Hallo, Welt!
ich hatte gerade ein einstündiges Telefonat mit dem Partner der Patientin, die seit Wochen unsere Familie „in Atem hält“ (tut sie natürlich nicht wirklich, wir halten uns in Sachen Betreuung und Ähnliches in Atem). Vorgestern Abend hat die Patientin im Krankenhaus einen Schwächeanfall erlitten und liegt jetzt auf der Intensivstation. Der Partner macht sich Vorwürfe, weil er das medizinische Personal nicht am Freitagabend von seinen Bedenken unterrichtet hat. Und dann ging es immer hin und her: Die Ärzte haben dies und das bei der Anamnese versäumt, ich hätte anrufen müssen… die sind scheiße, ich bin scheiße…
Er zitierte aus einem Arztbrief, in dem ein Kardiologe geschrieben hatte, „die Patientin ist uns bestens bekannt“, und sagte, das heißt, die Patientin ist eine Simulantin. Ich kam mir vor, als ob ich mit einer Machete vor einem undurchdringlichen Dschungel aus Urteilen, Diagnosen und Ängsten stehe. „Was genau hat der Arzt gesagt? Was genau stand in dem Brief? Was ist die Beobachtung, wenn du sagst, sie sei fast gestorben? Ist sie reanimiert worden?“
Hilfe! Ich will eine Welt, in der wir alle Beobachtung und Bewertung voneinander trennen können! Ich fühle mich so angespornt im Moment, das noch mehr, noch „besser“ zu lernen, und in die Lage zu kommen, Menschen besser Einfühlung zu geben, statt sie zu belehren. Am liebsten würde ich sofort den nächsten Kurs anfangen. SO kann es nicht weiter gehen.
So long!
Ysabelle
geschrieben am 10. Oktober 2010 um 10:43 Uhr von Ysabelle Wolfe
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Hallo, Welt!
Gestern Abend war es dann so weit. Ich kam um 19,45 Uhr von der Arbeit nach Hause, packte gerade noch ein paar Einkäufe aus, da klingelte das Telefon. Ein Bekannter, der mich sehr unterstützt, wollte sich ein bisschen austauschen. Noch während er sprach, zog ich mich aus und ging ins Bett. Einen Anruf aus meiner Familie um 21.55 Uhr habe ich nicht mal mehr gehört.
Zwei kurze Wachphasen heute nacht habe ich mit Harald Reinhardt beschallt, gegen sieben heute Morgen dann bin ich aus meinem Koma langsam aufgetaucht.
Ich habe versucht, mich freundlich auf diesen neuen Tag einzulassen. Das Wetter soll schön sein, ideal um auf den Golfplatz zu fahren. Aber wie die fallenden Blöcke bei Tetris
prasselten die „Unerledigten“ auf mich ein: Der Geschirrspüler läuft noch nicht, es sind mindestens zwei Maschinen Wäsche zu waschen, ich habe heute eine Verabredung in St. Michaelisdonn, die noch nicht final abgestimmt ist, da liegt schon wieder ein Korb Bügelwäsche, die Katzenklos müssen gemacht werden, im Büro liegen ein paar unerledigte Dinge auf dem Schreibtisch, die eine ganz hohe Priorität haben…
Ich kann diese Liste noch beliebig fortsetzen. Darum geht es aber gar nicht.
Ich merkte, wie diese Gedanken sich verselbstständigten. Es wurde immer mehr Unerledigtes, immer mehr „du musst noch“ und „vergiss nicht“ und „das liegt auch schon wieder rum…“. Ich fühlte mich wie ein Autofahrer, dessen Wagen nicht auf die Lenkung reagiert und der sehenden Augs auf eine Mauer zurast. Im Körper spürte ich Anspannung, mein linker Ellenbogen und mein Ischias meldeten sich unangenehm. Solche Gedanken wie „hallo…. der Stress kommt nur von deinen Gedanken… du liegst hier ganz friedlich im Bett und es ist gerade überhaupt keine Gefahr im Verzug“ drangen nicht durch. So bin ich also um halb acht aufgestanden und habe mir einen Kaffee gekocht.
Warum ich das hier aufschreibe?
Dies ist eine kosmische Bestellung für ein Pensieve. so ein Becken wie es bei Harry Potters Schulleiter Dumbledore im Büro stand.
Und dann könnte ich mithilfe des Zauberstabs all diese Antreibungen und Hetzereien abfließen lassen. Es ist ja nicht das, was es ist, was mich antreibt. Es sind meine Gedanken dazu. Der Bügelkorb steht friedlich im Schrank und sagt kein Wort. Die Waschmaschine beschwert sich ebenfalls nicht über mangelnde Ladung. Noch ist Geschirr im Schrank, ich stehe also nicht weinend vor schmutzigen Kaffeetassen. Ok, die Katzen neigen irgendwann zu Protesthandlungen, wenn ihre Klos nicht geputzt sind, aber auch an dieser „Front“ besteht keine Lebensgefahr. Ich bin heute nicht im Büro, und ich habe diese Woche ohnehin 50 Stunden auf der Uhr – also was will ich mich verrückt machen über das, was da unerledigt liegt, heute, am Sonntag…
Es sind meine Gedanken, die mich unter Druck setzen. Und ich hätte gern den Ausschalter dafür. Ich würde gern einfach nur genießen, dass heute Sonntag ist und sich die Sonne zeigt. Ich möchte mich in meinem Tempo durch den Tag bewegen. Wachheit und Achtsamkeit statt Hetze und Angetrieben sein durch all die „musst“ in meinem Kopf. Mal sehen wie gut es mir gelingt, hier Fahrt rauszunehmen und vielleicht doch wieder die Lenkung meines Lebensfahrzeugs in die Richtung zu bewegen, die ICH gern einschlagen möchte, und nicht irgendwelche Persönlichkeitsanteile, die noch im Rattenrennen um „du musst“, um Richtig oder Falsch unterwegs sind.
So long!
Ysabelle
geschrieben am 10. Oktober 2010 um 08:40 Uhr von Ysabelle Wolfe
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