt oder in Not, weil ihm Liebe und Sicherheit fehlen? ich habe immer wieder die erstaunliche Erfahrung gemacht, dass es nicht darauf ankommt, ob ich die Bedürfnisse richtig errate. Es kommt darauf an, ob ich wirklich beim anderen bin, in seinen Schuhen mitlaufe.
Ein empathisches Gespräch ist keineswegs erschöpfend, einseitig oder anstrengend. Wenn wir für eine gewisse Zeit ganz beim anderen sein können, vergessen wir vielleicht sogar für einen kurzen Moment, was uns selbst gerade belastet, und die Freude und Nähe, die uns ein empathischer Kontakt schenken kann, gibt neue Kraft. Wenn mein Gesprächspartner Erleichterung erfahren hat und sich zutiefst verstanden fühlt, ist häufig auch Raum für das, was man selbst auf dem Herzen hat oder darüber zu sprechen, wie es einem mit dem Gehörten ergeht.

Präsenz erfordert auch Mut. Denn es erfordert Mut zu sagen, ich habe heute keine Kapazitäten frei. ich bin erschöpft, ich kann Dir im Moment nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken.

Und Präsenz braucht die Fähigkeit, das Gehörte beim anderen zu lassen. Wir werden nicht verantwortlich für die Lösung des Problems unseres Gesprächspartners. Wir müssen nichts heilen, in Ordnung bringen, richten, wir müssen nicht trösten und nicht beschwichtigen. „Just be“ heißt es so schön knackig im Englischen. Sei einfach.

Heute will ich aufmerksam sein, wann meine Präsenz gut tut. Und ich werde aufmerksam prüfen, ob ich die Kraft habe, mit all meinen Sinnen beim anderen zu sein.

Ratschlagen

Ratschläge sind auch Schläge
Deutsches Sprichwort

Wir Menschen sind soziale Wesen. Nichts bereitet uns größere Freude als das leben unserer Mitmenschen zu bereichern. Leider haben wir in der Wolfswelt nicht so viel Erfahrung damit gesammelt, anderen empathisch zuzuhören. Stattdessen setzen wir oft die Heimwerker-Mütze auf und geben Ratschläge.

Ich habe festgestellt, dass der Impuls, jemand anderem zu sagen, wie er etwas tun oder lassen soll, mit längerem Gebrauch der GfK nachlässt. Stattdessen gelingt es mir immer besser und immer öfter, wirklich nur zuzuhören und zurückzumelden, was bei mir angekommen ist. Immer und immer wieder spüre ich am eigenen Leib, wie wundervoll es sich anfühlt, wenn einfach jemand einfühlsam zuhört.

Unlängst meinte es jemand sehr gut mit mir und machte mir Vorschläge, wie ich mich in einer bestimmten Situation verhalten könne oder solle. An meinen guten Tagen kann ich solche Ratschläge hören und übersetzen. An sehr guten Tagen kann ich meinem Gesprächspartner sogar zurückmelden, welche Gefühle und Bedürfnisse ich aus seinen Äußerungen wahrgenommen habe. An schlechten Tagen bin ich damit beschäftigt, mir selbst Empathie zu geben und meine Wölfe zu beruhigen.

So hatte ich ein paar Jahre die Überzeugung, das Erteilen von Ratschlägen sei gefährlich, unerwünscht, „falsch“. Meine eigene Neigung Ratschläge zu geben führt mich heute immer öfter zu mir: Wie geht es mir, wenn ich diese Information von meinem Gegenüber erhalte? Was ist in mir lebendig, dass ich in dieser Situation so sehr versucht bin, eine Empfehlung auszusprechen? Eine schwierige, spannende Übung, die mich immer wieder zu mir selbst führt und mich mit meinem tiefen Bedürfnis nach Beitragen in Kontakt bringt.

Also lehne ich Ratschläge ab? Aber nein! Unendlich viele Menschen um mich herum haben ein Spezialwissen, von dem ich wunderbar profitieren kann. Sie können mir sagen, welche Haken ich brauche, um ein Bild aufzuhängen. Sie können mir Tipps zum Kraftstoff sparenden Autofahren oder für eine Abkürzung geben. Sie wissen, wie man einen Flecken aus der Wildlederjacke entfernt oder der Katze eine Wurmkur einflößt. Ich bin dankbar, wenn sie mir von ihren Erfahrungen berichten und wenn sie mich darin unterstützen, meine Probleme zu lösen. Der Unterschied zu früher ist: Heute wird immer immer klarer, wann ich mir einen Ratschlag wünsche und wann ich Empathie brauche. Und es gelingt mir immer besser, genau um das zu bitten, was mir gerade gut tut.

Heute will ich aufmerksam beobachten, ob ich anderen ungefragt einen Rat gebe. Ist das der Fall, werde ich liebevoll überprüfen, welches Bedürfnis ich mir damit erfülle.

Ich muss … ich soll …

„Den meisten Leuten sollte man in ihr Wappen schreiben: Wann eigentlich, wenn nicht jetzt?“ Kurt Tucholsky, Schnipsel

Es gibt ein zwei Worte in unserer Sprache, die uns so richtig in Schwung halten. Sie heißen „müssen“ und „sollen“. Und beide gehen nicht gut mit der gewaltfreien Kommunikation zusammen.

Marshall Rosenberg

Marshall Rosenberg erzählt von einer Lehrerin, die unzufrieden damit war, den Kindern Noten zu geben. „Ich muss es tun“, sagte sie frustriert. Gemeinsam fanden sie heraus, dass sich die Lehrerin entschieden hatte, Noten zu geben, denn anderenfalls hätte sie ihren Job verloren. Da sie ihre Arbeit behalten wollte, entschied sie sich, die Leistung der Kinder zu zensieren.

Marshall selbst fühlte in jungen Jahren genervt und frustriert, weil er von sich glaubte, viele quälende Verpflichtungen zu haben. Eines Tages entschied er sich eine Liste aller Dinge zu machen, von denen er glaubte, sie tun zu müssen. Dann ersetzte er „ich muss<…> “ durch die Formulierung „ich entscheide mich, <…> zu tun, weil ich <…>.

Besonders verhasst war ihm das Schreiben von Arztbriefen. Als er seinem „Ich muss Arztbriefe schreiben“ nachspürte stellte er fest, dass der neue Satz vollständig lautete „ich entscheide mich, Arztbriefe zu schreiben, weil ich die Einnahmen aus dem Job brauche“. Als er sich dieser Kausalität bewusst wurde, gab er die Arbeit im Krankenhaus auf und hat von Stunde an nach eigenem Bekenntnis keinen einzigen Arztbrief mehr geschrieben.

Ein weiteres „ich muss“ war auf seiner Liste die Tatsache, dass er zwei Mal pro Woche seine Kinder zu einer weit entfernten Schule fahren musste. Als er diese Aussage umformulierte in „ich entscheide mich, die Kinder an die andere Schule zu bringen, weil mir die Vermittlung bestimmter Werte an dieser Schule so wichtig ist und sie mir mehr zusagt als die Schule bei uns in der Nachbarschaft“, fühlte er sich mit seinem Fahrdienst sehr versöhnt.
Sicher haben auch wir solche „Soll“ und „muss“ in unseren Alltag integriert. Ich muss früh aufstehen, ich soll die Ablage machen, ich muss diesen Brief noch schreiben, ich muss die Wäsche aufhängen, ich soll dieses Konzept noch zu Ende bringen…

Mit „muss“ und „soll“ liefern wir uns selbst vermeintlich fordernden „höheren“ Mächten aus und verdrängen dabei, dass wir in den allermeisten Fällen eine Wahl haben. Wenn wir uns auf unsere Entscheidungsfreiheit besinnen, gewinnen wir neue Kraft und können unsere Energie auf das verwenden, was wir von ganzem Herzen in unserem Leben tun möchten.

Heute will aufmerksam zur Kenntnis nehmen, wann ich annehme, etwas tun zu müssen oder tun zu sollen. Ich werde mich fragen, welches wundervolle Bedürfnis ich mir damit erfülle, wenn ich diesen Anforderungen nachkomme.

Familienbande

„Eine Familie, die leiblich und geistig vereint ist, gehört zu den seltenen Ausnahmen.“
Honoré de Balzac, „Une fille d’Eve“, 1838

Wohl keine Verbindung kann uns so sehr bereichern oder strapazieren wie die zu unseren Familienmitgliedern. Zwischen Eltern und Kindern kracht es gelegentlich ebenso heftig wie unter Geschwistern. Und das Fatale an der Sache: Es wird mit zunehmendem Alter nicht weniger. Vielleicht haben wir resigniert: „So ist Mutter halt…“ oder „das werden die Kinder nie lernen“. Denn wirklichen Frieden in der Familie müssen wir uns leider oft erst hart erarbeiten.

Marshall Rosenberg erzählt von einer jungen Frau, die in einer Einrichtung für Drogenabhängige arbeitete und eines Abends in Lebensgefahr geriet. Einer der Besucher bedrohte sie mit einem Messer, weil sie ihm kein Zimmer geben konnte. Dank der Gewaltfreien Kommunikation gelang es ihr, dem Mann so viel Empathie zu geben, dass er schließlich von ihr abließ. „Aber wenn dir das so gut gelingt, was willst du dann hier noch lernen?“, fragte Marshall Rosenberg die Frau. „Oh, jetzt wird es erst richtig schwierig“, meinte sie. „Jetzt möchte ich mit meiner Mutter zurecht kommen!“

Oft ist es so, dass wir bei Familienangehörigen keinen guten Schutz finden. Viele Aussagen, Blicke, Seufzer, Achselzucken, Schweigen gehen direkt an allen erworbenen Konfliktfähigkeiten vorbei ins Schwarze. Oder wir sind selbst in einer Situation, in der wir austeilen bevor wir uns darüber im Klaren sind, was eigentlich gerade bei uns los ist.

Was können wir tun, wenn uns der Frieden in der Familie so kostbar ist, aber nicht zu gelingen scheint?

Drei Dinge möchte ich von Herzen empfehlen:
Atmen, Selbstempathie und Zeit.
Bevor wir auf einen Satz, den wir schlecht hören können, reagieren, gibt es immer noch die Möglichkeit, drei Mal tief durchzuschnaufen. Dann folgt eine Frage, die uns viel Ärger ersparen kann: „Wie geht es mir, wenn ich das höre?“
Wenn wir uns bewusst werden, welche Bedürfnisse in uns gerade unerfüllt sind, wird es mit Sicherheit leichter, auf unser Gegenüber zu reagieren. Und schließlich dürfen wir uns Zeit nehmen um zu überprüfen, was wir jetzt brauchen. Ist ein Spaziergang angesagt oder eine Verständnisbitte? Benötigen wir eine Pause oder vielleicht eine Schulter zum Anlehnen? Erst wenn wir ganz bei uns angekommen sind, wird der Raum weit für die Verbindung zu unserem Nächsten.

Heute will ich aufmerksam verfolgen, wann die Aussagen meiner Familienmitglieder intensive Gefühle bei mir auslösen. Sie sind der Wegweiser zu meinen wunderbaren Bedürfnissen.

Vorankündigung

Hallo, Welt!
Heute Nacht gibt es ein Posting zum Thema „Familienbande“, ich hoffe auf rege Diskussion.

So long,
Ysabelle

Pflichten und Loslassen

Hallo, Welt!

Ich sprach gestern mit Markus. Er erzählte, dass er hier mit dem Lesen kaum noch hinterher kommt.
Dann telefonierte ich vorhin mit Tabasco, und sie hat mich ermutigt, mir Zeit für mich zu nehmen. Also gebe ich mir heute die Erlaubnis, ohne Tagesmeditation für morgen ins Bett zu gehen. Ich fühle eine starke Verpflichtung, jeden Abend etwas Sinnvolles zu produzieren. Aber nicht jeden Abend fliegt mir etwas Sinnvolles zu.
Also:
Meditationspause.
Dafür heute ein Song von Karen Taylor-Good, den sie für alle Welt zur Verfügung stellt und der voller Liebe, aber auch ziemlich traurig ist.
Precious_Child_by_Karen_Taylor-Good

So long!

Ysabelle

Sei selbstsüchtig (2)

Sich um uns selbst zu kümmern, ist nicht so egoistisch, wie manche Menschen annehmen<...>.

Aus: Melody Beattie, „Die Sucht, gebraucht zu werden“

Es gibt zwei Möglichkeiten zu hören, du bist selbstsüchtig/egoistisch. Zum einen sagen wir es uns vielleicht selbst, wenn wir etwas tun, was wirklich nur wir tun wollen. Allein ausgehen, pünktlich Feierabend machen, einen Mittagsschlaf einlegen. Dann ist unser Freund, der Wolf, dabei, uns darauf aufmerksam zu machen, dass unser Verhalten vielleicht nicht auf breite Zustimmung stößt und er will uns vor Schaden bewahren.

Oder ein Außenstehender konfrontiert uns mit dieser Aussage: Du bist ja so egoistisch!
Was heißt das für uns?
Die erste Ubersetzungsarbeit ergibt vielleicht: Meine Handlungen oder Unterlassungen stehen nicht in Harmonie mit den Werten und Wünschen meines Gegenübers.

Vielleicht muss ich mir an dieser Stelle klarmachen: Wenn ich jetzt exakt das tue, was mein Gegenüber erwartet, erfülle ich nicht meine eigenen Bedürfnisse.
Und es stellt sich die Frage: Wenn von mir verlangt wird, auf die Erfüllung meiner eigenen Bedürfnisse zu verzichten, ist das dann etwas, was meinem Wohlbefinden dient? Und bin ich dann verpflichtet, diesem Wünschen, Drängen oder manchmal auch unausgesprochenen Erwartungen zu genügen?
Wenn wir so theoretisch auf die Fakten gucken, scheint es leicht zu sagen: Nein, ich bin nicht für die Erfüllung deiner Wünsche, Bedürfnisse und Erwartungen verantwortlich. Im wahren Leben ist es wahrscheinlicher, dass wir arg ins Trudeln kommen in unserem Wunsch, es allen Recht zu machen und trotzdem Sorge zu tragen für uns selbst.
Don’t do it, if it is not fun, sagt Marshall. Mache es nicht, wenn es Dir keine Freude bereitet! Denn wenn wir uns verbiegen, um es dem anderen Recht zu machen, werden alle dafür bezahlen. Wir selbst, weil wir nicht das tun, was aus unserem tiefsten Herzen kommt. Und der andere, weil wir nicht wirklich freiwillig geben, was von uns erwartet wird, sondern aus Angst, Sorge, Frustration oder Scham.

Was brauchen wir, um uns um uns selbst kümmern zu können? Vielleicht ist es die Gewissheit, dass es unsere vornehmste Pflicht ist, uns selbst zunächst mit allem zu versorgen, was wir für unser körperliches und spirituelles Wohlergehen brauchen. Und das ist kein von der GfK inspirierter Ego-Trip, sondern eine Jahrtausende alte Weisheit: So ihr das königliche Gesetz erfüllet nach der Schrift: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst,“ so tut ihr wohl; heißt es bei Jakobus 2,8 und an zahlreichen anderen Stellen in der Bibel.

Selbstsüchtig sein – das heißt: Ich bin für mein Wohl verantwortlich. Ich nehme mein Leben, mein Schicksal, mein Wohlergehen in meine Hände. Und die GfK ergänzt: Deine Bedürfnisse sind mir so wchtig wie meine. Was kann ich tun, um dein Leben zu bereichern?

Heute will ich wachsam sein, ob ich meine Interessen auch wirklich wahrnehme. Ich will mich daran erinnern, dass ich für die Erfüllung meiner Bedürfnisse verantwortlich bin.

Sei selbstsüchtig (1)

7. Versprechen: Unsere Ich-Bezogenheit wird in den Hintergrund treten, das Interesse an unseren Mitmenschen wird wachsen.
Aus: Die 12 Versprechen der Anonymen Alkoholiker

Da lesen wir in dem Text zu den 12 Versprechen der Anonymen Alkoholiker (eine spirituelle Gemeinschaft), Unsere Ich-Bezogenheit wird in den Hintergrund treten, und darunter setze ich ein Video, in dem der Amerikaner Vagabond Steve dazu aufruft, selbstsüchtig zu sein. Wie passt das zusammen? Damit werden wir uns in zwei Tagesmeditationen beschäftigen.

Ich-Bezogenheit und „being selfish“ – nur unzureichend übersetzt mit „selbstsüchtig sein“ – bezeichnet in meinen Augen zwei sehr verschiedene Dinge.
Ich-Bezogenheit bedeutet für mich: Alles was um mich herum geschieht, beziehe ich auf mich.
Der Chef grüßt mich nicht? Ich habe einen Fehler gemacht. Die Freundin ruft nicht an? Sicher ist sie nicht mehr an mir interessiert. Der Partner grummelt? Vielleicht habe ich ihn verärgert. Was immer in unserem Leben geschieht – wir beziehen es auf uns.

Aus dieser Sicht auf die Welt kann sich eine Vielzahl von Problemen ergeben. Zum einen sind wir meist ständig besorgt, alles richtig zu machen, es dem anderen, allen anderen stets Recht zu machen, um der befürchteten Kritik zuvorzukommen.

Zum Zweiten sind wir aber auch irgendwo tief in unserem Inneresten überzeugt, dass wir es in der Hand haben, andere Menschen glücklich zu machen. Wenn sie uns nur ließen… wenn nur alles nach unserem Plan abliefe… wenn wir nur den Lauf der Welt kontrollieren könnten…

Die Vorstellung, wir seien für alles verantwortlich, an allem schuld, und letztendlich auch irgendwie in der Lage, alles zu richten, stammt aus frühen Kindertagen.
Wir erwerben sie aus Botschaften, die lauten: „Mami ist traurig, wenn du dein Zimmer nicht aufräumst“ oder „Oma kriegt einen Herzanfall, wenn du nicht lieb bist!“ Hier haben Erwachsene eine „Macht“ und Verantwortung in die Hände von Kindern gegeben, für die die Kinder in keiner Weise zuständig sind. „Ich bin <...>, weil du <...>

In der Gewaltfreien Kommunikation lernen wir, dass wir für die Gefühle der anderen nicht verantwortlich sind. Andere Menschen haben Gefühle, weil ihre Bedürfnisse erfüllt oder unerfüllt sind. Ich fühle <...>, weil ich <...>

Und dann ist der Chef vielleicht verärgert, weil kein Kaffee mehr da ist und damit sein Bedürfnis nach Entspannung und „Verpflegung“ nicht erfüllt ist. Die Freundin ruft nicht an, weil sie zu viel um die Ohren hat und keine Zeit findet, ausgiebig zu telefonieren, und der Partner grummelt, weil er müde ist und sein Bedürfnis nach Erholung und Ausgleich nicht erfüllt ist. Nichts davon hat etwas mit mir zu tun. Mit mir ist nichts falsch. Meine Ichbezogenheit wird in den Hintergrund treten und ich kann mich mit neuem Interesse an meinen Nächsten wenden: Wie geht es Dir? Was brauchst Du?

Heute will ich darauf achten, ob ich meine Welt auf mich beziehe. Wenn ich es tue, trete ich einen Schritt zurück und erinnere mich daran, dass ich für die Gefühle anderer Menschen nich verantwortlich bin.

Abschied vom Perfektionismus

Aus dem Versuch, perfekt zu sein, erwächst viel Schmerz. Perfektion ist unerreichbar, wenn wir sie nicht unter einem neuen Aspekt sehen: Perfekt zu sein, so zu sein, wie wir heute sind, und dort zu stehen, wo wir heute stehen; uns so zu akzeptieren und zu lieben wie wir sind. Wir sind genau an der richtigen Stelle, dort, wo wir in unserem Heilungsprozess sein müssen.
Melody Beattie, Kraft zum Loslassen

Der Blick in den Spiegel zeigt bei den meisten von uns: Perfekt ist etwas anderes. Ein Pickel auf der Wange, die Frisur könnte eine Überarbeitung vertragen. Cellulite an den Oberschenkeln, ein freundlicher Waschbärbauch. So geht die Prüfung weiter: Das Gespräch mit dem Kunden lief unglücklich, der Schreibtisch sieht aus, als hätte jemand eine Altpapiertonne darauf entleert. Die Blumen vertrocknet, das selbst gekochte Essen fad und unspektakulär. Ist es nicht faszinierend, wie viele Anlässe wir an nur einem einzigen Tag finden können, um uns niederzumachen?

„Wenn du dein Leben wirklich elend machen willst, vergleiche dich mit anderen“, schlägt Marshall Rosenberg im Scherz vor. Heidi Klum, Mutter von vier Kindern, hatte bereits wenige Wochen nach der letzten Niederkunft ihre Traumfigur zurück. Mozart schrieb schon im Alter von acht Jahren wunderbare Kompositionen und sprach mehrere Sprachen fließend. Und du schaffst es nicht mal, Bratkartoffeln vernünftig zu würzen…

Leider haben wir häufig an uns selbst Anforderungen, die ein normaler Mensch gar nicht erfüllen kann. Angefeuert werden wir dazu von einem inneren Antreiber, der von uns fordert: Sei perfekt! Zumeist haben wir diesen Antreiber bereits in unserer Kindheit kennen gelernt, als wir eine Botschaft vernommen haben, die da lautet:

du bist nur dann ok, wenn du alles richtig machst.

Kindheit im vorigen Jahrhundert

Wer von diesem Antreiber befeuert wird, will immer alles sehr gründlich machen. Auch an andere stellt er in der Regel hohe Anforderungen. Aufgaben werden oft übererfüllt, Perfektion steht ohne Rücksicht auf Kosten oder Zeitaufwand an erster Stelle. Anerkennung gibt es nur für absolut fehlerfreie Leistung. Und: Wenn eine Leistung nicht perfekt ist, fühlen sich die Verursacher oft unter Rechtfertigungszwang.

Wenn wir uns an solchen überdimensionalen Maßstäben messen, kann es leicht passieren, dass wir uns selbst immer wieder für unzureichend halten oder uns weit über unsere Kräfte zu Leistungen zwingen.

Doch wie können wir diesem inneren Antreiber den Stellenwert einräumen, der ihm zusteht, uns aber nicht von Perfektionismus terrorisieren lassen?

Zum Glück gibt es einen Persönlichkeitsanteil, der hier eine andere Komponente unseres Seins vertritt: Unseren Erlauber. Er steht für die Botschaften:

So wie du bist, bist du gut genug
Du darfst Fehler machen
Du darfst mit anderen nachsichtig sein, wenn sie Fehler machen
Du brauchst dich nicht ständig zu rechtfertigen

Zusammen mit einigen anderen Werkzeugen können uns diese neuen Glaubenssätze im Laufe der Zeit zu einer neuen Sicht auf die Welt verhelfen. Wir müssen sicht perfekt sein. Wir sind liebenswert, auch wenn wir Fehler machen!

Heute will ich aufmerksam beobachten, ob mein Perfektionismus sich zu Wort meldet. Ich werde mir vergegenwärtigen, dass er mein Bestes im Sinn hat und mir dann ins Gedächtnis rufen, dass ich auch liebenswert bin, wenn ich Fehler mache.

Mein eigener Deibel…

Hallo, Welt!

Heute Abend bin ich mal wieder mein eigener Teufel.
Ich hatte neulich ein Posting geschrieben, was als Tagesmeditation gedacht war. Aber je länger ich darauf rumkaue, desto weniger gefällt es mir an der Stelle. Nun habe ich mich entschlossen, die Kategorie zu ändern und den Text in mein Tagebuch zu nehmen. Und jetzt bin ich unzufrieden, dass ich für den betreffenden Tag keine Tagesmeditation mehr habe. Ich könnte gerade ein bisschen Einfühlung gebrauchen! Perfektionismus ist schon eine schwere Bürde. Oh – schwups – da hätte ich dann ja gleich mal ein Thema für die morgige Tagesmeditation! Ist das nicht wunderbar?

So long!

Ysabelle

Das Schweigen der Unbewussten

„Es ist die Verantwortung von allen, die in Freiheit leben, ihre Meinung zu äußern. Immer!“ -Morgan Freeman, Stern Nr. 36/2008 vom 28. August 2008, S. 144

Wir leben in einem Rechtsstaat, das Recht auf freie Meinungsäußerung ist im Grundgesetz verbrieft. Eine schöne Theorie, denn tagtäglich gibt es Situationen, in denen wir eben nicht unsere Meinung äußern.

Manchmal kriegt man kein Wort heraus

Der Chef bezieht ständig den Kollegen, aber nicht mich ein. Spreche ich ihn darauf an? Der junge Mann neben mir in der U-Bahn, dessen MP3-Player so laut dröhnt, dass ich mich kaum auf meine Zeitung konzentrieren kann – kriege ich die Zähne auseinander? Der Freund, der sich Monate nicht meldet – mache ich meinem Frust Luft? Die Partnerin, die schon das dritte Mal hintereinander keine Luft auf Sex hat – gebe ich zu erkennen, wie es mir damit geht?

In vielen Alltagssituationen entscheiden wir uns bewusst dafür, von unserem verbrieften Recht auf freie Meinungsäußerung keinen Gebrauch zu haben. Wir fürchten Nachteile, Spannungen, Liebesentzug, Aufkündigung der Freundschaft, eisiges Schweigen oder gar Gewalt.

Wenn wir mit Giraffenohren unterwegs sind, fällt es uns meist leichter zu formulieren, was uns am Herzen liegt. Wenn es uns schon oft gelungen ist, Probleme anzusprechen und gewaltfrei zu lösen, gehen wir bestimmt entspannter in ein solches Gespräch.

Was brauchen wir, damit wir von ganzem Herzen bereit sind, uns offen für unsere Belange einzusetzen? Sicherheit, Klarheit, Verbindung und vielleicht noch manche mehr. Doch eines braucht es an erster Stelle: Ein Bewusstsein dafür, dass dass wir gerade schweigen, statt für uns einzutreten.


Heute will ich meinen Blick auf die Situationen richten, in denen ich nicht für mich einstehe. Ich will überprüfen, was ich brauche, um meinen Standpunkt zu vertreten.

Von Menschen und Telefonaten

Die GFK entwickelt ihre Kraft und Schönheit nur da, wo Menschen in die Tiefe ihres Herzens gehen. Gewaltfreiheit ist nicht billig zu haben. Sie kostet uns etwas. Sie kostet Zeit. Sie kostet Wahrhaftigkeit. Sie kostet uns den Schmerz, unsere Wolfsshow zuzulassen und zu durchdringen. Sie kostet die Mühe der Selbstreflexion.
Gerlinde R. Fritsch, erschienen in der Zeitschrift Kommunikation & Seminar 1/2009; mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Neulich telefonierte ich mit einer Kundin, bei deren Mann eine schwere Erkrankung festgestellt worden war. Sie redete wortreich über die Krankheit, und ihren Mann, den Arzt, die Medikamentierung… Drei Mal habe ich sie unterbrochen, um von ihr zu hören, wie es ihr geht. Beim dritten Mal fing sie an zu weinen und sagte: Ich habe solche Angst, dass er stirbt… Und es tat mir gut, bei ihr sein zu können.

Vorige Woche bekam ich einen Anruf von einer Frau, die mit einem früheren Freund von mir verpartnert war. Sie redete lange und mit intensiven Gefühlen über das, was ihr ihrer Ansicht nach angetan worden war. Ich merkte, dass ich es nicht aushalten konnte: Er ist… und … er hat… und … immer macht er… In meiner Not habe ich schließlich gebrüllt: Ich bin nicht bereit, über diesen Mann zu reden. Aber ich höre dir gern zu, wenn du über dich reden willst…!

GfK ist nichts für Weicheier, sagt Marshall. Wenn ich mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen in Verbindung bin und die Haltung der GfK leben möchte, führt das unter Umständen dazu, dass sich andere Leute vor den Kopf gestoßen fühlen. Es führt dazu, dass ich im Gespräch sage, das möchte ich nicht hören. Es führt dazu, dass ich Entscheidungen treffe, die anderen Menschen so nicht recht sind. und vor allem führt es dazu, dass ich mich immer wieder liebevoll auf den Prüfstand stelle.

Heute Abend rief mich eine Bekannte an. Sie brachte ihr Bedauern zum Ausdruck, dass ich nur noch selten bei einer Veranstaltung bin, die wir ein paar Jahre gemeinsam besucht hatten. Dort war es im vorigen Jahr zu einem Vorfall gekommen, als ich durch den Abend führte. Eine Frau hatte sich lautstark darüber beschwert, dass ich nicht hatte lüften lassen. Dann beschimpfte sie mich. Die Versammlung saß schweigend da, und in meinem eigenen Entsetzen über die Macht des Ausbruchs konnte ich mich nur daran klammern, mit Giraffenohren zuzuhören, was die Frau die so laut und schnell sprach, wohl brauchte: frische Luft, Autonomie, Respekt…
ich habe es bis zu diesem Telefonat heute Abend versäumt nachzuspüren, was ich eigentlich in der Situation im vorigen Jahr brauchte. Stattdessen hatte ich den Rückzug angetreten, mich in der Veranstaltung nur noch selten zu Wort gemeldet, war immer seltener hingegangen. Ich habe die Beziehung, die dort bestand, untergraben, indem ich nicht offen gesagt habe, was meine Gefühle, vor allem aber meine Bedürfnisse im Hier und Jetzt waren. Und ich habe mich bei der Bekannten dafür von Herzen bedankt, dass durch ihren Anruf für mich deutlich geworden ist, dass ich mich selbst nicht wahrgenommen habe.

Gibt es eine Lektion aus diesen drei Telefonaten, die so ganz unterschiedlich waren?
Alle drei Gespräche zeigen mir, wie wichtig es für mich ist, mit mir selbst in Verbindung zu sein. Wie geht es mir? Was brauche ich? Sie zeigen mir, dass echte Verbindung zu anderen nur möglich ist, wenn ich bei mir bin. Wie geht es Dir? Was brauchst Du?

Vielleicht gelingt es mir irgendwann schneller als in der Situation voriges Jahr im August. Vielleicht kann ich es irgendwann verbindlicher sagen als Sonntag vor einer Woche, als ich gebrüllt habe: Ich bin nicht bereit, über diesen Mann zu reden! Vielleicht schaffe ich es eines Tages Einfühlung zu geben, ohne Menschen zu unterbrechen, wie bei der Kundin, deren Mann erkrankt ist. Aber ich kann erkennen, dass ich auf dem Weg bin, und ich gehe diesen Weg an jedem meiner Tage so gut ich nur kann. In der Rückschau erkenne ich, dass ich von August bis heute ein gutes Stück vorangekommen bin.

Heute will ich in die Tiefe meines Herzens gehen und mich der Mühe der Selbstreflexion unterziehen. Ich will meine Wolfsshow zulassen und die Früchte aus meinen Urteilen ernten.

Zwei Aktivisten

<...> Bisher habe ich auch nur über den inneren Richter gesprochen. Es gibt noch einen zweiten sehr wichtigen Teil in uns, ich nenne ihn den inneren Entscheider. In diesem Fall müssen wir mit dem inneren Entscheider sprechen. Er ist derjenige, der dafür sorgt, in jedem einzelnen Moment, dass unser Leben erfüllt und schön ist. Er hat den Auftrag, uns zu nähren und für uns zu sorgen.

Marshall B. Rosenberg, Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation, S. 37

In der Welt der Gewaltfreien Kommunikation lernen wir, dass wir keine Fehler machen. Wir verhalten und so gut, sinnstiftend, verantwortlich, wie es uns gerade möglich ist. In den meisten Fällen kommt jedoch nach einer Handlung der Innere Richter und verteilt die Haltungsnoten für das, was er von unserem Verhalten gesehen hat. Dabei kann es passieren, dass der Richter den Nutzen dessen, was unser innerer Entscheider für richtig gehalten hat, nicht besonders hoch einschätzt, um es mal vorsichtig zu formulieren.

Das ist der Moment, in dem wir uns ins Gedächtnis rufen wollen, dass beide, Entscheider und Richter, wirklich nur unser Bestes wollen. Beide gehören in das gleiche Team, unser Wohlergehen ist ihr oberstes Ziel.

Wenn sich herausstellt, dass es zwei verschiedene Meinungen gibt über das, was unserem Besten dient, entsteht daraus jedoch kein Richtig oder Falsch. Der Entscheider, der die sündhaft teuren Schuhe oder den exquisiten Golfschläger eingekauft hat, der entschied, noch schnell die Sportübertragung zu Ende zu schauen, bevor er die Omi anruft (und dann ist es auf einmal zu spät, um noch anzurufen), tat es aus wunderbaren Gründen. Er entschied eben genau so und nicht anders, um uns eines oder mehrere unserer Bedürfnisse zu erfüllen. Und dabei konnte es passieren, dass andere Bedürfnisse, zum Beispiel nach sorgsamem Umgang mit unseren (finanziellen) Ressourcen oder das Bedürfnis nach Verbindung (zur Omi) zu kurz gekommen sind. Jetzt ist es Zeit, unserem Entscheider und unserem inneren Richter Einfühlung zu geben und zu überprüfen, ob sie für mich eine wunderbare Lektion auf Lager haben, aus denen ich lernen kann, beim nächsten Mal möglichst alle meine Bedürfnisse zu befriedigen.

Ich habe mich selbst lange wegen einer Handlung gequält, die ich in einer bestimmten Situation unternommen habe, und die ich 15 Jahre lang zutiefst bereut habe. Als ich in der Lage war, meinem Richter und meinem Entscheider von Herzen Einfühlung zu geben, war ich in der Lage, mir selbst zu verzeihen.

Heute will ich dafür aufmerksam werden, wann mein Entscheider eingreift und wie mein Richter diese Entscheidungen kommentiert.

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