Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Liebe – Gefühl oder Bedürfnis?

Aus: Konflikte lösen mit gewaltfreier Kommunikation, S. 87 ff,
Gabriele Seils im Interview mit Marshall Rosenberg


Dann glauben Sie also nicht an die schöne Idee, dass zwei Menschen ein Leben lang zusammen bleiben?

ich glaube, wenn zwei Menschen sich immer wieder ehrlich über ihre Vorstellungen und Absichten austauschen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Beziehung ein Leben lang hält, größer als wenn sie es nicht tun. Wenn man sich immer wieder neu über die Bedürfnisse und die gemeinsamen und unterschiedlichen Strategien klar wird und aufmerksam dafür ist, was die Nähe und Verbundenheit gefährden könnte, dann ist die Basis der Beziehung irgendwann so gut und wertvoll, dass man sich freiwillig immer wieder dafür entscheidet.

Seite 84 ff

…was ist Liebe?

Die gewaltfreie Kommunikation hat sich ja genau aus dieser Frage entwickelt. Was ist Liebe? Wie können wir Liebe leben? Und ich denke, wir zeigen einander Liebe, indem wir uns empathisch miteinander verbinden, indem wir einander offenbaren, was uns bewegt, und indem wir sicherstellen, dass diese Verbindung ausschließlich aus dem Bedürfnis nach Mitgefühl motiviert ist.
Die meisten Menschen definieren Liebe völlig anders, sie denken, Liebe ist ein Gefühl.
Wenn Sie also Ihren Partner/Partnerin fragen, „Liebst Du mich?“, dann fragen Sie, wenn man ganz genau hinschaut, eigentlich etwas anderes. Sie fragen:
Hast Du warme, zärtliche Gefühle für mich? Und Gefühle verändern sich, sie können von einem Moment zum nächsten ganz anders sein. Deshalb wäre eine ehrliche Antwort auf die Frage „Liebst Du mich?“ „Wann denn?“ Jetzt in diesem Moment? Oder möchtest Du, dass ich eine Prognose darüber abgebe, wie viele Minuten im nächsten Monat ich diese warmen, zärtlichen Gefühle für Dich haben werde?“ Eine solche Reaktion würde den Fragenden sicher irritieren oder ärgern, und er würde wissen wollen, „ja, was denn nun, hast Du diese Gefühle für mich oder nicht?“ Aber diese Frage kann man nicht so grundsätzlich beantworten, sondern nur in Bezug auf einen bestimmten Kontext oder Zeitpunkt. Viele Paare tun sich Gewalt an, weil sie von Liebe sprechen und ihnen gar nicht klar ist, was sie selbst unter dem Begriff Liebe verstehen. <...>

Folgenden Dialog hat ein Paar in einem meiner Workshops geführt, nachdem die Frau gesagt hatte, dass ihr Bedürfnis nach Liebe in ihrer Beziehung nicht erfüllt werde. Ihr Mann erwiderte: „Aber ich liebe Dich“. Und sie sagte, „nein, das tust Du nicht“. Und er: „Doch“. ich habe eingegriffen und sie gebeten., ihm genau zu sagen, was sie sich von ihm wünscht, damit ihr Bedürfnis nach Liebe erfüllt wird, so konkret wie möglich. Und er sagte: „Ja, das würde ich wirklich gern hören, denn offenbar habe ich ja keine Ahnung“. Sie: „Das ist schwer auszudrücken – in Worten“. Er: „Wenn es für Dich schwer zu sagen ist, kannst Du Dir dann vorstellen, wie schwer es für mich ist, es zu tun?“ Da fing es an in ihr zu arbeiten, und es war ein bisschen peinlich, als ihr plötzlich klar wurde, dass, wenn sie ehrlich war, ihre Vorstellung von Liebe eine ganz schöne Zumutung war. Sie sagte: „Wenn ich ehrlich bin, dann will ich, dass Du errätst, was ich will, bevor ich es selber weiß“. Es hat ihr selbst geholfen, diese diffusen Vorstellungen auszusprechen und mehr Klarheit darüber zu bekommen, was sie eigentlich von ihrem Mann wollte. Viele Menschen haben fünf unglückliche Beziehungen durchlebt, bevor sie verstehen, dass sie niemals ihr Bedürfnis nach Liebe erfüllt bekommen werden, wenn sie nach jemandem suchen, der ihnen ihre Wünsche erfüllt, bevor sie sich selber darüber klar geworden sind, was sie eigentlich brauchen.

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Sind Liebesbeziehungen und Bedürfniserfüllung nicht eine sehr komplizierte und schwierige Angelegenheit? Also: Die Bedürfnisse nach Liebe und Intimität, nach Sicherheit, Harmonie und Freiheit, Kreativität in der Partnerschaft alle unter einen Hut zu bekommen? Und dazu noch mit einer Person.

Kompliziert und schwierig? Ich habe nur 40 Jahre dazu gebraucht, um mir über all diese wichtigen Fragen halbwegs Klarheit zu verschaffen…

Unter Professoren und anderen Gelehrten

„Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh; welche vier Stände doch nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste. Die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläufig; auch sind mir in diesem Augenblick nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse, und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben.“ – Heinrich Heine, Die Harzreise

Dieser Tage war ich zu Gast bei einem Symposium. Bis vor wenigen Minuten war ich allein ob des Begriffs voller Ehrfurcht und dachte, das müsse ja etwas sehr Wichtiges sein. Jetzt habe ich bei Wikipedia nachgeschlagen und fand: Der altgriechische Ausdruck Symposion (gr.: συμπόσιον sympósĭon; spätlat.: symposium) steht sinngemäß für „gemeinsames, geselliges Trinken“. Die Übersetzung als Gastmahl führt dazu, im Symposion fälschlich nur ein ausgelassenes Trink- und Essgelage zu sehen. Für die Griechen der Antike stand aber die gemeinsame gottverbundene und entsprechend ritualisierte Geselligkeit im Mittelpunkt. <...> Anschließend wurden nur für das Symposion bestimmte Lieder, die so genannten Skolien gesungen. Überwiegend – Während Xenophons Gastmahl auch von artistischen Darbietungen berichtet, scheint man sich überwiegend der geistigen Unterhaltung gewidmet zu haben: Man improvisierte Reden zu einem bestimmten Thema – wie bei Platon – löste Rätsel, die man sich gegenseitig aufgab, oder entschied sich für das beliebte Spiel, treffende Vergleiche zu finden….

So weit also Wikipedia.

Getrunken wurde neulich bei der Veranstaltung kaum, aber geredet dafür sehr viel. Ich war beeindruckt von der Tagesordnung und von den vielen Professoren, die da zusammen gekommen waren. Und ich merkte, wie sich meine alte Neigung meldete, die mich dann gern mit den anderen Anwesenden vergleichen möchte… Diese Frau hat das und das geleistet… und dieser Mann ist Professor für XY und hat erfolgreich eine Firma geführt…und was leistet du?
Zu meiner Freude und Erleichterung merke ich heute immer schneller, wenn ich in diese alte Falle tappe. Diesmal konnte ich nach kurzer Zeit feiern, dass ich bei jedem dieser Vorträge in der Lage war, den Referenten zu folgen. Ich hatte zwar nicht das Fachwissen, um selbst Arbeiten zu schreiben über Themen wie „Was Philip Kotler nicht beschrieben hat“ (ein berühmter Wirtschaftswissenschaftler) oder „Best Practice-Managementstrategien und ihre fatalen Folgen“. Aber ich habe genau verstanden, worauf die Referenten hinaus wollten.

Viele von uns neigen dazu, sich noch immer mit anderen zu vergleichen. Ich schlage nicht so gut ab wie Tiger Woods in seinen guten Zeiten, ich habe nicht die Figur wie Heidi Klum, ich weiß nicht so viel über Astrophysik wie Steven Hawkings. Aber als sich gestern Abend für heute Besuch zum Essen anmeldete, der eine Milcheiweiß-Unverträglichkeit hatte, war ich heute in der Lage, eine köstliche Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, obwohl ich wegen des Feiertages nicht mehr extra einkaufen konnte. Das sollen mir Tiger Woods und Heidi Klum erst mal nachmachen.

Wir alle sind einzigartig in dem, was wir dem Leben bieten können. Der eine hat eine wunderbare Singstimme, der andere ist Virtuose am Hochdruckreiniger. Wenn wir unsere Gaben und Talente feiern, wollen wir uns daran erinnern, dass es keinen Grund gibt, uns mit anderen zu vergleichen. So wie wir sind, sind wir gut genug. In jedem Moment.

Heute will ich mein Augenmerk darauf richten, ob ich mich mit anderen vergleiche. Ich frage mich liebevoll, welche Bedürfnisse ich mir damit erfülle. Und ich bin bereit nach Möglichkeiten zu suchen, diese Bedürfnisse auf andere Weise zu erfüllen.

Vorsicht

Ein Mensch, mit keinem Grund zur Klage
als dem der allgemeinen Lage,
klagt trotzdem und auf jeden Fall,
klagt herzlich, laut und überall,
daß jedermann sich überzeugt,
wie tief ihn Not und Sorge beugt.
Wenn er sich nämlich unterfinge
zu sagen, daß es gut ihm ginge,
so ginge es ihm nicht mehr gut:
Der Neid, der rasche Arbeit tut,
hätt ihn vielleicht schon über Nacht
um all sein Gutergehn gebracht.
Drum hat der Mensch im Grunde recht,
der gleich erklärt, ihm ging es schlecht.

Vorsicht
Eugen Roth
(1895-1976)

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