Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Das Hamsterrad verlassen

Besteht Lebensgefahr?
Besteht Handlungsbedarf!

Werde ich bewertet?
Besteht Handlungsbedarf!

Gibt es sonst noch irgendwas Wichtiges zu tun?
Heilpraktiker für Psychotherapie Uwe Doll, Immenstadt

Es gibt ein possierliches Tierchen, dem wir Menschen so manches abgeguckt haben. Doch während es dem Hamster anscheinend großen Spaß macht, im Rad herumzulaufen, ist es bei uns meist eher mit Not, Frust, Verzweiflung, Schmerz oder Angst verbunden.

Was passiert, wenn wir im Hamsterrad hängen und scheinbar nicht wieder rausfinden? Bei vielen von uns kreisen dann alle Gedanken um jemand anderes. Wir wollen Beweise erbringen, dass wir nichts falsch gemacht haben, wir wollen zeigen, wie liebenswürdig, verständnisvoll, fürsorglich wir sind. Wir sind angespannt, ausgelaugt, bedrückt, getrieben oder streitlustig, überwältigt oder vielleicht auch erstarrt, aber wir merken es nicht.

Ich habe es oft so erlebt, dass der Gedanke an den anderen verhindert, dass ich wahrnehme, wie es mir geht. Ich kann das Hamsterrad langsam zum Halten bringen, indem ich mich liebevoll frage: Wie geht es mir? Was brauche ich?

Hilfreich können dabei die obigen drei Fragen von Uwe Doll sein, der als Bonding-Therapeut im Allgäu arbeitet. Wenn wir in Lebensgefahr sind, müssen wir etwas tun, da gibt es kein Zögern. Wenn wir bewertet werden, gilt es ebenfalls, etwas zu tun. Vielleicht brauchen wir Schutz, Verbindung, Klarheit, Sicherheit oder Verständnis. Doch erst wenn wir erkennen, was uns fehlt, können wir uns dafür einsetzen, dass wir es auch bekommen.

„Gibt es sonst noch irgendwas Wichtiges zu tun?“ bringt uns zurück ins Hier und Jetzt. Wenn wir um andere kreisen, vernachlässigen wir oft die Dinge, die zu unseren eigentlichen Aufgaben gehören. Es können „Pflichten“ sein wie Aufräumen oder ein Essen zubereiten. Es kann aber auch sein, dass wir uns darum kümmern wollen, dass sich jemand um uns kümmert. Vielleicht brauchen wir Empathie, jemanden, der uns zuhört, in den Arm nimmt, uns ein Lächeln schenkt. Wenn wir uns nicht wichtig nehmen, wie sollen es dann andere tun?

Heute will ich überprüfen, ob meine Gedanken um andere kreisen. Ich kenne den Knopf, mit dem ich mein Hamsterrad anhalten kann.

Marshalls Rezepte: Resilienz durch GfK

Es gibt nur ein Gegengewicht gegen Unglück … und das ist Glück
Erich Fried (* 6. Mai 1921 in Wien; † 22. November 1988 in Baden-Baden), österreichischer Lyriker, Übersetzer und Essayist

Moderator, Friedensstifter, Lehrer für Gewaltfreie Kommunikation – oft ist mir nicht bewusst, das Marshall Rosenberg (Foto) ja noch eine andere Profession hat. Er ist Doktor der Klinischen Psychologie. Und die Rezepte, die er vorschlägt, befördern meine Gesundheit.

Die Resilienzforschung beschäftigt sich damit, wie Menschen mit schwierigen Situationen fertig werden. Trauma, Vergewaltigung, bitterste Armut, Trennung, Verluste – all diese Erfahrungen können verheerende Auswirkungen auf den Menschen haben. Wie wir damit umgehen, was uns stärkt, Mut macht, uns die Kraft gibt weiter zu leben, das interessiert Marshall schon seit vielen Jahren. Und er gibt uns zwei mächtige Instrumente an die Hand, um mit solchen schmerzhaften Situationen besser fertig zu werden.

Selbstliebe ist eines der Zauberworte. Wenn wir das Verhalten anderer – Menschen die uns „verlassen“, „wehtun“, „nicht sehen“ – nicht auf uns selbst beziehen, nehmen wir den Taten ihren Stachel. Was bedeutet das im Alltag? Da gibt es einen Partner, der lieber frei sein möchte. In herkömmlicher Lesart würden wir vielleicht zu dem Schluss kommen, mit uns sei irgendetwas falsch, sonst müsste der andere doch bleiben… Da gibt es den Kollegen, der ständig an unserer Arbeit etwas auszusetzen hat. Wie leicht tappen wir in die Falle, uns selbst für fehlerhaft und unzureichend zu halten. Mit der gehörigen Portion Selbstliebe ausgestattet können wir dankbar erkennen, dass mit uns nichts falsch ist. Die Aussage oder das Verhalten des anderen sagt etwas über ihn und seine Werte und Bedürfnisse, aber nichts über unsere menschlichen Qualitäten.

Das zweite Instrument ist unser persönliches „rosa Tütchen“. Ich habe in den Tiefen meiner Handtasche ein kleines Büchlein, in dem ich all die Dinge notiere, die mein Leben bereichern und glücklich machen. Liebevolle Begegnungen, wunderschöne Momente, warme Worte, die mir gesagt wurden, all das findet Eingang in mein „Rosa-Tütchen“-Buch. In schwarzen Stunden finde ich in meinem Büchlein eine Anweisung dafür, was ich tun kann, um wieder nach vorne zu schauen. Ich kann den Freund anrufen, dessen Humor mir so gut tut, ich kann bei starkem Wind einen Spaziergang machen und mir den Kopf frei pusten lassen, ich kann mir einen Früchtetee kochen und voller Hingabe meine Füße eincremen – welche Strategie auch immer für meine aktuelle Situation hilfreich ist, mein kleines Glückstagebuch gibt mir dazu erprobte Anweisungen.

Mit solchen Anregungen schenkt Marshall uns für Situationen, in denen wir manchmal keinen Ausweg wissen, Handlungsalternativen und Wege zur Selbstwertschätzung. Sie sind die Leiter aus dem Loch, in dem ich mich früher oft gefangen wähnte.

Heute richte ich meinen Blick auf die Dinge, die mir gut tun, und schreibe sie auf. In schwierigen Situationen kann ich auf diese Rezepte zurückgreifen.

So viele schöne Dinge können unser Leben bereichern!

Schaut mal, wie man Musik auch umsetzen kann! Ich liebe das Stück und den Magier…

Auf das Liebeskonto einzahlen

Wenn Menschen Liebe gepredigt wird, lernen sie nicht lieben, sondern predigen.
Alice Miller, Schweizer Psychoanalytikerin und Schriftstellerin

Wie lernen wir lieben? Muss man Lieben überhaupt lernen? Viele von uns haben in ihrer Kindheit erlebt, wie die Eltern oder andere enge Familienangehörige mit Strafen und Belohnungen hantierten. Wir kennen uns aus, wenn es darum geht, den anderen zu manipulieren. „Mutti ist traurig, wenn du dein Zimmer nicht aufräumst“ ist da oft noch die harmlose Variante.

Ich selbst wuchs auf in einer Familie, in der die Erwachsenen mit schweren Krankheiten kämpften. Sie durften sich nicht aufregen, brauchten Schonung und Rücksicht. Selbstständigkeit, Autonomie, ja oft auch Bewegung oder Authentizität konnten da lebensbedrohliche Folgen haben.

Andere wuchsen in Familien auf, in denen Leistung groß geschrieben wurde. Also wurden auch sie an ihrer Leistung gemessen. Bist du gut genug?

Wieder andere mussten schon sehr früh Verantwortung für Geschwister oder kranke Familienangehörige übernehmen.

Was haben wir über Liebe gelernt? Viele glauben noch immer, dass Liebe ein Gefühl ist, doch Marshall ist überzeugt, dass sie in Wirklichkeit ein wunderbares Bedürfnis ist und wir eine Vielzahl von Dingen tun können, um unser Bedürfnis nach Liebe zu stillen.

Der Partner schenkt überraschend einen Blumenstrauß. Die kleine Tochter hat ein wundervolles Bild gemalt und überreicht es mit großen Kulleraugen: Für dich, Papa! Die gebrechliche Nachbarin überrascht Dich mit einem Stück selbst gebackenem Kuchen. Die Freundin ruft just in dem Moment an, in dem du kreuzunglücklich bist. Und sie hat Zeit und schenkt Dir ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Das alles und noch viel mehr nährt unser Bedürfnis nach Liebe.

Wertschätzung, Wärme, Nähe, Intimität, Verbindung, Sicherheit, Harmonie, Leichtigkeit – wenn diese Bedürfnisse erfüllt sind, ist oft auch unser Bedürfnis nach Liebe gestillt. Wir haben die Möglichkeit, jeden Tag auf dieses Konto einzuzahlen. Der Geber muss nicht zwangsläufig ein Partner sein. Auch die freundliche Berührung der Trainerin im Sportstudio, das Zuzwinkern der Lieblingskollegin, die SMS mit einer beglückenden Nachricht: all dies macht uns reich.

Heute will ich mich an der Liebe freuen, die das Leben für mich bereit hält.

All unsere Geschenke wertschätzen

„Ein Gesicht, dem das Lachen fehlt, ist nicht willkommen.“ – Martial, (Römischer Dichter, 40–104) Epigramme VII, 25, 6
(Original lat.: „Nec grata est facies, cui gelasinus abest.“)

Wie oft richten wir unseren Blick auf Dinge, die wir nicht haben können! Vielleicht ist es die Traumwohnung, das neue Auto, Sicherheit im Berufsleben, einen reichen Freund, körperliche Gesundheit, die attraktive Freundin. Der Blick auf den Mangel kann dazu führen, dass wir in unserem eigenen Leben zu all unseren Geschenken, Begabungen, inneren Reichtümern keine Verbindung finden.

Wir sind es gewohnt, zu vergleichen. Schneller, höher, weiter, besser, klüger, reicher, angesehener. Der Vergleich mit anderen ist der sichere Weg in Frustration, Unzufriedenheit, Angst, Scham und Mangel. Dann fällt unser Blick starr auf das Unerreichte, Leichtigkeit, Freude, Wertschätzung und andere wunderbare Bedürfnisse bleiben unerfüllt.

Gibt es einen Weg aus dieser Falle? Ja, sogar einen ganz einfachen. Beginnen wir uns selber wertzuschätzen. Beginnen wir uns mit allem zu lieben, was zu uns gehört: Unsere Spontaneität, unsere Kraft, unser Humor, unsere Beharrlichkeit, unsere handwerklichen Fähigkeiten, unsere Rechenkünste, unsere Fähigkeit, ein Paar Socken zu stricken. Jeder von uns ist ein einzigartiger Diamant mit schimmernden Facetten.

Lasst uns den Tag mit einem Lächeln beginnen, das wir uns selber schenken.

Heute heiße ich mich in meinem eigenen Leben von Herzen willkommen.

Nur Mut!

Ein Mann ohne Arme und ohne Beine macht uns vor, dass es nicht schlimm ist hinzufallen. Es geht nur darum, dass wir daran arbeiten, wieder aufzustehen.

So long!

Ysabelle

Heute mal nicht

Hallo, Welt!

Meine Gehirnwindungen geben heute gerade mal nichts her für eine Tagesmeditation. Ich hänge nach wie vor am Thema „Projektionen“, auch das Thema „Angst“ beschäftigt mich aktuell. Aber ich kriege es nicht rund und deshalb werde ich jetzt nicht versuchen, auf Teufel komm raus irgendwas zu schreiben.

Don’t do anything if it is not fun!

So long!

Ysabelle

Sinnvolle Tage

„Hoffnung ist eben nicht Optimismus, ist nicht Überzeugung, daß etwas gut ausgeht, sondern die Gewißheit, daß etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.“ – Václav Havel, tschechischer Schriftsteller und Politiker;
Caryle Hirshberg, Unerwartete Genesung, Droemer Knaur, 1995, ISBN 3-426-26869-8

An manchen Tagen erscheint das Leben sinnlos und leer. Zwar hat man etwas geschafft, ist vielleicht sogar vollkommen erschöpft, aber trotzdem kann man keine Befriedigung aus dem ziehen, was man getan hat.
Bis ich die Gewaltfreie Kommunikation kennen lernte, hatte ich das Wort Sinnhaftigkeit noch nie gehört. Aber ich kannte Zeiten, in denen mir Dinge leicht von der Hand gingen, mich mit Freude erfüllten, mein Leben bereichertem. Und natürlich kannte ich öde Tage, an den ich abends mürrisch Bilanz zog. Dass meine Unzufriedenheit etwas mit Sinnhaftigkeit zu tun haben könnte, ahnte ich damals nicht.
Was können wir tun, um unser Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit zu erfüllen?
Papst Johannes XXIII hatte sich dafür einen Plan geschrieben, der als
Dekalog der Gelassenheit
bekannt geworden ist:


1. Heute, nur heute werde ich mich bemühen, den Tag zu leben, ohne die Probleme meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.

2. Heute, nur heute werde ich auf ein zurückhaltendes Auftreten achten: ich werde niemanden kritisieren, ich werde nicht danach streben, die anderen zu korrigieren oder zu verbessern – nur mich selbst.

3. Heute, nur heute werde ich in der Gewissheit glücklich sein, dass ich für das Glück geschaffen bin – nicht nur für die andere, sondern auch für diese Welt.

4. Heute, nur heute werde ich mich an die Umstände anpassen, ohne zu verlangen, dass die Umstände sich meinen Wünschen anpassen.

5. Heute, nur heute werde ich zehn Minuten meiner Zeit einer guten Lektüre widmen; wie die Nahrung für das leibliche Leben notwendig ist, so ist die gute Lektüre notwendig für das Leben der Seele.

6. Heute, nur heute werde ich eine gute Tat vollbringen, und ich werde es niemandem erzählen.

7. Heute, nur heute werde ich etwas tun, wozu ich eigentlich keine Lust habe; sollte ich es als eine Zumutung empfinden, werde ich dafür sorgen, dass niemand es merkt.

8. Heute, nur heute werde ich ein genaues Tagesprogramm aufstellen. Vielleicht halte ich mich nicht genau daran, aber ich werde es aufsetzen. Und ich werde mich vor zwei Übeln hüten: vor der Hetze und vor der Unentschlossenheit.

9. Heute, nur heute werde ich fest daran glauben – selbst wenn die Umstände mir das Gegenteil zeigen sollten -, dass die gütige Vorsehung Gottes sich um mich kümmert, als gäbe es sonst niemanden auf der Welt.

10. Heute, nur heute werde ich keine Angst haben. Ganz besonders werde ich keine Angst haben, mich an allem freuen, was schön ist, und an die Güte glauben.

Nimm dir nicht zuviel vor.
Es genügt die friedliche, ruhige Suche nach dem Guten
an jedem Tag zu jeder Stunde, und ohne Übertreibung und ohne Ungeduld.

Der Geist dieser Übungen passt für mich gut zur GfK. Es geht um Wertschätzung für mich und andere, um Vertrauen, Verbindung, Wachstum, Struktur, Leichtigkeit und Schönheit. Wenn all diese Dinge zusammenkommen, sind die Chancen groß, dass mein Tag sinnvoll ist, mein Leben bereichert.

Heute will ich wachsam sein für alle Dinge, die mein Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit nähren.

Ein Grund zu feiern

„Das Leben, mit seinen stündlichen, täglichen, wöchentlichen und jährlichen, kleinen, größern und großen Widerwärtigkeiten, mit seinen getäuschten Hoffnungen und seinen alle Berechnung vereitelnden Unfällen, trägt so deutlich das Gepräge von etwas, das uns verleidet werden soll, daß es schwer zu begreifen ist, wie man dies hat verkennen können und sich überreden lassen, es sei da, um dankbar genossen zu werden, und der Mensch, um glücklich zu seyn.“ – Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Zweiter Band, Kapitel 46

Hat Schopenhauer Recht, und das Leben besteht aus einer Aneinanderreihung von Widrigkeiten? Kommt darauf an, worauf ich meinen Blick richte. Früher hätte ich vielleicht nach einem Tag wie heute gedacht, es sei ein öder Arbeitstag gewesen; zu viel zu tun, nicht genug Anerkennung für das Geleistete, zu vieles unerledigt, zu viele schwarze Gedanken. Das Wetter zu kalt, die Hose zu eng, das Portemonnaie leer.

Wenn ich heute aufzähle, was ich feiern kann, spüre ich ganz tief, wie gesegnet mein Leben ist. Eine Freundin kam zum Abendbrot vorbei und ich konnte aus einer Fülle von Zutaten einen Salat bereiten. In einem schwierigen Telefonat ist es mir gelungen, eine echte Verbindung zu meinem Gegenüber herzustellen. Während es draußen schneidend kalt ist, darf ich mich am Anblick des Kaminfeuers freuen. Ich habe heute noch einmal realisiert, dass ich wirklich eine große Liebe erleben durfte, und dafür bin ich dankbar. Ich bin dankbar für den Neustart in alten Beziehungen, ich bin dankbar für die Unterstützung meiner Freunde, und ich freue mich, dass ich morgen ausschlafen kann.
Sind das nicht wundervolle Gründe, das Leben zu feiern?

Heute richte ich meinen Blick auf all die großen und kleinen Dinge in meinem Leben, die wirklich gut sind.

Die Haltung der GfK leben lernen

„Man kann die Wirklichkeit nicht einfach abbilden. Wahrheit, das ist eine Haltung.“ – Jim Rakete, CASSONE art magazine

Gibt es „die Wahrheit“ in der Gewaltfreien Kommunikation? Je länger ich die GfK praktiziere, desto eher bin ich bereit einzugestehen, dass es viele Wahrheiten geben kann. Nicht ich habe Recht und du Unrecht, oder umgekehrt. Jeder von uns hat seine Wahrheit, und manchmal ist es schwer auszuhalten, dass sie so sehr voneinander differieren.

Einzugestehen, dass für mich etwas „so“ ist oder war, und mein Gegenüber es ganz anders empfunden hat, bringt  mich zu einer Herausforderung, die ich mit dem Begriff „die Haltung der gewaltfreien Kommunikation“ überschreiben möchte. Es geht nicht um Recht oder Unrecht, um die Größe von Giraffenherzen, die unfallfreie Formulierung der vier Schritte, um Gedichte von Rumi oder die Anzahl von Trainingstagen. Vielleicht gibt es Menschen, die die Haltung sehr leicht einnehmen konnten, für mich ist es immer noch eine bewusste Entscheidung, sie zu leben.

Was bedeutet diese Haltung für mich? Zunächst muss ich mir immer wieder vergegenwärtigen, dass ich dem Prozess der GfK vertrauen möchte, auch wenn die Wölfe ihr martialisches Geheul anstimmen. Wenn es für mich schwierig wird, möchte ich mich daran erinnern, mir Einfühlung zu geben, ja, vor allem mir erst Einfühlung zu geben, bevor ich dem anderen Einfühlung gebe. Wie oft habe ich mich früher verausgabt, für andere da zu sein, und meine eigenen, wunderbaren Bedürfnisse ließ ich unerfüllt…

Die wichtigste Frage zur Überprüfung meiner Haltung ist für mich zur Zeit: Ist meine Absicht Verbindung? Die zweite Frage lautet: Bin ich bereit, einen Weg zu finden, bei dem meine UND die Bedürfnisse des anderen erfüllt werden? Und bin ich bereit, meine bevorzugte Strategie aufzugeben, um genau dieses zu erreichen?

Wenn ich „in der Haltung“ bin, geschehen wundersame Dinge. Es gelingt mir auf einmal, den Blick auf die Fülle in meinem Leben zu richten. Ich sehe Reichtum statt Mangel, Auswahl statt Ausweglosigkeit, Leichtigkeit statt Enge. Oft stellt sich dann auch ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit ein. Ängste und Depressionen lichten sich, eine spirituelle  Geborgenheit, Trost, Verbidung und Wärme hüllen mich ein. Ich bin nicht allein.

Heute will ich die Zeit genießen, in der ich bewusst „in der Haltung“ sein kann.

Leben mit 6,7 Milliarden Möglichkeiten

Wenn ich also die Erfüllung meiner Bedürfnisse von bestimmten Personen entkoppeln kann – es gibt sechs Milliarden Menschen auf der Welt – dann finde ich sicher jemanden, der etwas für mich tun kann. Mich selbst eingeschlossen. Ich kann auch etwas tun, zum Beispiel kann ich mir Selbsteinfühlung geben, um mein Bedürfnis nach Empathie zu nähren.

aus: Marshall B. Rosenberg im Gespräch mit Garbiele Seils:
Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation
Herder spectrum, 8,90 €

Wer mit dem Konzept und der Haltung der Gewaltfreien Kommunikation nicht vertraut ist, könnte glauben, dass die Bedürfnisse nach Wärme, Nähe etc. recht egoistische sind.
Wenn die Bedürfnisse nach Nähe, Wärme, Intimität so ausgelegt werden, dass sich daraus beim Gegenüber eine Verpflichtung ergibt, diese Bedürfnisse zu  erfüllen, ist das sicher eine Haltung, die nicht dem Leben dient. Ich bin geil und du musst jetzt mit mir schlafen. Ich habe Hunger, du musst mir was zu essen machen. Ich will meinen Ärger vom Tag loswerden und Du, verdammt noch mal, bist der Mensch, der mir zuhören MUSS!
Das entspricht nicht meinen Vorstellungen von Nähe, Intimität, Verbindung und Kontakt. Wo sind da Respekt, Wertschätzung, Autonomie, die Freiwilligkeit?

Ich glaube heute, dass unsere Bedürfnisse weltweit universell sind. Alle 6,7 Milliarden Menschen haben die gleichen Bedürfnisse. Sie brauchen Essen und Wasser, Schutz, Struktur, Autonomie, Unterstützung, Gemeinschaft, Sexualität, Spiritualität, Sinnhaftigkeit, Licht, Schlaf…

Wir sind es in unserer „Zivilisation“ sehr gewohnt, diese Bedürfnisse mit bestimmten Strategien zu erfüllen. Manche Leute gehen am liebsten zu McDonalds, wenn sie Hunger haben. Ich gehe meist in die Kantine, weil das bequem ist. Andere schmieren sich ein Brot, weil sie keine Lust haben zu kochen. Sich etwas kochen ist genau so eine Strategie wie zu McDonalds gehen. Für viele Dinge haben wir Lieblings-Strategien. Viele Menschen leben zum Beispiel in einer festen Partnerschaft, weil sie so glauben, bestimmte Bedürfnisse besonders effektiv bedienen zu können. Zum Beispiel nach Sex. Es ist ja noch nicht all zu lange her, da waren die Frauen zum Sex verpflichtet, und sich zu weigern war ein Scheidungsgrund. Mich gruselt es bei dem Gedanken, zum Sex verpflichtet zu sein.

Wenn ich heute bereit bin, mich von dem Gedanken zu lösen, der andere schulde mir etwas,

Wenn ich mich dafür entscheide, nur noch zu nehmen, was mir freiwillig geschenkt wird,

Wenn ich bereit bin, für all meine Bedürfnisse selbst die Verantwortung zu übernehmen,

Dann können sich ganz neue Welten eröffnen.

Ich bin überzeugt, dass von 6,7 Milliarden Menschen garantiert einer heute Abend Lust hätte, mit mir zu essen, zu telefonieren, zu kuscheln oder spazieren zu gehen.

In meinem Adressbuch stehen rund 300 Namen. Mit Sicherheit ist EIN Mensch dabei, den ich am Abend anrufen kann, wenn ich total frustriert und aufgelöst von der Arbeit komme.

Wenn ich es Leid bin, allein ins Kino zu gehen, wird es sicher im Kollegenkreis den einen oder anderen Bekannten geben, der Lust hat, einen Film zu sehen.

Was ist mein Bedürfnis? Und welche Strategien kann ich finden, um es zu erfüllen?

Ich erfülle mir zum Beispiel gelegentlich mein Bedürfnis nach Wärme und Berührung, indem ich mir eine Massage gönne. Am liebsten eine ayurvedische.

Mein Bedürfnis nach Gemeinschaft erfülle ich mir in  meinen Meetings am Mittwoch, durch vertrautere Kontakte mir einzelnen Kollegen, durch die die Freunde, die ich durch verschiedene Aktivitäten gefunden habe. Meine GfK-Familiengruppe trifft sich zu regelmäßigen Telefonkonferenzen. Ich habe außerdem Freundinnen, die mich gern besuchen.

Ich erfülle mir mein Bedürfnis nach Bewegung in meinem neuen Fitnessstudio. Andere gehen vielleicht tanzen, joggen, zum Badminton. Wir entscheiden uns für verschiedene Strategien, um ein bestimmtes Bedürfnis zu erfüllen. (Und sicher erfüllen wir uns mit unserer jeweiligen Entscheidung auch noch andere, wunderbare Bedürfnisse).

Ich gewinne eine unglaubliche Freiheit, wenn ich nicht mehr EINEN Menschen für die Erfüllung (all) meiner Bedürfnisse verantwortlich mache, für zuständig erkläre. Wenn der Mensch Lust hat, gerade mein Bedürfnis nach Nähe, Intimität, Austausch, Gemeinschaft zu erfüllen, wunderbar. Aber es gibt keine Pflicht dazu! Und! Ich habe mindestens 6,7 Milliarden Möglichkeiten, meine Bedürfnisse zu erfüllen.

Hurra für jeden Tag, an dem ich diese Ketten sprengen kann!

„Der Wolf beißt fremdes Fleisch

„Der Wolf beißt fremdes Fleisch, das eigene leckt er.“ – Sprichwort aus Albanien

Hallo, Welt!

Dieses Sprichwort fiel mir vor ein paar Tagen in die Hände. Heute entspricht es genau meiner Gefühlslage. Unversehens habe ich statt Frieden einen alten Konflikt an der Backe, und ich muss mich dauernd dran erinnern, dass es ein sehr schönes Marshall-Zitat gibt, wo er sinngemäß sagt: Never put your butt in an angry persons face. Die wörtliche Übersetzung von butt ist (Gewehr-)Kolben, aber ich kenne es auch auch Hintern. Und es ist natürlich ein charmantes Wortspiel, denn es geht darum, dass es keinen Sinn hat, zu jemandem, der ärgerlich ist, zu sagen, ja, aber…

Ich merke, dass ich heute Abend ganz angeschlagen bin, versucht mich zu rechtfertigen oder Beweise zu erbringen, warum etwas aus meiner Sicht ganz anders war. Wenigstens habe ich es im ersten Anlauf geschafft zu sagen: Danke, das du mir das alles mitteilst, was dich geärgert hat… und jetzt ringe ich um die Haltung.

Ich weiß schon, dass GfK nicht eine Frage dessen ist, was ich zum anderen sage. es geht um die Haltung. Und meine Haltung heute Abend muss ich mir erst mal irgendwo mühsam zusammenklauben. Marshall beschreibt so schön, wie es uns geht mit den alten Ohren: Anger, Guilt, Depression… Ärger/Wut, Schuldgefühle, Depressionen, schließlich das Verblassen aller Wahlmöglichkeiten. So fühle ich mich heute auch.

Zum Glück gibt es die Giraffentankstelle, ein umfangreiches Telefonbuch, eine freie Leitung. Ich werde heute Abend Empathie tanken und dann hoffentlich bald in der Lage sein, mit dem Konflikt angemessen umzugehen. Ist Deine Absicht Verbindung? JA! Ich weiß nur noch nicht, wie ich das hinkriegen soll, weil ich so voll mit Urteilen und Verteidigungen bin…

Also werde ich ein bisschen mein eigenes Fleisch lecken und dann mal gucken, ob ich nicht Vegetarier werde…

So long!

Ysabelle

Die Haltung in der GfK

Auf der Suche nach ein bisschen Stärkung fand ich diesen Abschnitt auf schattenblick.org.

Die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation

Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Marshall B. Rosenberg ist mehr als eine Werkzeugkiste. Die Methoden, isoliert betrachtet, können missbräuchlich auch zu gewaltvollen Zwecken, wie dem Einreden von Schuldgefühlen oder emotionaler Erpressung eingesetzt werden.

Schwerpunkt der GFK ist deshalb die Haltung, in der die Kommunikation stattfindet. Die Methoden sind ein Weg, sich dieser Haltung übend anzunähern. Teil der Haltung ist es, sich ergebnisoffen im Prozess des Verbindungsaufbaus mit dem Gegenüber zu befinden, und nicht das Überstülpen einer Meinung.

Ein weiterer Teil ist der Abbau von Feindbildern, das empathische Zuhören ausgehend von der Annahme, dass alle Menschen die gleichen Grundbedürfnisse haben und stets so handeln, wie es ihnen aktuell als die beste Möglichkeit der eigenen Bedürfnisbefriedigung erscheint. Im Gegensatz zur heute üblichen, von komplizierten gesellschaftlichen Konventionen, missverständlichen Andeutungen und Unausgesprochenem durchsetzten Sprache ist GFK eine sehr direkte, einfache und klare Art des sich Verständigens.

Ohne den beiden Tieren Eigenschaften zuschreiben zu wollen, nennt Rosenberg zur Vereinfachung seiner Erklärungen Sprache nach GFK „Giraffensprache“ und im Gegensatz dazu gewaltvolle Sprache „Wolfssprache“. Wolfssprache zeichnet sich u.a. durch das Denken in Schuld und Unschuld, Richtig und Falsch, das Aufrechnen von Gefallen, (moralisches) Verurteilen, Bewerten und Leugnen von Verantwortung aus.

Eine Methode der Giraffensprache, die hilft, sich eine im Sinne der GFK veränderte Denkweise anzueignen, ist die der vier Schritte: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte. Diese Schritte können beispielsweise beim aktiven Zuhören, zur Kommunikation der eigenen Situation, zur Selbstklärung, beim Ausdruck von Wertschätzung oder auch beim Schreien in Situationen extrem unbefriedigter Bedürfnisse eingesetzt werden. Rosenberg ermutigt, sich mit der Übung nach und nach von dem schematischen Vorgehen zu lösen und die vier Schritte in den eigenen „Slang“ zu übersetzen.

Hohepriester der Gewaltfreien Kommunikation

„Sich um uns selbst zu kümmern, ist nicht so egoistisch, wie manche Menschen annehmen, aber es ist auch nicht so selbstlos, wie manche Co-Abhängige glauben.“ Melody Beattie

Wenn man manchen Menschen zuhört, könnte man zu dem Eindruck gelangen, es gäbe „richtige“ und „falsche“ GfK. Besonders schmerzhaft finde ich es, wenn GfKler sich untereinander mit solchen Etiketten belegen. „Das ist keine Empathie, was du da machst“ fällt genau so in diese Kategorie wie „also, ich kann deine Bedürfnisse nicht erkennen, du bist überhaupt nicht zu spüren“.

Ich erlebe die Gewaltfreie Kommunikation als ständige Einladung bei mir zu gucken: Wie geht es mir, was brauche ich? Wie geht es MIR, wenn ich den anderen nicht spüren kann? Was löst das bei MIR für Gefühle aus? Und wenn ich hier Klarheit gefunden habe, kommt der zweite, kostbare Schritt: Wie geht es Dir? Was brauchst Du?

Wann immer wir beim anderen diagnostizieren, dass er keine richtige GfK macht, ist offensichtlich bei uns selbst ein Bedürfnis im Mangel. Nehmen wir dieses Wolfsgeheul als Einladung, noch einmal genauer bei uns zu spüren, welche Bedürfnisse in uns lebendig sind. Was brauchen wir? Und wenn wir es herausgefunden haben, können wir fragen: Was braucht unser Gegenüber? Es geht nicht um Richtig oder Falsch: Es geht um Verbindung!

Heute will ich mich in schwierigen Situationen liebevoll fragen: Geht es mir gerade um die Verbindung?

Selbstfürsorge

Selbstverantwortung

Selbstfürsorge ist ein Verhalten uns selbst und unserem Leben gegenüber, das besagt: Ich bin verantwortlich für mich selbst. Ich bin verantwortlich dafür, ob ich lebe oder nicht lebe. Ich bin verantwortlich dafür, nach meinem geistigen, emotionalen, körperlichen und finanziellen Wohlergehen zu streben. Ich bin verantwortlich dafür, meine Bedürfnisse zu erkennen und zu befriedigen. Ich bin verantwortlich dafür, meine Probleme zu lösen oder mit meinen Problemen leben zu lernen, die ich nicht lösen kann.

Ich bin verantwortlich für meine Entscheidungen. Ich bin verantwortlich dafür, was ich gebe oder empfange. Ich bin auch dafür verantwortlich, mir Ziele zu setzen und sie zu erreichen. Ich bin verantwortlich dafür, wie sehr ich das Leben genieße, wieviel Freude ich an täglichen Aktivitäten finde. Ich bin verantwortlich dafür, wen ich liebe und wie ich mich entscheide, diese Liebe auszudrücken. Ich bin verantwortlich dafür, was ich anderen antue und dafür, was ich anderen mir anzutun erlaube.

Ich bin verantwortlich für mein Wollen und meine Wünsche. Alles an mir, jeder Aspekt meines Seins, ist wichtig. Ich bewerte angemessen. Ich begutachte meine Wünsche und Bedürfnisse. Ich verdiene weder Missachtung noch ständige Misshandlung und toleriere sie nicht. Ich habe Rechte, und es liegt in meiner Verantwortung, diese Rechte zu verfechten.

Die Entscheidungen, die ich treffe, und die Art, wie ich mich verhalte, spiegeln meine Selbstachtung wider. Meine Entscheidungen tragen meinen Verpflichtungen Rechnung. Meine Entscheidungen tragen auch meinen Verpflichtungen anderen Menschen gegenüber Rechnung – meinem Partner, meinem Kind, meinen Verwandten und meinen Freunden. Ich untersuche und entscheide genau, wie diese Verpflichtungen beschaffen sind, bevor ich meine Entscheidungen treffe. Ich berücksichtige auch die Rechte meiner Mitmenschen – das Recht, ihr Leben so zu leben, wie es ihnen paßt. Ich darf das Recht anderer nicht beschneiden, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu leben, Und sie dürfen mir meine Rechte nicht beschneiden.

Selbstfürsorge ist ein Verhalten gegenseitiger Achtung. Das bedeutet, unser Leben verantwortungsbewußt leben zu lernen. Das bedeutet, anderen zu erlauben, ihr Leben nach ihrer Wahl zu leben, solange sie nicht unsere Entscheidung stören, nämlich so zu leben, wie wir es wollen. Sich um uns selbst zu kümmern, ist nicht so egoistisch, wie manche Menschen annehmen, aber es ist auch nicht so selbstlos, wie manche Co-Abhängige glauben.

Gefunden in:

Melody Beattie, „Die Sucht, gebraucht zu werden“

Copyright © 2025 by: Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren! • Template by: BlogPimp Lizenz: Creative Commons BY-NC-SA.