Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Hinter jeder Sucht stecke eine Sehnsucht

Hallo, Welt! Ein Buch mit eben diesem Titel steht bei mir im Seminarraum im Regal. Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich es gelesen habe, aber es ist noch immer aktuell.

Zurzeit habe ich einen kleinen Hund in Pflege. Wenn er seine Ohren spielen lässt, könnte ich dahin schmelzen. Er ist freundlich, verträgt sich mit den Katzen und genießt Spaziergänge um den Hafen. Ein Teil von mir begrüßt es sehr, dass Wauwi jetzt gerade hier ist, denn so erfülle ich mir die Bedürfnisse nach Struktur, Bewegung und frischer Luft. Und gleichzeitig nehme ich wahr, dass der Hund mich an dem hindert, was ich im Moment viel lieber machen würde: Arbeiten.
Am liebsten wäre es mir, ich könnte um acht am Schreibtisch sitzen und abends um zehn den Computer schlafen schicken. Meine Katzen sind es gewohnt, dass sie mich hier nicht weg kriegen. Manchmal greifen sie zum Äußersten und legen sich auf die Tastatur. Ich mag nicht essen, weil das nur aufhält, und wenn sich dann irgendwann doch der Hunger schneidend meldet, stopfe ich irgendetwas in mich hinein. Bloß keine Störung von der Arbeit…
AAS, die Anonymen Arbeitssüchtigen, schreiben auf ihrer Seite:

Sind dir einige der folgenden Symptome vertraut?
Du hast Angst vor der Arbeit und brauchst lange, um endlich anzufangen.
Du kannst dich nicht auf die Arbeit konzentrieren und verzettelst dich oft.
Du nimmst dir viel zu viel vor und arbeitest bis zur völligen Erschöpfung.
Du beurteilst dich und deinen Tag fast ausschließlich nach der Menge der geleisteten – mehr noch der nicht geleisteten – Arbeit.
Dein Perfektionsanspruch lähmt dich oft völlig bei der Arbeit.
Du weist Kontakte, Einladungen und Unternehmungen mit dem Hinweis auf „zuviel Arbeit“ zurück.
Du kannst zwischen Freizeit und Arbeitszeit nicht trennen und denkst auch in der Freizeit dauernd an die Arbeit (und umgekehrt).
Du stehst häufig unter Zeitdruck.
Du möchtest möglichst viel in kurzer Zeit und mit geringem Aufwand erreichen.
Du glaubst, „erst etwas leisten“ zu müssen und dir dein Lebensrecht durch Arbeit beweisen zu müssen.
Du schämst dich deiner Arbeitsschwierigkeiten oder Arbeitssucht und magst mit niemandem darüber sprechen.
Jeder von uns kennt eines oder mehrere dieser Symptome. Wir versuchen deshalb, unseren Schwierigkeiten gemeinsam zu begegnen und stützen uns dabei auf das Zwölf-Schritte-Programm der anonymen Selbsthilfegruppen (mit Einverständnis der AA Grapevine).

ich habe sechs Treffer. Besonders spricht mich an:

Du glaubst, „erst etwas leisten“ zu müssen und dir dein Lebensrecht durch Arbeit beweisen zu müssen.

Gestern hatte ich mit einer Kollegin eine wundervolle Arbeit. Dabei sind wir auf eine Reise in mein Inneres gegangen und haben dort allerlei Neues erfahren. Unter anderem meldete sich meine Großmutter, um mich zur Arbeit anzutreiben. Und in einem Gespräch mit Simran vor einigen Wochen ist mir noch einmal ganz deutlich geworden, wie kostbar mir Gemeinschaft ist und dass es in mir den Glaubenssatz gibt, ich müsse permanent Höchstleistungen liefern, um dieser Gemeinschaft anzugehören. Und wenn ich meinen eigenen Ansprüchen nicht genüge, macht das nur wieder neuen Druck…

In diesen Tagen sitze ich über der Vervollständigung meiner Zertifizierungunterlagen und stöbere daher intensiv in alten Papierstapeln und Tagebüchern. Ich kann sehen, dass dieses Muster über 30 Jahre alt ist. Nach der Geburt meines Sohnes kämpfte ich mit Leistungsanforderungen: Wie muss eine perfekte Mutter sein? Und was bin ich für eine Versagerin, dass ich das nicht hinkriege. Ich habe mich und das Kind mit diesem Druck total wuschig gemacht… Und es gibt genug andere Beispiele aus den letzten 30 Jahren, die diesen Druck illustrieren.

Heute merke ich die Veränderung, die durch die GfK in mein Leben gekommen ist. Und ich sehe mit Schrecken, wie un-bewusst ich früher mit diesem Druck umgegangen bin. Ich hatte gar keine Möglichkeit, ihn anzuschauen, zu prüfen, wie möchte ich denn gern damit umgehen? Heute stelle ich fest: Boah… da ist Druck! Und dann versuche ich herauszufinden, welches wunderbare Bedürfnis da gerade befriedigt werden möchte. Immer wieder stoße ich dabei auf meine Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Manchmal ist es auch so, dass ich durch die Arbeit einfach in Flow komme und es genieße. Und das ist auch in Ordnung. Was ich ändern möchte, ist dieser Druck zu arbeiten. Ich möchte freiwillig und freudig arbeiten, vor allem aber auch Pausen machen oder mit guten Gewissen entscheiden: Das mache ich nicht, und das ist auch ok so…
Ein Lernfeld! Und gleichzeitig bin ich dankbar für die Bewusstheit, die ich durch das alltägliche Praktizieren der GfK entwickeln durfte. Wenigstens merke ich jetzt, was los ist…
Und da sitzt ein kleiner Hund im Sessel und dreht die Ohren wie Radarschüsseln. Ich glaube, er würde es genießen, jetzt eine Runde zu laufen. Scheint eine gute Idee zu sein. Und hinterher vervollständige ich die Texte fürs Handout vom Hamburger Institut für Gewaltfreie Kommunikation, das allmählich Fahrt aufnimmt. Und dann geht es wieder an die Schlüsselunterscheidungen. Habt Ihr eine Vorstellung, was eine idiomatische Giraffe ist? Ich halte Euch auf dem Laufenden 😉

So long!

Ysabelle

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