Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

„Aus“ für Geschichtenerzähler

Hallo, Welt!
Auf dem IIT in England war ich sehr beeindruckt, von zwei Zertifizierungskandidatinnen mehrmals die Formulierung zu hören: „and I am telling myself“. Ich erzähle mir selbst… In meinem Bekanntenkreis hat es gerade eine Trennung gegeben. Der Auslöser für diese Trennung liegt eigentlich schon ein halbes Jahr zurück und hat mit dem Hier und Jetzt nichts zu tun. Und eine der Beteiligten erzählt sich selbst dauernd Geschichten, die dann zu unglaublichen Schmerz-, Wut- und Rache-Explosionen führen. Die Drohungen reichen bis „ich werfe deine Möbel aus dem Fenster“. Ich bin geschockt.
Der Auslöser – ich gebe mal ein fiktives Beispiel – eine zärtliche Nacht mit einer dritten Person – liegt also Monate zurück. Person 1, der Racheengel, war nicht dabei, hat nichts gesehen, gehört, gemerkt. In der Situation sind keine Schmerzen entstanden. Als Person 2 gesagt hat, sie möchte sich trennen, ist auch der Auslöser zur Sprache gekommen. Und nun erzählt sich Person 1 pausenlos Geschichten, die sie total in Not bringen:
Person 2 hat mich nie geliebt. Person 2 hat nur mit mir gespielt. Person 2 ist hinterhältig und falsch.
Relativ aus der Nähe kann ich zugucken, wie sich hier jemand in Wut-Trance redet und dann auch Dinge tut, die absolut erschreckend sind. Dabei geht es gar nicht um das, was ist. Es geht nicht um Schmerz und Trauer. Es geht nicht um Einsamkeit und Sehnsucht, um unerfüllte Bedürfnisse nach Verstehen und Liebe und Vertrauen. Das alles ist beiseite gewischt, wenn die Person sich in diese Wut-Trance erzählt. Dann geht es nur noch um ein Feindbild, um Rache, ja stundenweise sogar um Hass.
What are you telling yourself… Ich merke ebenfalls, dass ich mir Geschichten erzähle. Ich erzähle mir, dass Selbstständigkeit anstrengend ist. Ich erzähle mir, dass meine Umsätze nicht ausreichen werden, um meine Heizkosten zu bezahlen. Ich erzähle mir, dass meine Rücklagen nicht reichen und ich erzähle mir, dass andere Menschen sauer auf mich sind. Ich sehe in meinem Umfeld jede Menge Geschichtenerzähler. Mit Erschrecken dämmert mir – nicht dass diese Erkenntnis komplett neu wäre – wie sehr wir unser Handeln von den Geschichten abhängig machen, die wir uns erzählen. Und häufig haben wir überhaupt kein Bewusstsein dafür, dass gerade wieder ein Erzähler in unserem Kopf am Werk ist. Er sagt, dass ich Angst vorm Zahnarzt habe, er sagt, dass ich zu dick bin, um wirklich liebenswert zu sein, dass ich es nie schaffen werde, zehn Kilo abzunehmen, er sagt, dass ich nicht mit Geld umgehen kann, er sagt mir, dass andere Leute oder Institutionen mich mobben und er sagt, ich bin es nicht wert, geliebt zu werden. Im Skript von Robert Gonzales fand ich eine Liste von Tiefenüberzeugungen, die mich sehr angesprochen hat. Ich vermute, es gibt eine Verbindung zwischen diesen Glaubenssätzen und unserem inneren Geschichtenerzähler. Den würde ich gern in den Ruhestand schicken. Er wird nicht mehr gebraucht. Manche Geschichten sind einfach so schmerzhaft, da fällt es mir schwer zu verstehen, warum unser Hirn sie produziert. Welche Botschaft soll ich dadurch lernen? Dass ich schlecht bin, nicht liebenswert und unwichtig?
Gebe die Höhere Macht uns allen eine riesige Ladung Selbst-Mitgefühl und Selbst-Annahme, um solche alten Glaubenssätze zu transformieren. Ich kann dazu gerade keinen Beitrag leisten, ich bin gelähmt vor Schmerz.

So long
Ysabelle

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