Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Aus der Erfinderwerkstatt

Hallo, Welt!
Der Morgen begann mit einer Mülltonnen-Rallye. Irgendetwas weckte mich und ich realisierte, dass es vor dem Schlafzimmerfenster ganz schön laut war. Oh, Mist, ich hatte vergessen, die Papiertonne rauszufahren… erstaunlich, wie schnell man sich auch mit über 50 noch bewegen kann und dass ein Bademantel bei manchen Gelegenheiten eine Top-Bekleidung ist. Zumindest morgens um halb sieben.

Dann ein schneller Blick auf die Post und schwups… schon war ich wieder mit Klettband am Rechner festgemacht. Meine meistgeliebte Grafikdesignerin und ich entwickeln einen Schreibblock mit vorgedruckten Rückmeldungs-Fragebögen für Trainer/Zertifizierungskandidaten. Und obwohl der Text eigentlich schon seit einer Woche feststeht, ist es UNGLAUBLICH, auf wie viele Sachen man dabei noch zu achten hat. Zum Beispiel als Antwort auf die Frage:

Lehrt und zeigt GFK-Konzepte effektiv.
Der erste Gedanke war, wir machen einen Bewertungsbalken von – 5 bis + 5 und dann kann man ankreuzen.
Steffi hat gebaut und da wir an der Küste sind, war der Balken farbig von -5 rot bis + 5 grün.

Boah, sah das scheiße aus!
Dann haben wir gesagt, wir nehmen nur eine Farbe, von blaßblau bis krassblau.
schon besser.
Und dann tauchte die Frage auf: Was soll denn – 5 sein?
Also, im vierten Anlauf sind wir jetzt bei einem Balken mit einem blauen Farbverlauf, der von Null bis Fünf geht.

Liebe Freunde der Gewaltfreien Kommunikation, mal ehrlich:
Diesen Aufwand kann gar keiner bezahlen! Wie viele 100 Din-A-4-Blöcke muss ich denn verkaufen, um drei Stunden Grafikdesignerin wieder reinzukriegen? Der Block ist ein Gebrauchsartikel, er soll nicht mehr als 2,80 € kosten, sonst wäre es ja billiger, sich den Kram zu kopieren. Was fällt Euch bei dieser Zeile auf: Feedback-Gebende
Wir sind jetzt bei Version 11, und erst jetzt machen wir eine Zeile für den Namen und eine Zeile für Mailadresse und Telefonnummer.
Na ja, Version 11 hört sich vielleicht dramatisch an. Da wir nicht nebeneinander sitzen, kriege ich für jede kleine Änderung oder Einfügung ein neues PDF… aber trotzdem. Es ist nicht trivial, und ein Produkt eben mal hinrotzen geht gar nicht.
Ihr seid übrigens die ersten, die die beiden neuesten Schätze aus dem Shop sehen könnt. Wolfgang Lenhardt hat gestern die Fotos gemacht. Wenn ich es irgendwie schaffe, werden diese beiden grandiosen Buttons heute noch ins Regal des Empathikon-Shops gelegt: Buttons für GfK-Freunde Der viereckige ist einfach für Jedermann… Neulich habe ich ja schon beschrieben, wie ich auf „erst fühlen, dann denken“ gekommen bin, oder? Der runde ist für Übungsgruppen oder Seminare und kennzeichnet den Empathizer of the day, also die Person, die sich gerade fit fühlt, anderen Empathie zu geben…
Eigentlich stand hier für heute eine ganz andere Überschrift drüber, nämlich Psychologie für Mitarbeiter. Aber das kam auf einmal gar nicht aus der Tastatur. Motto des heutigen Tages: Geh mit dem, was in dir lebendig ist!

So long!
Ysabelle

Kreise um den Bügelkorb

Hallo, Welt!
Bald nach dem Aufwachen dachte ich, heute komme ich endlich dazu, den Bügelkorb abzuarbeiten. Wie schon oft berichtet, ist Bügeln meine liebste Hausarbeit. Gleichzeitig ist sie auch eine, die auf der Prioritätenliste ziemlich weit unten steht, weit hinter Katzenklos sauber machen, Geschirrspüler ausräumen, Wäsche waschen oder Waschbecken putzen. So hat sich in den vergangenen sechs Wochen ein unglaublicher Haufen Bügelwäsche aufgetürmt und das Erstaunliche daran ist, dass der Kleiderschrank immer noch gut gefüllt ist.
Gestern Abend um 11 habe ich das englische Enrollmentdocument für das IIT in vier Wochen abgeschlossen. Mein Ex-Mann ist freundlicherweise bereit, es überzupolieren. Immerhin möchte ich auch, dass das Englisch verstanden wird. Grammatik war nie meine Stärke, und Tippfehler sind an der Tagesordnung.

Eben haben wir kurz dazu geskypt. Jetzt gehe ich im Gegenzug durch eines der Dokumente, die er mir kürzlich zur Verfügung gestellt hat. Eine Hand wäscht die andere. Und wie gesagt: Noch gibt es genug Zeugs im Kleiderschrank.
Heute wird auch meine wunderbare Grafik-Designerin vorbeischauen. Wir wollen einen Abreißblock mit Feedbacks druckereifertig machen. Die kann man dann immer dabei haben und seine Seminarteilnehmer bitten, mal eben schnell ein Feedback zu erstellen. Mit dieser Checkliste ein Klacks. Bis gestern Abend hatte ich gedacht, wir übernehmen den Text aus dem CNVC-Formular zu diesem Anlass. Heute Morgen glaube ich, den Absatz mit dem Verweis auf die Zertifizierung lassen wir raus oder formulieren ihn nicht mehr ausschließlich mit Bezug auf Zertifizierungskandidaten. Jeder von uns kann doch Feedback gebrauchen, egal ob in der Zertifizierung oder nicht…

Apropos Feedback… Gestern war ich beim Meeting meiner Selbsthilfegruppe, seit langer Zeit das erste Mal. Im Anschluss habe ich ein Feedback von einer Teilnehmerin bekommen, für die ich einmal tätig war. Das tat total gut. Und während des Meetings ist mir deutlich geworden, dass Feedback für mich echt ein wunder Punkt ist. Im Sinne der GfK ist ja Feedback eine Rückmeldung, wie es mir mit etwas geht… Sie soll zum Lernen und Wachsen beitragen. GfK-Feedback kommt aus einer unterstützenden Haltung heraus und nicht etwa mit der Payback-Karte. Ich merke dabei, wie schwer es mir fällt, mit dem präsent zu sein, was in mir ist. Ich dümpel in Empathie herum und habe keinen Mut oder keine Energie, mit dem da zu sein, was in MIR lebendig ist. Ich kann aus der Hüfte fiese Kommentare abgeben, das wurde bei uns zu Hause als „Berliner Schnauze“ kultiviert. Auch eine Art nicht zu merken, was wirklich weh tut. Aber umgehend authentisch mit meinen Regungen präsent zu sein wird noch zu oft durch das Mäntelchen der Empathie zugedeckt. Dahinter steckt die Angst, das kann ich schon erkennen. Nur weiß ich noch keine Antwort auf die Frage, was ich denn zu verlieren hätte, wenn ich denn mehr von mir zeigen würde, meine Verletzlichkeit, meine authentische Reaktion… ich vermute, es geht um Verbindung. Wieder. Und wieder. Mein Lebensthema… wie langweilig!

So long!

Ysabelle

Zwei Päpste und Marshall…

Hallo, Welt!
Auf allen Kanälen gibt es heute Morgen ein Thema:

Zwei neue Heilige für die katholische Kirche: In einer beeindruckenden Zeremonie hat Papst Franziskus seine beiden Vorgänger Johannes Paul II. und Johannes XXIII. heilig gesprochen.

Irgendwo habe ich dieser Tage aufgeschnappt, warum diese Heiligsprechung aus Sicht der Katholischen Kirche so wichtig ist. Dazu sagt Franz-Josef Overbeck, der Bischof von Essen in einem Interview (ich habe es gekürzt!) mit Deutschlandradiokultur:

Welty: Eine Heiligsprechung bedeutet, dass diese Person weltweit verehrt wird. Aber ist das bei den beiden genannten Personen nicht ohnehin der Fall?

Overbeck: Das ist der Fall, auf diese Weise wird nur noch einmal öffentlich deutlich gemacht, was viele Leute sowieso glauben und auch in ihrer Glaubenspraxis anwenden, nämlich zu sagen, wir haben Fürsprecher bei Gott und dazu gehören diese beiden.

Welty: Braucht es im 21. Jahrhundert, in einem Bistum wie Essen beispielsweise noch Heilige?

Overbeck: Heilige selbst sind Vorbilder in diesem Sinne, dass jeder Mensch für sich den Weg sucht, den Gott für ihn bestimmt. Das heißt in diesem Sinne auch heilig zu werden. Das kann man schon in der Bibel nachlesen. Ich erlebe in unserem Bistum Essen – ich bin auch Militärbischof, insofern merke ich es auch noch mal auf einer ganz anderen Ebene –, Vorbilder werden gesucht, Menschen, an denen wir uns ausrichten können. Johannes Paul II. war 1987 bei uns im Bistum Essen, und von daher ist er bei vielen Menschen auch daher noch in lebendiger Erinnerung. Das ist etwas, was viele gerne wie eine Richtschnur und einen Leitfaden für sich nehmen.

Unter diesem Aspekt beantrage ich die sofortige Heiligsprechung von Marshall Rosenberg noch zu seinen Lebzeiten.

Beim letzten IIT in Europa, 2009


Beim letzten IIT in Europa, 2009

Zum einen glaube ich, dass er mit seiner Arbeit wirklich Wunder bewirkt hat. Das sehe ich zuerst an meinem eigenen Leben. Ich erlebe mich selber gelassener, mit mehr innerem Frieden. Ich merke, dass es mir leichter fällt, mit Konflikten in meinem Leben umzugehen. Ich genieße eine neue Lebensqualität in meinen Beziehungen zu meinem Partner, meiner Mutter, meinem Sohn… mit Freunden und Fremden. Marshall Rosenbergs Konzept der Gewaltfreien Kommunikation beflügelt einen spirituellen Umgang miteinander, indem uns bewusst wird, dass wir alle die gleichen Bedürfnisse haben. Und nur wenn ich deine Bedürfnisse achte, kann ich gewiss sein, dass meine Bedürfnisse ebenfalls anerkannt werden.

Nun ist mein Leben natürlich klein. Und gleichzeitig finde ich es wunderbar, was ich an Veränderung erlebt habe. Wenn ich mich umschaue, finde ich mindestens ein Dutzend Menschen, deren Leben durch den Kontakt mit der GfK bereichert, inspiriert oder tiefer geworden ist. Reicht das nicht als Wunder?

Wenn es aus irgendwelchen Gründen für die Heiligsprechung nicht reicht – würde die Katholische Kirche einen Juden heilig sprechen? Müssten sie doch eigentlich, Jesus war doch auch ein Jude… – dann will ich wenigstens den Nobelpreis für Marshall. Dieses Jahr. Bitte! Denn der Nobelpreis kann nur an lebende Personen verliehen werden, und Marshall wird dieses Jahr 80 Jahre alt…

So long!

Ysabelle

Neulich an der Kasse…

Hallo, Welt!
Einer meiner Seminarteilnehmer schrieb mir dieser Tage nach einer Begegnung mit seiner Nichte:

Ich war bei meiner Schwester und da kamen mir neue Fragen zu GfK auf.
Wie erzieht man eigentlich Kinder nach GfK?
Ich glaube, dass ist nochmal ein ganz spezielles Thema!

Da es mir selber nicht einmal im Ansatz gelungen ist, mein Kind gewaltfrei zu erziehen, habe ich an dieser Stelle die Arme hochgerissen und gesagt: Ja, ist ein Thema, aber ich bin nicht kompetent.

Kurz darauf fand ich mich an der Kasse des örtlichen Drogeriemarktes wieder und beobachtete, wie ein kleiner Junge zwischen den Süßigkeiten-Regalen der beiden Kassen mäanderte. Die Aufsichtsperson, vielleicht die Mutter, hatte zwei weitere Kinder dabei und reagierte mit erhobener Stimme. „Komm hier her! Wir kaufen jetzt nichts. Du kriegst genug Süßes zwischendurch!“
Dem Jungen schien das unbehaglich zu sein, dennoch zog es ihn wie von Zauberhand zu den tiefer gelegten Regalen. Dann hörte ich die Mutter sagen: Dann bleibst du eben hier und wir gehen allein nach Hause.

An dieser Stelle dachte ich an den wunderbaren Workshop mit Arnina Kashtan vor einem Jahr und verließ meinen Platz in der Schlange. Ich hockte mich vor das nächste Süßigkeiten-Regal und versuchte, mit dem Jungen Augenkontakt aufzunehmen. „Das ist alles so lecker hier!“, war mein erster Versuch. Er wich zurück, sah mich aus großen Kulleraugen an. „Was isst du denn am liebsten von all diesen Sachen?“ war mein zweiter Anlauf. Sein Blick glitt kurz über die ausgestellten Köstlichkeiten, dann drehte er sich um und ging schnell zu seiner Mutter zurück. Ich fädelte mich wieder an meinem alten Platz in der Schlange ein und hatte genug Stoff zum Nachdenken. Eine Auswahl meiner Überlegungen:

Warum denkst du, du kannst kein GfK mit Kindern? Ist auch nicht anders als mit Erwachsenen. Spiegeln, Empathie geben. Aus die Maus.
Boah, die Mutter war aber genervt. Anscheinend konnte sie nicht verstehen, warum das Kind, das eine gute Grundversorgung mit Süßigkeiten hat, von diesen Regalen so angezogen ist. Was ist ihr Bedürfnis? Effizienz? Ich will mit drei Kindern hier möglichst unfallfrei aus dem Laden kommen? Schutz? Was sollen die Leute denken, wenn der Kleine an der Kasse Theater macht? Verstehen? Wieso will er jetzt was? Zu Hause liegen noch Tonnen von Ostereiern..? Wirksamkeit? Muss ich das jedes Mal wieder neu erklären an der Kasse?

Egal, was das Motiv der Aufsichtsperson war, so zu reagieren. Eines ist mir dadurch mal wieder deutlich geworden: Wir alle brauchen immer zuerst Empathie. Es geht um die Wiederentdeckung unserer Gefühle als Wegweiser zu unseren unerfüllten Bedürfnissen. Und unter diesen Gesichtspunkten kann ich wahrscheinlich auch GfK mit Eltern und Kindern… „It’s all about connection, stupid!“

So long!
Ysabelle

Stinking thinking

Hallo, Welt!
Dieser Begriff „stinking thinking“ – stinkendes Denken – klebt seit gestern in meinem Hirn. Eben habe ich ihn mal gegoogelt.
Eine Erklärung:

a bad way of thinking, that makes you believe you will fail, that bad things will happen to you, or that you are not a very good person

Also, diese Art zu denken lässt mich glauben, ich würde scheitern, schlimme Dinge würden mir zustoßen oder ich sei kein guter Mensch. Na, vielen Dank.
Dann fand ich eine Webseite, die eine Hitliste der zehn stinkigsten Gedanken auflistet. Hier das Angebot:

1. Alles-oder-nichts-Denken
2. Ständige Generalisierung (immer & nie)
3. Mentaler Filter: So lange es geht auf dem einen negativen Feedback rumkauen
4. Das Positive abziehen: Das gilt nicht, nur die Sch… zählt
5. Schlüsse aus der Hüfte – Negative Interpretationen ohne passende Beobachtung
6. Vergrößerung: Dein (vermeintliches) Problem wird übermächtig
7. Emotionales Begründen: Weil ich Angst vorm Fliegen habe, muss Fliegen ja gefährlich sein…
8. „Sollte“-Aussagen: Ebenso f(r)u(r)chtbar wie „müsste“ oder „gehört sich so“
9. Etikettieren: „Ich bin ein Versager“. Wirkt sofort! Auch gern genommen: „Er/sie ist ein Idiot“.
10. Personalisierung und Schuldzuweisung: Super, wenn Du nicht wirklich allein in der Verantwortung bist… Die schlechten schulnoten des Kindes zeigen nicht unbedingt, dass du eine schlechte Mutter bist. Und Fremdgehen des Partners sagt nichts über deine Qualität als Geliebte. Und diese Beziehung ist nicht deshalb so lausig, weil du ja nie da bist…

Ich glaube, dieses Thema wird mich noch ein paar Tage beschäftigen.
Aktuell gab es zwei Auslöser. Heute Morgen kam im Gespräch mit meiner Mutter heraus, dass sie sich so schlecht fühlt, weil sie sich ständig mit früher vergleicht. Früher konnte ich den Deckel vom Wäschetrockner noch selbst öffnen. Heute schaffe ich das nicht mehr… es geht zu Ende mit mir…
Liebe Freunde, sie hat Pflegestufe 2, da sollte sie eigentlich gar keine Wäsche mehr waschen müssen! Also, sie vergleicht ihren aktuellen Zustand mit früher und fühlt sich dann schlecht. Es ist nicht so, dass sie sich subjektiv gerade krank, gebrechlich oder hinfällig FÜHLT. Nein, sie denkt es, und damit geht es ihr schlecht.

In einem anderen Fall geht es um eine liebe Freundin, in deren Unternehmen aktuell Kurzarbeit aufgerufen ist. Bei ihr gibt es kreisende Gedanken um das Wohl des Unternehmens, aber auch um die Option, sich mit 50 noch mal etwas Neues aufzubauen. Beide Konzepte führen zu einer Art Hoffnungslosigkeit, was wiederum auf Stimmung und Tatkraft Auswirkungen hat…

Ich kenne seit ein paar Jahren den Spruch „Stinking thinking leads to drinking“ und das stammt natürlich aus dem Zitateschatz der Anonymen Alkoholiker (AA). Hier gibt es dazu einen schicken Artikel – leider auf Englisch. Aber auch in dieser Aufzählung finden sich Punkte wieder, die ich oben zusammen getragen habe.

Was hat das alles mit GfK zu tun?
Die Gewaltfreie Kommunikation ermöglicht es uns, unsere internen Dialoge, unsere Selbstgespräche und unsere Urteile wahrzunehmen. Wir können sie dann in unerfüllte Bedürfnisse übersetzen. Und dann können wir daran gehen, uns für ihre Erfüllung einzusetzen.
Genau das habe ich heute Morgen getan.
Ich hing an der Klippe von Nr. 5 – es gab Beobachtungen, aber mir war klar, dass es dahinter VIIIIEL Interpretation gab. Da habe ich mir ein Herz gefasst und mal zum Telefon gegriffen. Schon erstaunlich, wie viel Erleichterung spürbar wird, wenn Dinge auf einmal offen auf dem Tisch sind, und die damit verbundenen Gefühle wahrgenommen werden… Kein Eierlikör für mich heute!

So long!
Ysabelle

Die Welt, wie sie mir gefällt… widdewiddewitt

Hallo, Welt!
Frohe Ostern allerseits! Könnt Ihr Euch erinnern, wie Andrea Nahles vor einigen Monaten im Bundestag gesungen hat? Das ging ja durch alle Nachrichten und Schlagzeilen.

2 x 3 macht 4
Widdewiddewitt und Drei macht Neune !!
Ich mach‘ mir die Welt
Widdewidde wie sie mir gefällt ….

Hey – Pippi Langstrumpf
trallari trallahey tralla hoppsasa
Hey – Pippi Langstrumpf,
die macht, was ihr gefällt.

In diesen Tagen entdecke ich um mich herum, wie sich Menschen die Welt zurecht dengeln und das Erstaunliche ist, dass ihnen das Ergebnis eben nicht gefällt.
In einem Gespräch wurde ich kürzlich informiert, dass Türkinnen nichts sagen dürfen, weil das immer ihr Kerl macht, und dass das ja wohl komplett inakzeptabel sei.
Also, die Geschichte ging nicht: Diese eine Türkin hat nichts gesagt, obwohl ich immer wieder Augenkontakt gesucht habe“, sondern „alle Türkinnen“ oder zumindest alle, die in Deutschland leben. Und das ist – natürlich – schlecht.
Als ich neulich nach Hause komme, treffe ich in der Straße, in der ich wohne, auf eine betagte Nachbarin, die sich mit einer Bekannten unterhält. Beide Frauen zeigten sich entrüstet über die Neger und die Türken, die von unserer Sozialhilfe leben und unsere Häuser aufkaufen. Wie bitte? Was ist die Beobachtung? Als ich zu diesem Gespräch dazu kam, rumorte es sehr hilflos in meinem Kopf. „Die brauchen Einfühlung“ meldete mein Extra-Sinn. (Ja, ich bekenne, ich bin ein alter Perry-Rhodan-Fan). Und dann kam nichts mehr. Ich war selbst so geplättet von diesen Aussagen, dass mir gar keine Einfühlung zur Verfügung stand. Selbst jetzt, vier Tage später, gibt mein Hirn nicht all zu viel her in dieser Richtung. „Sind Sie besorgt, weil Ihnen die deutsche Kultur am Herzen liegt?“ ist vielleicht noch mein bester Versuch.
Vor vielen vielen Jahren hatte ich mich in einen Mann verliebt, der ziemlich weit weg wohnte. Er war studierter Psychologe und hatte einen Job an der Uni. Eines Tages erzählte er mir, er sei besorgt, denn ich würde ja jetzt meinen Mann verlassen und mit meinem Kind zu ihm ziehen und zum einen sei seine Wohnung dafür zu klein und zum anderen verdiene er als Assistent nicht genug, um eine Familie durchzubringen… Keine seiner Annahmen hatte irgendeinen Realitätsbezug. Und gestern Abend wiederholte der Mann meines Herzens die Aussage, er habe mich nach seiner Operation aus meinem Schlafzimmer verdrängt. Ich bin fassungslos. Und ich spüre Schmerz. Und ich frage mich: An welchen Stellen sehe ich denn die Welt so wie sie mir gefällt? Und dann gefällt mir nicht, was ich sehe?

Unter diesem Aspekt freue ich mich sehr, dass ich mich in den vergangenen sieben Jahren so intensiv mit Interpretationen beschäftigt habe. Verdrängt, schmarotzen, unterdrückt, manipuliert, vernachlässigt, „nicht gesehen fühlen“… ich höre nicht mal mehr Alarmglocken, wenn mir diese Worte begegnen, sondern in aller Regel übersetze ich automatisch in unerfüllte Bedürfnisse. (Ach ja, für meine Abschlussarbeit in der Mediationsausbildung habe ich eine kleine Dokumentation zu Interpretationsgefühlen zusammen gestellt. Wer will, kann sie bei mir anfordern.) Gleichwohl bleibt die Angst. Es ist keine GfK, wenn ich den anderen erkläre, wie ICH die Welt wahrnehme und was denn die Beobachtung sei. Das mache ich möglichst nur mit befreundeten GfK’lern, die den zweiten Dan in Rosenberg haben. Stichwort: Aufrichtiger Selbstausdruck. Eher führen solche Sätze dazu, dass ich wie gelähmt bin. „Ja, aber…“ ist keine Alternative. Empathie steht mir dann manchmal aufgrund meines eigenen Schocks oder Entsetzens nicht zur Verfügung. Und ich wittere die Gefahr, dass ich die Verbindung über Gebühr belaste, wenn ich meine Gefühle und Bedürfnisse an dieser Stelle schildere. In meinem Erleben ist es häufig so, dass meine Gegenüber so eingesponnen sind in diesen kulturellen Kokon aus Richtig und Falsch, dass sie meine Worte sofort als Kritik interpretieren. Und ich habe keinen Einfluss darauf, wie ich gehört werde. Ich habe lediglich Einfluss darauf, was ich sage.
Ich bin gerade so müde! Ich sehne mich nach einer fortgeschrittenen Giraffengemeinschaft, in der wir mit dem Herzen hören, und nicht mit dem Urteils-Sektor unseres Gehirns. Und mir ist bewusst: Ich habe keine Klarsicht gepachtet. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit habe ich auch meine blinden Flecken. Und dann bastele ich mir die Welt, wie sie mir nicht gefällt. Und verharre in meinen Ängsten. Wie frustrierend!

So long!
Ysabelle

Im Kreuzverhör

Hallo, Welt!
Gestern Nachmittag habe ich eine Tasche voller Kompaktbriefe zur Post geschleppt. Der Inhalt: Flyer, die auf das anstehende IIT im Mai aufmerksam machen. Heute sind sie hoffentlich bei 25 Trainern in Deutschland im Briefkasten.
Auf dem Weg kam ich an drei Menschen vorbei, die miteinander – nun – interagierten. Nennen wir es mal so. Da stand ein junger männlicher Mensch mit einem Fahrrad. Rechts von ihm ein Paar, das in meiner Erinnerung älter als 40 Jahre war. Während ich auf diese Gruppe zuging, schnappte ich ein paar Wortfetzen auf und dachte sofort: „Blog“.
Die Stimme der Frau wirkte auf mich irgendwie scharf. Ich hörte sie sagen: Und wie läuft es in der Schule? Und dann hörte ich die Frage: Wie alt bist du jetzt eigentlich? 12?
Dann war ich an der kleinen Gruppe vorbei und es gruselte mich.
Wenn das Verbindung sein soll, dann hätte ich lieber keine! In meiner Wahrnehmung wirkte der junge Mensch unbehaglich. Und wie ein Wasserfall brachen Erinnerungen aus meiner Kindheit hervor. Freunde meiner Großeltern, die mich auf diese Weise befragten. Oder Nachbarn. Für mich hat das mehr von Kreuzverhör als von echtem Austausch und genuinem Interesse.
Wiktionary: Bedeutungen genuin:
[1] Medizin: angeboren
[2] ursprünglich, original

– Mir fiel gerade kein deutsches Wort für das ein, was ich ausdrücken möchte… –
Warum ist mir so unbehaglich bei dieser kleinen Szene? Ähnliches spielt sich doch sicher tagtäglich tausendfach auf unseren Straßen, Plätzen, Gehwegen ab. In diesem Moment vermute ich, dass es etwas mit der Energie zu tun hat. Unterstellen wir mal, das Paar (oder besser: Mann und Frau, die nebeneinander standen) war wirklich interessiert an Austausch und Verbindung mit dem jungen Menschen. Dann erfüllt es mich mit Trauer, dass sie dafür keine Sprache haben, die Verbindung schafft. Und sie stellen dazu die gleichen Fragen wie vor 100 Jahren (ok, ich bin noch nicht ganz 100, aber schon als ich die Fragen in meiner Kindheit hörte, dachte ich, sie wären alt und hätten irgendwie nichts mit mir zu tun). Die Energie, mit der die Fragen präsentiert wurden, hatten für mich etwas Unverbundenes, Kontrollierendes. Gäbe es Gewürze in der Sprache, wäre hier sicherlich eine große Prise „Richtig und Falsch“ mit verkocht worden. Die Sprecherin schien etwas prüfen zu wollen. Was soll ich denn auf der Straße antworten auf die Frage: Wie läuft es in der Schule? „Super“, ist das einzige, was mir einfällt. Ist genau so wie die Frage: Wie geht’s? Hey, Klasse! Verdammt! Wenn du dich wirklich für mich interessierst, nimm mich nicht ins Kreuzverhör. Lass mich teilhaben an dem, was du denkst, was du fühlst! Bist du überrascht, mich zu sehen? Bist du erstaunt, wie sehr ich mich verändert habe? Hattest du ernsthaft geglaubt, ich bliebe immer 1,20 m. groß und würde immer weiße Strickstrumpfhosen tragen? Siehst du mich überhaupt?
Bis gestern hatte ich diesen Kommunikationsstil ohne nachzudenken in der Generation meiner Großeltern verortet. Das „Paar“ gestern war aber vermutlich jünger als ich. Und dabei merke ich: Ich möchte dazu beitragen, dass Menschen sich IN ECHT begegnen können. Es ist mir ein tiefes Anliegen, dass wir erkennen, was wir fühlen und wie unsere Gefühle unser Denken und Handeln beeinflussen. Was kann ich denn tun, um dazu einen Beitrag zu leisten? Soll ich mich mit einem Schild um den Hals auf den Wochenmarkt stellen: Erst fühlen, dann reden!
Coole Idee.
Ich glaube, dazu mache ich mal einen Sticker, eine Anstecknadel. Die biete ich dann im Shop an. Nehme Vorbestellungen entgegen!

So long!
Ysabelle

Es ist die Blickrichtung…

Hallo, Welt!
Ich bin wieder da. Die vergangenen Wochen waren wirklich super anstrengend, aber jetzt ist das Projekt „Ausstellung“ beendet und ich komme wieder zu meinem Kerngeschäft zurück: Gewaltfreie Kommunikation in meinem Leben. Hurra!
Im letzten Vierteljahr habe ich wieder und wieder voller Dankbarkeit erleben dürfen, welche Wunder die GfK in mir wirkt. Gestern entdeckte ich übrigens einen hoch spannenden Artikel von Florian Bauer über GfK in der Psychotherapie. Dabei dachte ich an einen Mann, den ich vor einigen Wochen kennen gelernt habe. Erschütternd: Er erzählte mir, er habe in seinem Leben 2000 schriftliche Bewerbungen verschickt und 2000 Absagen darauf erhalten und all diese Absagen archiviert. 2000 Mal: DICH WOLLEN WIR NICHT. Um Gottes Willen! Wundert es noch irgendjemanden, dass dieser Mensch Depressionen hat und zu Selbstverletzungen tendiert? Voller Schmerz und Aufruhr erzählte er, wie schwer es für ihn wäre, dass er aufgrund seiner finanziellen Situation nicht ein viertes Mal in die USA reisen könne, ein Land, das ihn so sehr begeistere. Auch da fielen mir fast die Augen aus dem Kopf: Er war schon drei Mal in den USA (ich noch nie, macht aber nichts, da will ich auch nicht hin), und statt sich daran zu freuen, grämt er sich über das, was er aus heutiger Sicht nicht hat oder nicht haben wird. Seine Gläser sind mit Sicherheit alle eher leer, selbst wenn vielleicht erst ein Schluck daraus genommen wurde…
Mich hat diese Begegnung sehr berührt und mich mit meiner tiefen Dankbarkeit in Verbindung gebracht. Ich bin dankbar für alles Schöne, das ich erlebe. Ich bin dankbar für all die neuen Erfahrungen, die mir die GfK ermöglicht. Und ich habe es so wahrgenommen, dass mir die GfK eine schützende Rüstung schenkt. Viele Situationen konnte ich nur einigermaßen aufrecht überstehen, weil ich bei meinem Gegenüber hören konnte: „Ich habe ein dringendes unerfülltes Bedürfnis!“ Ich musste die Botschaften, teils gebrüllt, teils gezischt, teils per Mail, teils im direkten Gespräch, nicht mehr persönlich nehmen. Ich bin nicht mehr verpflichtet zu hören: Mit dir stimmt etwas nicht! Und bestimmt werde ich mir keine Absagen ins Regal stellen, um bloß ständig dran zu denken, was alles nicht rund läuft in meinem Leben. Heute freue ich mich selbst über die Neige im Glas. Prosit!

So long

Ysabelle

Copyright © 2025 by: Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren! • Template by: BlogPimp Lizenz: Creative Commons BY-NC-SA.