Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

S’ist Feierabend …

Hallo, Welt!
Diese Woche habe ich ein neues Gefühl entdeckt: Feierabend. Es hielt nur ungefähr zwei Minuten an und war komplett ungewohnt.

Ich kokettiere ja gern damit, dass ich sage, ich wäre arbeitssüchtig. Tatsächlich fällt es mir schwer, so etwas wie Feierabend zuzulassen. Feierabend macht schlechtes Gewissen. In den vergangenen Wochen habe ich super viel gearbeitet (sollte ich sagen, in den vergangenen 30 Jahren?) und an einem Abend war gerade alles Offensichtliche abgearbeitet. Alle Sendungen bei der Post, alle Rechnungen geschrieben, das Lager aufgeräumt, die komplette Wäsche gebügelt. Da gab es einen Moment der Leere, des Innehaltens, und dann war es da, das Feierabend-Gefühl. Und ich wunderte mich und dachte, wo kommst du denn her?
Heute blitzte es für ein paar Sekunden hervor. Grad lang genug, dass ich es wiedererkannt habe. Und mir scheint, als bin ich da einer großen Sache auf der Spur.
Wieso haben manche Leute Feierabend, sitzen dann vorm Fernseher oder stricken aus Vergnügen oder machen einen schönen Spaziergang oder gehen Golf spielen und ich nicht? Wieso ist bei mir immer noch was auf der Agenda? Jetzt in diesem Moment müsste ich eigentlich Katzenfutter kochen, noch mal zwei Maschinen Wäsche anschmeißen, drei neue Produkte im Shop einstellen, den Küchentisch aufräumen, Belege für den Steuerberater raussuchen, den Katzenkotzfleck aus dem Teppich waschen, die Katzenklos machen, ein paar Lebensmittel einkaufen, eine Freundin zurückrufen, die sich heute Morgen gemeldet hat. Insgesamt scheint mir das, was ich zu tun habe, zu viel für eine Person zu sein.
Bei Facebook entdeckte ich heute in einem Posting von David R Browning das Folgende:
A jackalpede-a stampede of judgments
A jackalsaurus-a core judgment/belief

Da scheint in Sachen Feierabend bei mir ein Jackalsaurus durch’s Bild zu laufen. Wie kannst du „Feierabend“ haben wollen, wenn noch so viel zu tun ist? Ich habe überhaupt kein eigenes Konzept dafür, was man am Feierabend macht. Vor 15 Jahren hätte ich mir eine Flasche Wein aufgemacht, eine Zigarette angezündet, zum Telefon gegriffen und mich im Gespräch mit jemand anderem langsam betrunken. Als dann das Internet und die Möglichkeit, per Mail so schnell zu kommunizieren, in meinem Leben Einzug hielten, habe ich lange Mailwechsel gepflegt. 400 Seiten Papier in einem Jahr mit einem Freund … Später dann habe ich ein Forum geleitet, dann noch eins, dann kam der Blog, heute dann der Shop. Immer am drehen. Es ist nie genug, was ich tue. Dann kommt der Tag (oder der Urlaub), an dem ich einfach nur ins Koma falle, tagelang schlafe. Will ich so leben? Was will dieser Jackalsaurus, der mich antreibt, jagt, hetzt, ja quält?

Heute habe ich wieder einmal für einen kleinen Augenblick kapiert, dass ich sehr theoretisch nie wieder einen Tag arbeiten müsste, wenn ich mit all meinen Ressourcen gut haushalte. Es wird zwar eng, aber bis zur Rente halte ich irgendwie durch. Wieso renne ich dann den ganzen Tag so blöde in meinem Schuhkarton hin und her um „irgendwas“ zu erreichen? Was ist denn das „irgendwas“? Wo will ich denn hin?

Ruhe ist anscheinend gefährlich. Dann kommt der Jackalsaurus und … und was? Frisst mich. Ich werde dem mal nachspüren. Was passiert genau, wenn ich den Feierabend-Modus aktivieren möchte? Vorher aber noch Katzenklos, Einkaufen, Katzenfutter kochen, Waschmaschine anschmeißen, drei neue Produkte im Shop einstellen ….

So long!
Ysabelle

3 Reaktionen zu “S’ist Feierabend …”

  1. MarkusC

    Hallo Ysabelle,
    ich glaube, Erich Fromm hat mal sinngemäß geschrieben, dass man das, was eine Neurose verdeckt erst erkennen kann, wenn man es mal eine Weile aushält, sie nicht auszuagieren.
    Mir hat ein Buch von Timothy Ferris mal ziemlich deutlich vor Augen geführt, dass ich mit meiner freien Zeit gar nichts anzufangen wüsste…

    http://www.amazon.de/Die-4-Stunden-Woche-Mehr-Zeit-Leben/dp/3548375960/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1440344642&sr=8-1&keywords=4+stunden+woche

    Lg,
    Markus

  2. Ysabelle Wolfe

    Hallo, Markus,
    danke für den Buchtipp. Es gäbe einige Sachen, die ich gern täte, wenn ich sie mir denn erlauben würde. Golf spielen zum Beispiel. Jetzt habe ich zwei Abende (Freitag und Samstag) vor dem Fernseher gesessen, schnulzige Filme geguckt und dabei Socken gestrickt. Fühlte sich gut an. Lesen wird glaube ich von meinem inneren Scharfrichter nur erlaubt, wenn es ein Fachbuch ist, und gerade dazu habe ich aktuell NULL BOCK. Für meinen bevorstehenden Urlaub habe ich mir Käptn Blaubär gekauft, mal sehen, ob ich mir das gönnen kann. Also, es gibt Sachen, die mir Spaß machen (Golf, Segeln, Bridge spielen) aber ich räume dem keine Priorität ein. Und: Ich mache es nicht gern allein. Sicher könnte ich mir einmal in Monat für eine Stunde ein Segelboot in Barmstedt oder an der Alster ausleihen, aber allein habe ich keine Lust dazu. So ähnlich geht es mir mit dem Golfen. Allein über den Platz ziehen ist nur halb so schön. Also geht es nicht nur um eine Freizeitbeschäftigung, die mir Spaß macht, sondern auch um Gemeinschaft und Verbindung. Da wird’s dann schon eng. Na, ich bleibe am Ball.
    So long,
    Ysabelle

  3. Friesrich

    Ich merke gerade, welche tiefe Trauer dieser Beitrag in mir auslöst.

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