Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Zu sich selbst finden

Immer wieder heißt es, der eine oder andere habe noch nicht zu sich selbst gefunden. Aber das Selbst kann man nicht finden, man muss es schaffen.
Thomas Szasz

Was wissen wir eigentlich wirklich über uns selbst?
Vielleicht wissen wir, ob wir gern Sauerkraut oder Leber essen. Wir wissen, mit welcher Automarke wir am liebsten unterwegs sind, und ob wie lieber auf einer harten oder weichen Matratze schlafen. Doch wer von uns kann sagen, „Ich kenne mich!“?
Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich selber kennen zu lernen. Psychotherapie ist eine davon. Manche schwören auf das Enneagramm , andere blicken auf die Sternzeichen, Tarot-Karten, Rebirthing oder benutzen die Gewaltfreie Kommunikation.

Was macht mich glücklich? Was erfüllt mein Bedürfnis nach Nähe, nach Autonomie? Was bereitet mir Unbehagen und was schenkt mit Selbstvertrauen? Im Prozess der Gewaltfreien Kommunikation wird uns nach und nach deutlich, wie wir im tiefsten Inneren zusammengesetzt sind.
Das Geschenk der Gewaltfreien Kommunikation ist für mich, dass wir uns als das annehmen dürfen, als das wir gedacht sind: Gottes schönstes Kunstwerk. Nichts an uns ist falsch. Wir sind willkommen. Und so können wir ein Selbst schaffen, das wir in unserem tiefsten Innersten schon immer waren: Liebevoll und frei.

Heute will ich mir vergegenwärtigen, dass ich einen wunderbaren Schatz in mir trage: Mich selbst.

Zeit

Alles hat seine Zeit

Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit;
pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit;
abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;
weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit;
klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;
Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit;
herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;
suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit;
behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;
zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit;
schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;
lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit;
Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.
Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.

[Quelle: Prediger Salomo 3, 1-8, Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luther in der revidierten Fassung von 1984.]

Zeit ist ein wichtiger Faktor in unserem Leben. Wie oft sind wir gehetzt, kurz angebunden, unter Druck, in Eile, knapp dran. Die Gewaltfreie Kommunikation kann in unserem Leben als Entschleuniger wirken, wenn wir es zulassen.

Da fällt zum Beispiel ein Satz, den wir nur schwer hören können. Wir haben die Option, wie an der Tischtennisplatte den Ball zurückzuschmettern. „Wie, ich bin unzuverlässig…? Du spinnst ja wohl! Wenn ich ein Mal fünf Minuten später komme, weil ich im Stau gestanden habe, gibt dir das noch lange nicht das Recht, so ein Urteil zu fällen! Du nimmst es doch selber mit der Pünktlichkeit nicht so genau. Und wie oft habe ich schon auf dich gewartet…“
Wenn wir Tempo rausnehmen, sagen wir vielleicht stattdessen: Bist du genervt, weil dir gerade heute so wichtig war, dass der Terminplan eingehalten wird?

Die Zeit, die wir uns nehmen, um dem anderen zurückzumelden, was bei uns angekommen ist, trägt in sich zwei kostbare Geschenke. Zum einen nehmen wir damit Spannung aus unserem Austausch, zum zweiten schaffen wir Gelegenheit, bei uns nachzuspüren: Wie geht es MIR, wenn ich das höre? Was brauche ich?

Beim Üben mit GfK-Freunden stellen wir schnell fest, dass wir Zeit für diesen Prozess brauchen. Erst wenn wir für uns Einfühlung haben, können wir uns auch in unser Gegenüber einfühlen. Dann brauchen wir keinen Schläger für einen Schmetterball über die zwischenmenschliche Tischtennisplatte oder für den Schlag gegen die eigene Stirn. Nehmen wir uns die Zeit um zu spüren, was in uns lebendig ist, und um welche unserer Bedürfnisse wir uns heute kümmern wollen.

Heute will ich mir bewusst machen, dass ich Herrscher über meine Zeit bin. Ich bin berechtigt, mir für meine Reaktion auf andere oder für Selbsteinfühlung die Zeit nehmen darf, die ich dafür brauche.

Alltagssituationen


Auf meiner Reise durch die innere Heilung lerne ich mehr und mehr, dass ich wesentlich rascher vorankomme, wenn ich mich und meine Eigenheiten annehme – sozusagen über mich und meine Art lächle -, als wenn ich mich beschimpfe und versuche, perfekt zu sein. Vielleicht geht es im Grund wirklich um eine liebevolle, heitere, fürsorgliche Selbstbejahung – Anonym
Aus: Melody Beattie, Kraft zum Loslassen, 10. August – Nicht mehr perfekt sein wollen; Hazelden Meditationsbuch

Es lohnt sich, uns selber zuzuhören. Oft ist es ganz erstaunlich, was wir den Tag über vor uns hindenken. Zwei Bereiche, die eng miteinander zu tun haben, verdienen dabei unsere besondere Aufmerksamkeit. Was denke ich über andere? Und was denke ich über mich?

Der junge Mann am Pizzastand: Der ist aber schnell und effizient bei der Arbeit! Die Verkäufrin im Coffeeshop – kann die auch mal lächeln? Die Kollegin – das „danke“ gehört wohl nicht zu ihrem Sprachschatz…

Die Autorin Louise Hay schlägt in einem ihrem Bücher vor, man möge einen Kassettenrecorder mitlaufen lassen, wenn man Selbstgespräche führt. Vielleicht reicht es im ersten Schritt, sich selbst ohne Bewertung zuzuhören. Dusselige Kuh, Trottel, kannst du nicht aufpassen, du lernst auch nichts dazu… es ist sinnvoll, all diesen Aussagen Aufmerksamkeit zu schenken. Wie können wir uns selbst bedingungslos lieben, wenn wir gleichzeitig ständig dabei sind, uns auf so gewalttätige Weise erziehen zu wollen?

Im ersten Schritt schenken wir uns liebevolle Aufmerksamkeit.

Im zweiten Schritt hauen wir uns nicht etwa dafür in die Pfanne, dass wir schon wieder… oder immer noch…

Im zweiten Schritt richten wir unseren Blick darauf, welche wunderbaren Bedürfnisse bei uns unerfüllt sind. Nicht die Verurteilung, sondern die Annahme bringt uns weiter.

Heute will ich meinen Gedanken in Alltagssituationen liebevolle Aufmerksamkeit schenken.

Wer kennt violette Schweine?

Teil der Selbstakzeptanz ist, sich von der Meinung anderer freizumachen. Wenn ich mit Ihnen zusammen wäre, und Ihnen fortgesetzt erzählte: „Sie sind ein violettes Schwein, Sie sind ein violettes Schwein“, würden Sie mich entweder auslachen, sich belästigt fühlen, oder denken, ich sei verrückt. Es wäre höchst unwahrscheinlich, dass sie glaubten, ich hätte Recht.

Louise Hay, Gesundheit für Körper und Seele, S. 118

Wie kommt es, dass wir auf die Urteile oder Aussagen anderer häufig so stark reagieren? Manchmal reicht schon der missbilligende Blick einer Verkäuferin und wir fühlen uns bildlich gesprochen wie ein violettes Schwein. In aller Regel ist es so, dass wir bei Bewertungen über uns zwei Strategien benutzen. Entweder wir fühlen uns schlecht, inadäquat, ungenügend, fehlerhaft. Oder wir schätzen unser Gegenüber wahlweise als verrückt oder schlecht, inadäquat, ungenügend und fehlerhaft ein.

Ich denke, an dieser Stelle ist dann auch schon klar, worauf es hinausläuft. Was trage ich auf dem Kopf? Wenn ich dazu neige, die Urteile meines Gegenübers auf mich zu beziehen, zeigen die Wolfsohren nach innen: „Ja, du hast wirklich Recht, ich kriege heute nichts geregelt. Ich schaffe auch wirklich nichts, und das war auch schon immer so. Nie bin ich pünktlich, und immer muss man mir alles nachräumen…“
Kein Wunder, wenn Menschen allergisch darauf reagieren, wenn an ihnen kein gutes Haar gelassen wird – wenn sie an sich selbst kein gutes Haar lassen. Dann gehen viele doch lieber auf Angriff: Wolfsohren nach außen: „Das muss DU gerade sagen… Du hast es gerade nötig! Wer ist denn hier derjenige, der immer Klopapier nachfüllen muss, und wer bringt immer die Flaschen zum Glascontainer, und wer hat heute Morgen wieder die Wäsche aufgehängt… “
Das Schema ist bekannt. Derbe formuliert stehen wir vor der Wahl:

Entweder du bist Scheiße oder ich bin Scheiße.

Wir können aber auch einen dritten Weg einschlagen, den Louise Hay schon skizziert hat. Wir dürfen davon ausgehen, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass der andere Recht hat mit seiner Einschätzung, wir seien ein violettes Schwein, ein fauler Hund, ein gemeines Aas, ein fieses Stück, ein lausiger Liebhaber oder ein Waschlappen. Stattdessen können wir uns wie in einem Kinofilm fragen: Dieser Mensch hier auf meiner Leinwand – was will der gerade? Wenn er zu solchen Urteilen greift, welches Bedürfnis ist dann gerade bei ihm unerfüllt?

Vielleicht muss ich vorher erst einmal bei mir schauen: Was brauche ich? Wie geht es mir, wenn ich das höre? Doch dann darf ich mich erinnern: Ich kann mich über vieles ärgern. Aber ich bin nicht verpflichtet dazu.

Heute will ich darauf achten, wann ich anderen erlaube, mich und meinen Wert zu definieren. Dann will ich mich daran erinnern, dass ich ein kostbares Geschenk an die Welt bin, egal wie mein Gegenüber mich gerade einschätzt.

Von Richtern, Gutachtern und Giraffenohren

Wenn mein innerer Richter eine lebensfreundliche Erziehung genossen hätte, dann würde er mein Verhalten aufmerksam verfolgen, und wenn er sehen würde, dass ich etwas tue, was an meinen Bedürfnissen vorbei geht, würde er fragen: „Dient das, was du da tust, dem Leben?“ Wenn nicht, dann würde er fragen: „Was könntest du tun, um einen effektiveren Weg zu finden, der dich weniger kostet?“
Marshall B. Rosenberg: Konflikte lösen mit Gewaltfreier Kommunikation, S. 36

Ein Urteil ist ein Stop-Signal. Es lädt uns zum Nachenken ein.

Ein Urteil ist ein Stopsignal. Es lädt uns zum Nachdenken ein.

Urteile sind in unserem Kopf allgegenwärtig. Wir taxieren unser Gegenüber in der Bahn und urteilen über seinen Haarschnitt, ihr Nasen-Piercing. Wir ärgern uns über den frechen Rempler auf der Treppe oder die muffelige Nachbarin, die nicht einmal grüßen kann.
Unsere Beobachtungen können uns helfen, Dinge zu sortieren. Ist etwas für uns nützlich oder nicht? Droht uns Gefahr oder gereicht uns etwas zum Vorteil?
Gefällt werden all diese Schnellurteile von einem inneren Richter, einem Persönlichkeitsanteil, der uns darin unterstützen will, uns „richtig“ zu verhalten.
Und damit sind wir auch schon bei den Schwierigkeiten. Was ist „richtig“, was ist „falsch“? Aus welchem Jahrzehnt unseres Lebens stammen diese Einschätzungen? Erschwerend kommt hinzu, dass unser innerer Richter quasi ein Überbleibsel aus der Zeit ist, in der wir noch nichts von Gewaltfreier Kommunikation wussten. Er spricht also nicht giraffisch, sondern hat oft einen scharfen Ton wie auf dem Kasernenhof der Kaiserzeit.


» Der Offizier schnauzt einen Soldaten auf dem Kasernenhof an:“Mann, wie laufen Sie denn hier herum? Was sind Sie denn im Zivilleben?“Der Soldat eingeschüchtert: „Selbstständiger Kaufmann, Herr Hauptmann!“Der Offizier: „Auch Angestellte?“Der Soldat: „Ja, zehn!“Der Offizier wieder: „Was wuerden Sie denn sagen, wenn Sie einen Angestellten beim Herumlungern erwischen?“Der Soldat: „Entlassen, ich würde ihn auf der Stelle entlassen!“ «

Wir wollen uns in Erinnerung rufen, dass dieser innere Richter Gutes im Schilde führt. Er möchte mit seinen Einschätzungen, Ermahnungen und Ordnungsrufen dafür sorgen, dass wir uns möglichst normen-konform verhalten, dass wir keine Schwierigkeiten bekommen, dass es uns gut geht. Selbst wenn er einen geifernden Ton anschlägt, so ist doch dieser Persönlichkeitsanteil im wahrsten Sinne des Wortes ein Gut-Achter, also einer, der gut auf uns achtet.

Alles was jetzt fehlt, ist ein bisschen Übersetzungsleistung.
Mein Gutachter ist besorgt? Welchen Rat gibt er mir? Was steckt hinter seinem Kasernenhofton? Wenn ich das erkannt habe, kann ich ihm Einfühlung geben und ihm für seine Aufmerksamkeit danken. Er dient unserem Schutz – wenn wir ihm aufmerksam zuhören und seine Worte in giraffisch übersetzen.

Heute will ich darauf achten, was meine Urteile mir über meine Bedürfnisse verraten.

Das Geschenk der Fantasie

„Es heißt die Menschen kriegen nur Angst, weil sie zu viel Fantasie haben. Also versuch doch einfach dir nichts vorzustellen, dann kannst du ganz bestimmt tapfer sein.“

Aus dem südkoreanischen Spielfilm Oldboy von 2003

„Du hast eine blühende Fantasie“, sagt die Mutter zum Kind, und häufig ist diese Aussage nicht liebevoll gemeint. Psychiater haben einen anderen Begriff dafür: Projektion. Heute soll es um Gedanken gehen, die uns beschäftigen, Angst machen, frustrieren oder beflügeln, die aber keinen realistischen Hintergrund haben.
… Ich mag nicht mehr weiter arbeiten. Die Kollegen werden froh sein, wenn sie mich los sind! … Ich habe Angst, dass er eines Tages vor meiner Tür steht und mir etwas antut! … Mein Job ist in Gefahr, vielleicht kommt die Kündigung schon diesen Monat… Ich weiß, er liebt mich. Und wenn er könnte, stünde er eher heute als morgen vor meiner Tür… Ich bin der einzige Mensch, der ihr helfen kann…

Wer von uns kennt nicht solche Sätze? Vielleicht kreisen sie zwischen unseren eigenen Ohren, vielleicht haben wir sie gerade erst von jemand anderem gehört. Häufig ist es so, dass die Annahmen und Befürchtungen mit der Realität nicht viel zu tun haben, uns aber trotzdem berühren, beunruhigen, besänftigen.
Zwei Fragen können uns helfen, uns mit der Realität zu verbinden. Die erste Frage lautet: Was ist die objektive Beobachtung dazu? Haben die Kollegen gesagt, mit dir wollen wir nicht mehr zusammen arbeiten? Hat sich der frühere Partner schon einmal gewalttätig gezeigt? Sind unmittelbare Kollegen gerade von Kündigung betroffen oder gibt es ein konkretes Ereignis wie Insolvenz oder Betriebsschließung, das auf eine Kündigung hinweist? Gab es in der Vergangenheit Situationen, in denen der geliebte Mensch über seinen Schatten gesprungen ist und wirklich vor der Tür stand? Gibt es wirklich niemanden, der dem anderen Menschen, für den ich mich gerade verantwortlich fühle, helfen kann? Oder definiere ich „Hilfe“ so, dass nur ich diese Aufgabe übernehmen kann?

Die zweite Frage lautet: Welches Bedürfnis erkenne ich in diesen Überlegungen?
Bin ich ängstlich, ob ich im Team noch willkommen bin und brauche Schutz? Ist mir meine Autonomie kostbar und die Aufmerksamkeiten meines Ex-Partners machen mir Angst? Ist im Beruf mein Bedürfnis nach Sicherheit unerfüllt? Möchte ich in der Partnerschaft darauf vertrauen, dass der andere unsere Verbindung genau so wichtig nimmt wie ich? Oder brauche ich die Sicherheit, dass sich mein Gegenüber um seine eigenen Belange kümmert?

Unsere Fantasien und Projektionen können ein kostbares Geschenk sein. Wenn wir bereit sind, ihnen zuzuhören, erfahren wir mehr über unsere geheimen Hoffnungen und Wünsche. Und dann werden wir in der Lage sein, uns für ihre Erfüllung einzusetzen.

Heute will ich meinen Hoffnungen und Befürchtungen zuhören, um zu erfahren, was ich brauche.

Von Hämmern und anderen Werkzeugen

Wenn das einzige Werkzeug, das du hast, ein Hammer ist, werden bald alle deine Probleme wie Nägel aussehen.
Chinesisches Sprichwort

Die Menschheit hat im Verlauf der Jahrtausende eine Vielzahl von Werkzeugen entwickelt, um Probleme zu lösen. Ich vermute, Religionen gehören ebenso dazu wie die Psychoanalyse oder der Sozialismus. Aus dem Blickwinkel der jeweiligen Schule betrachtet lassen sich alle Probleme mit der jeweiligen Lehre lösen.

Löst GfK alle unsere Probleme? Ist es der Hammer, der alles andere zu Nägeln werden lässt?
Ich wüsste gern, wie Marshall diese Frage beantworten würde. In meinem Erleben ist es so, dass GfK in vielen Situationen einen Weg eröffnet, wo wir sonst vor Mauern stehen. Es wurde in Friedensgesprächen zwischen verfeindeten Stämmen in Nigeria eingesetzt. Es findet Eingang in die Psychotherapie, es hilft im Arbeitsleben, Konflikte ohne Schuldzuweisungen zu benennen. In Partnerschaften ist auf einmal eine direktere Verbindung möglich.
Eine Management-Beraterin, die einen Grundkurs in GfK absolviert hatte, berichtete mir einige Zeit später, „probier doch mal <...>, das ist total hilfreich bei Konflikten am Arbeitsplatz.“ Eine Freundin greift zu Tarotkarten, eine andere geht in eine 12-Schritte-Gruppe (nach dem Muster der anonymen Alkoholiker).
Der Segen der GfK liegt in meinen Augen darin, dass er zu mir selber führt. Wie geht es mir? Was macht das mit mir? Sie umreißt klar die Verantwortung, die ich für mein Leben habe. Und sie ermöglicht Verbindung. Wie geht es Dir? Was brauchst Du? In dieser Dualität – deine Bedürfnisse sind genau so wichtig wie meine – erlebe ich sie als einzigartig. Dazu enthält sie das Geschenk, dass ich nicht dafür verantwortlich bin, die Bedürfnisse des anderen zu erfüllen. Es konnte sein, dass mein Beitrag seine persönliche Lieblingsstrategie zur Erfüllung seiner Bedürfnisse ist. Aber ich bin nicht länger verpflichtet, diesen Beitrag zu leisten.

Es ist nicht schwer, das Leben in allen Bereichen auf de Gewaltfreie Kommunikation auszurichten. Vermutlich kann ich trotzdem Sozialist, Moslem, Esoteriker, Psychotherapeut, Software-Entwickler oder Baghwan-Anhänger sein. Für mich bedeutet es, angekommen zu sein und ein Werkzeug zu haben, mit dem ich mein Leben besser meistern kann.

Heute richte ich meinen Blick darauf, welche Werkzeuge mir in meinem Leben weiter helfen.

Erst Einfühlung, dann Belehrung

<...> es dauerte ein Jahr, bis ich unser Verhältnis wieder bereinigen konnte, und das ging erst, als ich ihm die Empathie gegeben hatte, die er brauchte. Und er brauchte viel Empathie. Da habe ich wirklich etwas dazugelernt. Seitdem betone ich immer: Erst Einfühlung, dann Belehrung. Bevor ein Mensch nicht die Empathie bekommt, die er braucht, besonders dann, wenn er Angst hat oder verletzt worden ist, ist er nicht bereit, sich in seinen Gegner einzufühlen.
Marshall B. Rosenberg, Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation, S. 69

Es klingt so einfach und doch macht es mir immer wieder Schwierigkeiten, diesen Satz zu beherzigen. Wenn jemand etwas erzählt – besonders wenn es um Schmerzen und Verletzungen geht, spüre ich oft den Impuls, meinem Gegenüber zu erklären, was in seinem Kontrahenten gerade lebendig gewesen sein mag. Dabei kenne ich es aus eigenem Erleben, dass ich in solchen Momenten alles dringender brauche als eine „Entschuldigung“ für das Verhalten des anderen. Ich möchte gesehen werden, ich brauche Verständnis, Sicherheit, vielleicht Unterstützung, oder fehlt mir nach diesem Anlass Zugehörigkeit, Verbindung, Gemeinschaft oder Wärme. Wenn bei mir selber Bedürfnisse so sehr im Mangel sind, ist kein Giraffenohr für meinen „Gegner“ frei. Ja, manchmal wird mein Ärger und meine Frustration sogar noch größer, wenn ich den Eindruck gewinne, die Sympathie meines Freundes gelte meinem „Gegner“, weil mein Freund gerade genau so kritisch oder wertend über mein Verhalten spricht wie der Mensch, mit dem ich gerade einen Konflikt erlebt habe…

Was kann ich tun, wenn ich Ratschläge bekomme statt Einfühlung? Welche Antwort kann ich geben, wenn der Freund Belehrungen statt Empathie für mich hat?

Wenn ich sehr im Mangel bin, könnte ich zum Beispiel sagen: „Das kann ich im Moment schlecht hören, weil ich selbst gerade dringend Enpathie brauche. Kannst Du noch einmal prüfen, ob es Dir möglich ist, mir jetzt Einfühlung zu geben?

Wenn ich mich belastbar und stark fühle, habe ich die Möglichkeit, dem anderen Einfühlung zu geben: „Bist du erschrocken über das, was Du gehört hast, und ist es dir wichtig, dass auch die Position meines Kontrahenten gesehen wird?“

In guten Stunden kann ich mich daran erinnern, dass die Reaktion meines Gegenübers oft weniger mit mir als mit ihm selbst zu tun hat. Es sind seine Ängste und seine Werte, um die es bei ihm oder ihr geht. Und ich bin nicht verpflichtet, daraus eine Bewertung meiner Person abzuleiten. Und erst recht keine Verurteilung!

Heute will ich darauf vertrauen, dass ich die Einfühlung bekomme, die ich brauche. Wenn mein Gegenüber mir die Empathie gerade nicht geben kann, möchte ich mich darauf besinnen, dass einer von 6,7 Milliarden Menschen auf dieser Erde wahrscheinlich gern bereit ist, mir Empathie zu geben. Ich muss ihn nur finden. Und vielleicht steht sein Name in meinem Telefonbuch!

Auslöser neutralisieren

Falls sie nicht mehr so oft in tiefe Löcher fallen möchten, empfehle ich Ihnen, sich mit dem Thema Empathie zu beschäftigen. Wenn Sie alles, was Menschen äußern – unabhängig von der Art, wie diese sich ausdrücken – ausschließlich als die Botschaft verstehen:
„Ich habe große Schmerzen, weil ein wichtiges Bedürfnis von mir nicht erfüllt ist!“,
dann werden Sie definitiv eine geringere Anzahl an Auslösern für Kummer haben.

Gerlinde Fritsch, Praktische Selbstempathie, Verlag Junfermann, 17,00 Euro

im Laufe eines Tages hören wir eine Vielzahl von Sätzen, die in uns durchaus heftige Gefühle auslösen können. Von „Du bist schon wieder zu spät“ bis „wo ist meine blaue Krawatte“ oder den Seufzer „deine Mutter…“ ist so ziemlich alles geeignet, uns zu Reaktionen hinreißen zu lassen, die nicht dem Frieden dienen. Auch wenn mein Gegenüber mit sanfter Stimme sagt, „Ich finde es schade, dass Du Dich nicht mal meldest und es macht mich traurig“, und ich geneigt bin, die Äußerungen als Angriff, Kritik oder Bewertung zu empfinden: Ich habe die Wahl.

Mit gespitzten Wolfsohren werden wir wahrscheinlich entweder uns oder dem anderen ein wenig die Hölle heiß machen, doch mit dem Zaubersatz, den Gerlinde Fritsch formuliert hat, gibt es dazu keine Veranlassung mehr.

Ich kann mich entscheiden zu hören:
„Ich habe große Schmerzen, weil ein wichtiges Bedürfnis von mir nicht erfüllt ist!“
Und damit wird es mir leicht, mein Herz für die Verbindung zu öffnen.

Heute bin ich bereit zu hören, dass mein Gegenüber einen großen Schmerz empfindet. Ich bin nicht länger verpflichtet, mir daran die Schuld zu geben.

Das Hamsterrad verlassen

Besteht Lebensgefahr?
Besteht Handlungsbedarf!

Werde ich bewertet?
Besteht Handlungsbedarf!

Gibt es sonst noch irgendwas Wichtiges zu tun?
Heilpraktiker für Psychotherapie Uwe Doll, Immenstadt

Es gibt ein possierliches Tierchen, dem wir Menschen so manches abgeguckt haben. Doch während es dem Hamster anscheinend großen Spaß macht, im Rad herumzulaufen, ist es bei uns meist eher mit Not, Frust, Verzweiflung, Schmerz oder Angst verbunden.

Was passiert, wenn wir im Hamsterrad hängen und scheinbar nicht wieder rausfinden? Bei vielen von uns kreisen dann alle Gedanken um jemand anderes. Wir wollen Beweise erbringen, dass wir nichts falsch gemacht haben, wir wollen zeigen, wie liebenswürdig, verständnisvoll, fürsorglich wir sind. Wir sind angespannt, ausgelaugt, bedrückt, getrieben oder streitlustig, überwältigt oder vielleicht auch erstarrt, aber wir merken es nicht.

Ich habe es oft so erlebt, dass der Gedanke an den anderen verhindert, dass ich wahrnehme, wie es mir geht. Ich kann das Hamsterrad langsam zum Halten bringen, indem ich mich liebevoll frage: Wie geht es mir? Was brauche ich?

Hilfreich können dabei die obigen drei Fragen von Uwe Doll sein, der als Bonding-Therapeut im Allgäu arbeitet. Wenn wir in Lebensgefahr sind, müssen wir etwas tun, da gibt es kein Zögern. Wenn wir bewertet werden, gilt es ebenfalls, etwas zu tun. Vielleicht brauchen wir Schutz, Verbindung, Klarheit, Sicherheit oder Verständnis. Doch erst wenn wir erkennen, was uns fehlt, können wir uns dafür einsetzen, dass wir es auch bekommen.

„Gibt es sonst noch irgendwas Wichtiges zu tun?“ bringt uns zurück ins Hier und Jetzt. Wenn wir um andere kreisen, vernachlässigen wir oft die Dinge, die zu unseren eigentlichen Aufgaben gehören. Es können „Pflichten“ sein wie Aufräumen oder ein Essen zubereiten. Es kann aber auch sein, dass wir uns darum kümmern wollen, dass sich jemand um uns kümmert. Vielleicht brauchen wir Empathie, jemanden, der uns zuhört, in den Arm nimmt, uns ein Lächeln schenkt. Wenn wir uns nicht wichtig nehmen, wie sollen es dann andere tun?

Heute will ich überprüfen, ob meine Gedanken um andere kreisen. Ich kenne den Knopf, mit dem ich mein Hamsterrad anhalten kann.

Marshalls Rezepte: Resilienz durch GfK

Es gibt nur ein Gegengewicht gegen Unglück … und das ist Glück
Erich Fried (* 6. Mai 1921 in Wien; † 22. November 1988 in Baden-Baden), österreichischer Lyriker, Übersetzer und Essayist

Moderator, Friedensstifter, Lehrer für Gewaltfreie Kommunikation – oft ist mir nicht bewusst, das Marshall Rosenberg (Foto) ja noch eine andere Profession hat. Er ist Doktor der Klinischen Psychologie. Und die Rezepte, die er vorschlägt, befördern meine Gesundheit.

Die Resilienzforschung beschäftigt sich damit, wie Menschen mit schwierigen Situationen fertig werden. Trauma, Vergewaltigung, bitterste Armut, Trennung, Verluste – all diese Erfahrungen können verheerende Auswirkungen auf den Menschen haben. Wie wir damit umgehen, was uns stärkt, Mut macht, uns die Kraft gibt weiter zu leben, das interessiert Marshall schon seit vielen Jahren. Und er gibt uns zwei mächtige Instrumente an die Hand, um mit solchen schmerzhaften Situationen besser fertig zu werden.

Selbstliebe ist eines der Zauberworte. Wenn wir das Verhalten anderer – Menschen die uns „verlassen“, „wehtun“, „nicht sehen“ – nicht auf uns selbst beziehen, nehmen wir den Taten ihren Stachel. Was bedeutet das im Alltag? Da gibt es einen Partner, der lieber frei sein möchte. In herkömmlicher Lesart würden wir vielleicht zu dem Schluss kommen, mit uns sei irgendetwas falsch, sonst müsste der andere doch bleiben… Da gibt es den Kollegen, der ständig an unserer Arbeit etwas auszusetzen hat. Wie leicht tappen wir in die Falle, uns selbst für fehlerhaft und unzureichend zu halten. Mit der gehörigen Portion Selbstliebe ausgestattet können wir dankbar erkennen, dass mit uns nichts falsch ist. Die Aussage oder das Verhalten des anderen sagt etwas über ihn und seine Werte und Bedürfnisse, aber nichts über unsere menschlichen Qualitäten.

Das zweite Instrument ist unser persönliches „rosa Tütchen“. Ich habe in den Tiefen meiner Handtasche ein kleines Büchlein, in dem ich all die Dinge notiere, die mein Leben bereichern und glücklich machen. Liebevolle Begegnungen, wunderschöne Momente, warme Worte, die mir gesagt wurden, all das findet Eingang in mein „Rosa-Tütchen“-Buch. In schwarzen Stunden finde ich in meinem Büchlein eine Anweisung dafür, was ich tun kann, um wieder nach vorne zu schauen. Ich kann den Freund anrufen, dessen Humor mir so gut tut, ich kann bei starkem Wind einen Spaziergang machen und mir den Kopf frei pusten lassen, ich kann mir einen Früchtetee kochen und voller Hingabe meine Füße eincremen – welche Strategie auch immer für meine aktuelle Situation hilfreich ist, mein kleines Glückstagebuch gibt mir dazu erprobte Anweisungen.

Mit solchen Anregungen schenkt Marshall uns für Situationen, in denen wir manchmal keinen Ausweg wissen, Handlungsalternativen und Wege zur Selbstwertschätzung. Sie sind die Leiter aus dem Loch, in dem ich mich früher oft gefangen wähnte.

Heute richte ich meinen Blick auf die Dinge, die mir gut tun, und schreibe sie auf. In schwierigen Situationen kann ich auf diese Rezepte zurückgreifen.

Auf das Liebeskonto einzahlen

Wenn Menschen Liebe gepredigt wird, lernen sie nicht lieben, sondern predigen.
Alice Miller, Schweizer Psychoanalytikerin und Schriftstellerin

Wie lernen wir lieben? Muss man Lieben überhaupt lernen? Viele von uns haben in ihrer Kindheit erlebt, wie die Eltern oder andere enge Familienangehörige mit Strafen und Belohnungen hantierten. Wir kennen uns aus, wenn es darum geht, den anderen zu manipulieren. „Mutti ist traurig, wenn du dein Zimmer nicht aufräumst“ ist da oft noch die harmlose Variante.

Ich selbst wuchs auf in einer Familie, in der die Erwachsenen mit schweren Krankheiten kämpften. Sie durften sich nicht aufregen, brauchten Schonung und Rücksicht. Selbstständigkeit, Autonomie, ja oft auch Bewegung oder Authentizität konnten da lebensbedrohliche Folgen haben.

Andere wuchsen in Familien auf, in denen Leistung groß geschrieben wurde. Also wurden auch sie an ihrer Leistung gemessen. Bist du gut genug?

Wieder andere mussten schon sehr früh Verantwortung für Geschwister oder kranke Familienangehörige übernehmen.

Was haben wir über Liebe gelernt? Viele glauben noch immer, dass Liebe ein Gefühl ist, doch Marshall ist überzeugt, dass sie in Wirklichkeit ein wunderbares Bedürfnis ist und wir eine Vielzahl von Dingen tun können, um unser Bedürfnis nach Liebe zu stillen.

Der Partner schenkt überraschend einen Blumenstrauß. Die kleine Tochter hat ein wundervolles Bild gemalt und überreicht es mit großen Kulleraugen: Für dich, Papa! Die gebrechliche Nachbarin überrascht Dich mit einem Stück selbst gebackenem Kuchen. Die Freundin ruft just in dem Moment an, in dem du kreuzunglücklich bist. Und sie hat Zeit und schenkt Dir ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Das alles und noch viel mehr nährt unser Bedürfnis nach Liebe.

Wertschätzung, Wärme, Nähe, Intimität, Verbindung, Sicherheit, Harmonie, Leichtigkeit – wenn diese Bedürfnisse erfüllt sind, ist oft auch unser Bedürfnis nach Liebe gestillt. Wir haben die Möglichkeit, jeden Tag auf dieses Konto einzuzahlen. Der Geber muss nicht zwangsläufig ein Partner sein. Auch die freundliche Berührung der Trainerin im Sportstudio, das Zuzwinkern der Lieblingskollegin, die SMS mit einer beglückenden Nachricht: all dies macht uns reich.

Heute will ich mich an der Liebe freuen, die das Leben für mich bereit hält.

All unsere Geschenke wertschätzen

„Ein Gesicht, dem das Lachen fehlt, ist nicht willkommen.“ – Martial, (Römischer Dichter, 40–104) Epigramme VII, 25, 6
(Original lat.: „Nec grata est facies, cui gelasinus abest.“)

Wie oft richten wir unseren Blick auf Dinge, die wir nicht haben können! Vielleicht ist es die Traumwohnung, das neue Auto, Sicherheit im Berufsleben, einen reichen Freund, körperliche Gesundheit, die attraktive Freundin. Der Blick auf den Mangel kann dazu führen, dass wir in unserem eigenen Leben zu all unseren Geschenken, Begabungen, inneren Reichtümern keine Verbindung finden.

Wir sind es gewohnt, zu vergleichen. Schneller, höher, weiter, besser, klüger, reicher, angesehener. Der Vergleich mit anderen ist der sichere Weg in Frustration, Unzufriedenheit, Angst, Scham und Mangel. Dann fällt unser Blick starr auf das Unerreichte, Leichtigkeit, Freude, Wertschätzung und andere wunderbare Bedürfnisse bleiben unerfüllt.

Gibt es einen Weg aus dieser Falle? Ja, sogar einen ganz einfachen. Beginnen wir uns selber wertzuschätzen. Beginnen wir uns mit allem zu lieben, was zu uns gehört: Unsere Spontaneität, unsere Kraft, unser Humor, unsere Beharrlichkeit, unsere handwerklichen Fähigkeiten, unsere Rechenkünste, unsere Fähigkeit, ein Paar Socken zu stricken. Jeder von uns ist ein einzigartiger Diamant mit schimmernden Facetten.

Lasst uns den Tag mit einem Lächeln beginnen, das wir uns selber schenken.

Heute heiße ich mich in meinem eigenen Leben von Herzen willkommen.

Sinnvolle Tage

„Hoffnung ist eben nicht Optimismus, ist nicht Überzeugung, daß etwas gut ausgeht, sondern die Gewißheit, daß etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.“ – Václav Havel, tschechischer Schriftsteller und Politiker;
Caryle Hirshberg, Unerwartete Genesung, Droemer Knaur, 1995, ISBN 3-426-26869-8

An manchen Tagen erscheint das Leben sinnlos und leer. Zwar hat man etwas geschafft, ist vielleicht sogar vollkommen erschöpft, aber trotzdem kann man keine Befriedigung aus dem ziehen, was man getan hat.
Bis ich die Gewaltfreie Kommunikation kennen lernte, hatte ich das Wort Sinnhaftigkeit noch nie gehört. Aber ich kannte Zeiten, in denen mir Dinge leicht von der Hand gingen, mich mit Freude erfüllten, mein Leben bereichertem. Und natürlich kannte ich öde Tage, an den ich abends mürrisch Bilanz zog. Dass meine Unzufriedenheit etwas mit Sinnhaftigkeit zu tun haben könnte, ahnte ich damals nicht.
Was können wir tun, um unser Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit zu erfüllen?
Papst Johannes XXIII hatte sich dafür einen Plan geschrieben, der als
Dekalog der Gelassenheit
bekannt geworden ist:


1. Heute, nur heute werde ich mich bemühen, den Tag zu leben, ohne die Probleme meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.

2. Heute, nur heute werde ich auf ein zurückhaltendes Auftreten achten: ich werde niemanden kritisieren, ich werde nicht danach streben, die anderen zu korrigieren oder zu verbessern – nur mich selbst.

3. Heute, nur heute werde ich in der Gewissheit glücklich sein, dass ich für das Glück geschaffen bin – nicht nur für die andere, sondern auch für diese Welt.

4. Heute, nur heute werde ich mich an die Umstände anpassen, ohne zu verlangen, dass die Umstände sich meinen Wünschen anpassen.

5. Heute, nur heute werde ich zehn Minuten meiner Zeit einer guten Lektüre widmen; wie die Nahrung für das leibliche Leben notwendig ist, so ist die gute Lektüre notwendig für das Leben der Seele.

6. Heute, nur heute werde ich eine gute Tat vollbringen, und ich werde es niemandem erzählen.

7. Heute, nur heute werde ich etwas tun, wozu ich eigentlich keine Lust habe; sollte ich es als eine Zumutung empfinden, werde ich dafür sorgen, dass niemand es merkt.

8. Heute, nur heute werde ich ein genaues Tagesprogramm aufstellen. Vielleicht halte ich mich nicht genau daran, aber ich werde es aufsetzen. Und ich werde mich vor zwei Übeln hüten: vor der Hetze und vor der Unentschlossenheit.

9. Heute, nur heute werde ich fest daran glauben – selbst wenn die Umstände mir das Gegenteil zeigen sollten -, dass die gütige Vorsehung Gottes sich um mich kümmert, als gäbe es sonst niemanden auf der Welt.

10. Heute, nur heute werde ich keine Angst haben. Ganz besonders werde ich keine Angst haben, mich an allem freuen, was schön ist, und an die Güte glauben.

Nimm dir nicht zuviel vor.
Es genügt die friedliche, ruhige Suche nach dem Guten
an jedem Tag zu jeder Stunde, und ohne Übertreibung und ohne Ungeduld.

Der Geist dieser Übungen passt für mich gut zur GfK. Es geht um Wertschätzung für mich und andere, um Vertrauen, Verbindung, Wachstum, Struktur, Leichtigkeit und Schönheit. Wenn all diese Dinge zusammenkommen, sind die Chancen groß, dass mein Tag sinnvoll ist, mein Leben bereichert.

Heute will ich wachsam sein für alle Dinge, die mein Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit nähren.

Ein Grund zu feiern

„Das Leben, mit seinen stündlichen, täglichen, wöchentlichen und jährlichen, kleinen, größern und großen Widerwärtigkeiten, mit seinen getäuschten Hoffnungen und seinen alle Berechnung vereitelnden Unfällen, trägt so deutlich das Gepräge von etwas, das uns verleidet werden soll, daß es schwer zu begreifen ist, wie man dies hat verkennen können und sich überreden lassen, es sei da, um dankbar genossen zu werden, und der Mensch, um glücklich zu seyn.“ – Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Zweiter Band, Kapitel 46

Hat Schopenhauer Recht, und das Leben besteht aus einer Aneinanderreihung von Widrigkeiten? Kommt darauf an, worauf ich meinen Blick richte. Früher hätte ich vielleicht nach einem Tag wie heute gedacht, es sei ein öder Arbeitstag gewesen; zu viel zu tun, nicht genug Anerkennung für das Geleistete, zu vieles unerledigt, zu viele schwarze Gedanken. Das Wetter zu kalt, die Hose zu eng, das Portemonnaie leer.

Wenn ich heute aufzähle, was ich feiern kann, spüre ich ganz tief, wie gesegnet mein Leben ist. Eine Freundin kam zum Abendbrot vorbei und ich konnte aus einer Fülle von Zutaten einen Salat bereiten. In einem schwierigen Telefonat ist es mir gelungen, eine echte Verbindung zu meinem Gegenüber herzustellen. Während es draußen schneidend kalt ist, darf ich mich am Anblick des Kaminfeuers freuen. Ich habe heute noch einmal realisiert, dass ich wirklich eine große Liebe erleben durfte, und dafür bin ich dankbar. Ich bin dankbar für den Neustart in alten Beziehungen, ich bin dankbar für die Unterstützung meiner Freunde, und ich freue mich, dass ich morgen ausschlafen kann.
Sind das nicht wundervolle Gründe, das Leben zu feiern?

Heute richte ich meinen Blick auf all die großen und kleinen Dinge in meinem Leben, die wirklich gut sind.

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