Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Komm und spiel mit meinem Schmerz…

„Ohne Mitleiden ist kein Mitfreuen.“ – Franz von Baader, Vierzig Sätze aus einer religiösen Erotik. In: Sämmtliche Werke. 4. Band. Hrsg. von Franz Hoffmann. Leipzig: Bethmann, 1853. S. 193.

Mitleid ist eine Empfindung, die in der Gewaltfreien Kommunikation nicht vorgesehen ist. Ist das gefühllos? Roh? Marshall Rosenberg schreibt in einem seiner Bücher von einer Freundin, die schwer erkrankt war, und ihn bat: „Komm und spiele mit meinem Schmerz!“ Das mag zunächst sehr befremdlich klingen, beinhaltet aber ein besonderes Geschenk. Häufig ist es so, dass es für denjenigen, der mit einer schwierigen Lebenslage fertig werden muss, noch schwieriger wird, wenn andere augenscheinlich darüber völlig verzweifelt sind. Der Krebspatient, der eigentlich alle Kraft auf seine Genesung konzentrieren möchte, tröstet nun auf einmal seine Angehörigen, die mit der Situation nicht fertig werden. Sie bemitleiden ihn und er versucht ihnen Kraft zu geben – ist das sinnvoll? Ist das hilfreich? Ich vermute, dass jemand, der schwer krank ist, nicht noch die Energie hat, sein Gegenüber zu trösten.

Manchmal kommt es auch vor, dass Menschen im Versuch zu trösten den Schmerz des anderen klein reden. „Jetzt lass dich bloß nicht hängen“, sagen sie dann. Oder „Kopf hoch, es kommen auch wieder bessere Zeiten!“ Oder „Du Arme, das ist ja auch wirklich schwer für Dich!“ All diesen Äußerungen ist eins gemeinsam_ Weder ist der Sprecher bei sich – „Wie geht es mir, wenn ich dies höre?“ – , noch ist er bei seinem Gegenüber – „Wie geht es Dir, wenn du so sprichst?“ Im Englischen haben wir den Begriff „to talk down to someone“, im Deutschen würde man vielleicht sagen „von oben herab sprechen“, was es aber nicht ganz trifft. Wenn ich dem anderen sage, er solle sich nicht so hängen lassen, ordne ich sein Verhalten ein in die berüchtigte Skala zwischen Richtig und Falsch. Hängen lassen ist falsch, zusammenreißen ist richtig. Und wenn ich den anderen bemitleide, „oh, du Armes, wie schrecklich ist das alles!“, besteht die Gefahr, ihn klein zu machen und ich verpasse vielleicht die Chance, wirklich empathisch für ihn da zu sein.

Mitleid macht uns handlungsunfähig oder lässt uns vergessen, wo wir selber stehen, was unsere ureigene Aufgabe ist. Wir können unser Gegenüber, das gerade schwer zu kämpfen hat, besser unterstützen und liebevoll begleiten, wenn wir „in seinen Schuhen mitlaufen“. Wenn wir uns empathisch verbinden, ohne zu verschmelzen, ohne die Probleme des anderen lösen zu wollen, sind wir belastbare Freunde, auf die in der Not Verlass ist. Wir können den Schmerz unseres Mitmenschen ertragen, ohne ihm dabei eine zusätzliche Last zu werden.

Heute will ich in mich hineinspüren, wo mich Mitleid anfliegt. Was brauche ich, wenn mich die Probleme anderer Menschen in dieser Weise berühren?

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