Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Buchtipp: C. Tipping – Ich vergebe

Hallo, Welt!
Heute mal ein Buchtipp. Ein GfK-Freund erwähnte es gestern und die Erinnerung an das Buch wurde gleich wieder lebendig…

Ich vergebe.
Der radikale Abschied vom Opferdasein (Taschenbuch)
von Colin C. Tipping (Autor)

20 Euro, J. Kamphausen-Verlag

Ich weiß nicht, was mich 2007 geritten hat, dieses Buch zu bestellen, aber es ist richtig Arbeit, es durchzulesen. Ich glaube, es war der Untertitel, der mich angesprochen hat: Radikaler Abschied vom Opferdasein. Ich habe mich in der Vergangenheit sehr oft als Opfer gesehen. Als Opfer der „Erziehung“ in meiner Ursprungsfamilie, als Opfer in der Partnerschaft. Da war es doch ein verlockender Gedanke, mich nicht mehr so zu fühlen. Denn Opfer sein lähmt mich, macht mich hilflos, ich scheine keinen Handlungsspielraum zu haben, wenn ich „im Opfer bin“.

Das Buch wollte ich bestimmt schon x-mal in die Ecke feuern. Der Holocaust – alles eine Inszenierung, aus der die Beteiligten was lernen sollen? Vergewaltigungsopfer sollen ihrem Täter dankbar sein, weil er sie etwas lehrt? Das übersteigt mein Vorstellungsvermögen dann doch sehr.
Und trotzdem habe ich weiter gelesen. Trotzdem war da irgendetwas an dem Buch, was mich „bei der Stange“ gehalten hat.
Angesprochen hat mich das Konzept, dass ich mir immer wieder bestimmte Erfahrungen suche, um Dinge aus meiner Vergangenheit zu heilen. Zum Beispiel kann ich sehen, wie ich die Dramen meiner Kindheit in meinen Partnerschaften re-inszeniere. Und ich kann sehen, dass ich dazu fröhlich einen Beitrag leiste. Durch das Buch habe ich zum Beispiel erkannt, dass eines meiner Wurzelprobleme darin besteht, dass ich mich selbst für so wenig liebenswert gehalten habe. Also habe ich dazu beigetragen in Situationen zu kommen oder darin zu verharren, in denen diese alte Botschaft bestätigt wird.

Das Buch hilft mir dabei zu erkennen, dass das, was ich als Opfer-Dasein empfinde, vielleicht einfach nur einen neuen Bezugsrahmen braucht. So als ob ich vorher auf ein Detail in einem Foto gestarrt habe und plötzlich stellt sich heraus, das Puzzle-Teil, auf das ich starre, erscheint nur wie ein leerer Becher auf einem Tisch. wenn ich die weiteren Teile anlege, erkenne ich, dass daneben eine volle Kanne steht, Brot, Brötchen, Wurst, Marmelade, Käse..

Ich habe durch das Buch das erste Mal so klar gesehen, was in meiner Partnerwahl so häufig für Probleme sorgt. Im Ansatz war mir das schon klar, als ich Norwoods „Wenn Frauen zu sehr lieben“ gelesen hatten. Nach Tipping verstehe ich es noch ein bisschen besser. Und das Spannende ist: Ich kann meinen früheren Partnern, so bescheiden sie sich teilweise verhalten haben,. heute wirklich dankbar sein. Sie haben Finger auf die Wunden gelegt. ich hatte wieder und wieder die Chance, meinen Bezugsrahmen zu ändern. UND ICH MERKE: Wenn ich mich selbst verändere, muss der andere mir auch nicht mehr diese Impulse liefern. Ich kann mir vorstellen, dass sich das ziemlich wirr liest. Aber ich kann wirklich anfangen,. Leuten dankbar zu sein für die Bereitstellung von Lektionen in meinem Leben. Ich habe mal zu einem früheren Chef gesagt: „Aber ich wollte Dir doch nur helfen“… das muss ungefähr 1984 gewesen sein. Und seine barsche Antwort damals war: Du bist nicht hier, um mir zu helfen, sondern um Deine Arbeit zu machen… Und es mussten mehr als 20 Jahre vergehen, bis ich erkennen durfte, dass er recht hatte, und dass mir schon damals eine Inventur meiner Beziehungen oder meiner beruflichen Situation sehr geholfen hätte… wenn ich denn begrifen hätte, worum es überhaupt geht.

Der Chef war ein Cholekriker. fachlich brillant, aber menschlich ein Suchtler durch und durch. Und doch bin ich ihm heute – er starb vor ein paar Jahren – wirklich aus tiefem Herzen dankbar. So deutlich wie in der Zeit, in der ich innerlich jeden Tag mit mir gekämpft habe UND NICHT AUFGEGEBEN habe ich nur sehr selten gespürt, dass ich meinen Bezugsrahmen verändern muss… dass der Bildausschnitt eben nicht alles sagt.

Und das Buch hilft mir, auf einer Ebene, die ich nicht beschreiben und benennen kann, Liebe für Menschen in meinem Leben zu empfinden, auch wenn ich mit ihnen im Konflikt bin. Sie sind meine Lehrer. das betrifft meinen Sohn, meine früheren Partner, Kollegen oder andere Menschen, mit denen ich mich austausche. So gesehen haben sich die 20 Euro auf jeden Fall gelohnt.

Übrigens kann man hier ein cooles Arbeitsblatt runterladen. Und die Arbeit damit ist gar nicht so weit entfernt von den vier Schritten der Gewaltfreien Kommunikation. Es gibt da auch ein Probekapitel aus dem Buch für alle, die jetzt neugierig geworden sind.

So long!

Ysabelle

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