Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Scary Honesty

Wieviele Königsklassen gibt es eigentlich in der GFK?

– Antje T.

Vor ein paar Tagen kam mir der Gedanken ‘ich kann GFK’.

Ich hab mir ein paar Seminarbeschreibungen angesehen und dachte mir, das reizt mich nicht, das kann ich schon, das da könnte ich selbst unterrichten…und dabei hab ich ein bißchen aus dem Blick verloren, worum es bei der GFK eigentlich geht.

Heute habe ich jemanden den ich sehr lieb habe eine eMail geschrieben. Und ich habe gemerkt wie verdammt schwer es ist, wirklich ehrlich zu sein. Nein, schwer trifft es nicht…ich habe gezittert vor Angst, jedes Wort auf die Goldwage gelegt und jede Formulierung dreimal überprüft.
Am Ende habe ich nicht genau das geschrieben, was ich gerne geschrieben hätte – ich hatte zuviel Angst vor dem, was meine Worte vielleicht auslösen könnten. Ich hätte gerne geschrieben wie sehr ich diese Person lieb habe, wieviele meiner Bedürfnisse durch die Nähe zu ihr erfüllt werden und wieviel Angst ich davor habe,  sie aus den Augen zu verlieren, so sehr dass es mir den Magen umdreht wenn ich an Abschied denke.

Und ich habe es nicht so geschrieben. Ich habe es zurückhaltender formuliert, weil mir die Freiheit meines Gegenübers wichtig ist und ich sie nicht einschränken möchte. Weil genau jene Angst mich beherrscht hat, und die Ehrlichkeit, das auszusprechen vielleicht zu dem führen würde, was ich fürchte – Rückzug, Beziehungsabbruch. Sagt mir mein Kopf.

Scheiße nochmal, ich gehe diesen Weg jetzt fünf Jahre und habe viele harte Gespräche hinter mir. Und noch immer gibt es Situationen die mir so essentiell erscheinen dass ich eine Woche für fünf Zeilen eMail benötige.

Seit ein paar Monaten trainiere ich Shotokan-Karate. Im Karate-Do zeigt die Silbe ‘Do’ an, dass es ein lebenslanger Weg ist. Kein Mensch auf diesem Planeten kann perfekt Karate, jeder Karateka lernt dazu bis er im Rollstuhl sitzt. Und ist immer wieder konfrontiert mit Phasen, in denen es nicht vorangeht und er denkt, er wird immer schlechter, einfach weil die Aufmerksamkeit immer mehr geschult wird. Was man früher gar nicht bemerkt hat wird plötzlich unüberwindbar.

Ich beginne zu begreifen, was das für meinen Weg mit der GFK bedeutet. Und ich beginne zu akzeptieren, dass mir Zugehörigkeit, Anerkennung, Liebe und Gemeinschaft so wichtig sind, dass es sich wie sterben anfühlt, wenn diese Bedürfnisse bedroht scheinen.

Ich möchte gerne dahinkommen, diese Bedürfnisse als Geschenke für andere Menschen zu betrachten, nicht als Bürde. Manchmal klappt das besser, momentan bin ich Lichtjahre davon entfernt. Ich würde dieser Person gerne so ehrlich schreiben, wie ich es mich hier traue. Würde mich gerne ehrlich mit allem zeigen, was in mir lebendig ist und schauen, wie die Antwort aussieht und wie ich mit ihr umgehe. Für mich entspricht das ungefähr der Prüfung zum dritten Schwarzgurt in Giraffe.

Vielleicht liest du das hier ja zufällig eines Tages und fühlst dich angesprochen.
Und vielleicht werde ich mich irgendwann trauen, radikal ehrlich zu sein zu den Menschen die mir wirklich etwas bedeuten.

Markus

2 Reaktionen zu “Scary Honesty”

  1. Carina

    Hallo Markus,
    Deine Ehrlichkeit rührt mich sehr an und ich finde mich wieder in Deinen Versuchen 🙂 Auch ich bin jetzt fünf Jahre mit der GFK unterwegs und staune und freue mich über manche Vor- und Zurückschritte. Die Echtheit ist mir ein Bedürfnis, das zu erfüllen mir oft erstaunliche Türen geöffnet hat. Was sie mir hinderlich macht, ist meist mein unerfülltes Bedürfnis nach Vertrauen, gerade wenn ich mich mit Händen und Füßen dagegen wehre, zu scheitern. Daher ist mein Lieblingsthema „mit Lust scheitern“, wohl wissend, dass dies „scheitern“ etwas ist, was mein Kopf definiert.
    Irgendwie lustig, dass Du Deine geheime Sehnsucht nach Offenheit zu der Person, die Dir so am Herzen liegt, ganz offen hier im Blog zulässt. Ich wünsche Dir Leichtigkeit für jede Verbindung, Carina

  2. Ysabelle Wolfe

    Moin, Markus,

    als ich las, „ich kann’s“ musste ich herzlich lachen. DAS ist nämlich genau mein allerliebster Golfer-Witz. Wenn dann einer von 100 Schlägen mal gelingt, gibt es dieses Hochgefühl: Ich kann’s… bis zum nächsten Schlag…

    Scary honesty war dieser Tage auch für mich eine echte Herausforderung. Im betreffenden Fall wollte ich ausdrücken, in welcher Weise ich bereit bin, Unterstützung zu leisten. Diese Unterstützung war nicht konkret angefragt. Ich habe nur die mehrfachen Äußerungen über die Schwierigkeit einer bestimmten Situation ständig auf Appell- und Beziehungsohr wahrgenommen. Ich sagte sinngemäß so etwas wie: „Ich weiß, dass ich das und das gerade für dich bezahlen könnte, aber in mir gibt es einen Anteil, der sich sträubt.“ Wir eierten ein bisschen an meinen Bedürfnissen entlang, ist es Sicherheit, ist es Klarheit?, kamen aber nicht so richtig auf den Punkt. Als ich plötzlich spürte, nein, es geht MIR um Verantwortung!, war ich nicht in der Lage das auszusprechen. Ich war so gefangen in den Gedanken, was so eine Aussage bei meinem Gegenüber auslöst… auslösen könnte…

    Ich habe mir dann 500 Schritte Selbsteinfühlung gegeben (das Gespräch fand auf einem Spaziergang statt) und dann das schlimme Wort ausgesprochen…

    Ich bin verantwortlich für das was ich tue oder unterlasse… Ich bin nicht verantwortlich für das, was mein Gegenüber daraus hört. Ok, mein Gegenüber hörte im ersten Anlauf, „du bist verantwortungslos“, aber dafür bin ich dann nicht verantwortlich. Da es mir um Verbindung geht, habe ich die Möglichkeit nachzufragen. Wie geht es dir, wenn du das von mir hörst…?“
    Wie nennt meine Kollegin Ulli ihre GfK-Übungsgruppe? … das schöne schwere Miteinander…

    So long!
    Ysabelle

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