Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Willkommen in der kommentarfreien Zone!

Hallo, Welt!
Ich zehre noch immer von dem wundervollen Workshop bei Friederike Kolster. Unter anderem habe ich dort drei Reha-Felder kennen gelernt.
1. Funktionstraining – ich lerne wieder greifen
2. Leben lernen mit Behinderung: Wie schäle ich Obst einhändig?
3. Kommentarfreie Zone

Das Beispiel, das Friedrike für die kommentarfreie Zone benutzte, können sich auch viele GFK’ler mal ins Stammbuch schreiben. Sie wies nämlich darauf hin, dass auch Ergo-Therapeuten gelegentlich krumm sitzen, nicht aufrecht stehen, die Schultern hängen lassen oder ähnliche Petitessen. Und wenn sie nach Hause kommen, haben sie mit Sicherheit keine Lust, vom Lebenspartner oder Kind zu hören, Schätzelein, sitz doch mal gerade. Du weißt doch, dass das für deinen Rücken besser ist… Wir alle haben mal Feierabend. Als Trainer ebenso wie als Lernende, als Patient oder als Therapeut. Und dann beginnt die kommentarfreie Zone.
Aussagen wie
Das ist kein Gefühl
Was ist das Bedürfnis?
Das ist keine Bitte
Das ist Wolfssprache



(bitte ergänzen)
können uns selbst oder unseren Angehörigen das Leben zur Hölle machen. Gestern Abend haben wir im Seminar überlegt, ob wir mal eine weiße Fahne bedrucken lassen wollen: „Kommentarfreie Zone“.
Noch einen kleinen Schwenk darauf, was uns bewegt, wenn wir zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit sind, zur umfassenden GFK-Erziehung unserer liebsten Menschen einen Beitrag zu leisten. Geht es uns um Lernen und Wachtum? Geht es uns um Beitragen? Oder geht es womöglich manchmal darum, dass wir einen Abstand herstellen wollen zwischen dem ich und dem du? Ich weiß, wie es geht… und du ja mal nicht…
Ich finde es spannend, den Schalter umzulegen und in mich hineinzuhorchen, wenn es wieder und wieder den Impuls gibt, dem anderen die Welt zu erklären. Was ist los in mir? Warum kann ich mein Gegenüber gerade in diesem Moment nicht so lassen wie es ist? Selbstempathie statt Belehrung, das ist doch mal eine Aufgabe…

So long!

Ysabelle

Ein Gedicht mit Folgen

Hallo, Welt!
Zunächst folgt ein kleines Gedicht von Christian Morgenstern, über das ich heute gestolpert bin:

Der Würfel

Ein Würfel sprach zu sich: Ich bin
mir selbst nicht völlig zum Gewinn!

Denn meines Wesens sechste Seite,
und sei es auch Ein Auge bloß
sieht immerdar, statt in die Weite,
der Erde ewig dunklen Schoß.

Als dies die Erde, drauf er ruhte,
vernommen, ward ihr schlimm zu Mute.

Du Esel, sprach sie, ich bin dunkel,
weil dein Gesäß mich just bedeckt!
Ich bin so licht wie ein Karfunkel,
sobald du dich hinweggefleckt.

Der Würfel, innerlichst beleidigt,
hat sich nicht weiter drauf verteidigt.

So weit Christian Morgenstern.

Entdeckt habe ich die Verse auf der Webseite des Schweizers Hanspeter Baud. Und da kann man lernen, wie man dem Würfel Empathie geben kann. Das berührt mich heute ganz besonders…

So long!

Ysabelle

Mein persönlicher GFK-Neglekt

„Unter dem Begriff Neglekt werden verschiedene Vernachlässigungsphänomene einer Raum- und/oder Körperhälfte zusammen gefasst, die keine primär sensorische oder motorische Ursache haben.“ (Prosiegel, 1998, S. 95)…. Der Patient kann die Aufmerksamkeit nicht/nur mühsam/nicht automatisch auf die Raum- oder Körperhälfte richten, die gegenüber der Hirnschädigung liegt.

Hallo, Welt!
Ich habe ein GFK-Neglekt. Jawoll. Das Besondere – und Typische bei Neglekt – ist, dass ich nicht wahrnehme, was da bei mir los ist…
Also: Ich lebe so vor mich hin und an der einen oder anderen Stelle gibt es Frustrationen. Das ist ja nichts Ungewöhnliches. Aber ich nehme überhaupt nicht wahr, wie sehr mich das beeinträchtigt.
Gestern hatte ich eine spannende Unterhaltung. Und in diesem Austausch dämmerte mir, dass da etwas ist. Ich konnte es nicht richtig greifen, es zog wie Nebelschwaden an mir vorbei. Dieser Neglekt bezieht sich auf meine Bedürfnisse. Also, es gibt unerfüllte Bedürfnisse, ganz viele, ganz tiefe, und ich nehme sie einfach nicht wahr. Schwups, sind sie weg. Das ist ja spannend!
Jetzt fange ich an, ein wenig davon wahrzunehmen, und dann rutschen sie mir immer wieder weg, einfach so. Ich habe den Verdacht, dass das etwas mit meiner wirklich frühen Kindheit zu tun hat. Erst vor relativ kurzer Zeit habe ich ja erfahren, dass ich weite Zeiten meines ersten Lebensjahres weg von meiner Mutter oder im Krankenhaus verbracht habe. Letzteres war Ende der 50er Jahre keine besonders fürsorgliche oder liebevolle Einrichtung für Babys. Starre Besuchszeiten, 50 km entfernt von zu Hause, wir kein Auto… da war es besser, wenn man bestimmte Bedürfnisse gar nicht erst wahr nahm. Die gab es einfach nicht. Wie beim Schlaganfall-Patienten, der sich für gesund hält, weil er seine gelähmte rechte Körperhälfte gar nicht wahrnimmt.
Und ich merke, dass mir das Angst macht. Ich hatte ja hier schon über die Erkenntnisse aus dem spannenden Marketing-Wokshop Anfang Mai berichtet. Unter anderem ging es darum, wirklich, wirklich, wirklich für sich und seine Angelegenheiten Verantwortung zu übernehmen. Und jetzt sitze ich auf der Frage, wie kann ich für die Erfüllung meiner Bedürfnisse Verantwortung übernehmen, wenn mein Neglekt dazu führt, dass ich diese Bedürfnisse nicht einmal wahrnehmen kann?

Spannend.
So long!

Ysabelle

Schönen Gruß vom Hirn!

Hallo, Welt!
Ich war eine Woche auf einem unglaublich bereichernden Workshop in Berlin bei Friederike Kolster. Sie unterrichtet u. a. Ergotherapeuten und Physiotherapeuten in Handlungsorientierter Therapie und Diagnostik (HoDT) und ich als Nicht-Mediziner habe tatsächlich vier Fünftel verstanden. Der spannendste Teil für mich war die Funktionsweise des Gehirns. Und ich habe das Kapazitätstöpfchen kennen gelernt.
Wir wissen von uns, dass wir zu verschiedenen (Tages)-Zeiten unterschiedlich aufnahmefähig oder belastbar sind. In diesem Beispiel gehen wir davon aus, dass wir immer 100 Prozent geben, aber je nach Kapazität sind 100 Prozent zu verschiedenen Tageszeiten unterschiedlich viel.
Wenn unsere beste Leistungszeit morgens um 9 Uhr beginnt, haben wir wahrscheinlich mittags um 13.30 Uhr eine Flaute. Und eventuell erreichen wir gegen 17 Uhr noch mal einen Höhepunkt unserer Leistungsfähigkeit, der aber nicht so hoch ist wie der morgens um 9. Ganz wenig leistungsgfähig sind wir vielleicht abends um 21 Uhr.

Stellt Euch also bitte mal vier (hohle) Säulen/Reagenzgläser vor, die unterschiedlich hoch sind (aber die gleiche Grundfläche haben). Hoch, mittel, mittelhoch, niedrig.

Unsere Alltagsverrichtung braucht immer gleich viel Hirnkapazität. Sagen wir mal 50 ml.
Wenn ich jetzt in die erste Säule 50 ml „Alltagsverrichtung“ kippe, ist ein Haufen Platz für andere Sachen, ich könnte also auch noch 20 ml GFK dazu kippen und 15 ml Stressbewältigung, ohne dass mein Reagenzglas überläuft.

Mittags sieht das schon anders aus: Da habe ich Alltagsverrichtung plus Stressbewältigung und dann ist mein Teströhrchen voll. Am späten Nachmittag gibt es neben Alltagsverrichtung und Stressbewältigung noch einen Hauch Platz für GFK in meinem Kapazitätsröhrchen, aber abends um 21 Uhr habe ich nicht mal genug Kapazität für Alltagsverrichtung!

Diese einfache Info hilft uns zu verstehen, warum wir manchmal keinen Zugriff auf unsere GFK-Kompetenz haben. Sorry, Gehirn schon unter Volllast, können jetzt nicht noch was zuschalten…

Und es hilft uns auch, gute Zeiten für schwierige Gespräche zu finden. Wann fühle ich mich frisch und belastbar? Wann kann mein Hirn den GFK-Modus zuschalten? Wahrscheinlich nicht, wenn drei kreischende Kinder an meinem Bein hängen, der Hund sich gerade übergibt und der Gerichtsvollzieher an der Tür klingelt…

So long!

Ysabelle

Weil ich, verdammt noch mal…

Hallo, Welt!

Gestern war wieder Muttertag. Es geht ihr nicht gut. Sie ist schon wieder gestürzt und hat starke Schmerzen. Nachdem die „Pflichten“ erledigt waren, sagte sie zu mir: Nun fahr du mal, du hast ja auch noch so viel zu tun.
Ich glaube, wenn es jemand anderes gewesen wäre als diese schmerzgeplagte, schwer kranke Frau, ich wäre explodiert. In meiner Fantasie gab es nämlich dahinter einen ganz anderen Text, und der lautete: Ich bin müde, erschöpft und voller Schmerz. Es würde mir besser gehen, wenn ich jetzt allein sein könnte. Doch statt das zu sagen, schob sie meine vermuteten Bedürfnisse vor. Du hast ja noch so viel zu erledigen…

Ihr könnt jetzt gern sagen, ich solle mich nicht so anstellen, und es wäre doch nett, wenn meine Mutter so fürsorglich an all das denkt, was ich zu erledigen habe. So hätte ich vermutlich vor zehn Jahren auch noch reagiert. Heute gibt es in mir dagegen nur Rebellion. (Achtung, wie alt ist das Kind?) Sie soll sagen, was sie will. Und ich übernehme Verantwortung für das, was ich will oder brauche. Aber die eigenen Bedürfnisse hinter dem zu verstecken, was ich in den anderen hineinsehe… das ist gerade ein schwieriges Thema für mich.
An einer Stelle werden Absichten in mein Handeln hinein interpretiert, die nichts mit dem zu tun haben, was in mir lebendig ist. Ein Teil von mir ist darüber wütend, ein anderer Teil versucht zu besänftigen und mir zu sagen, wenigstens bekomme ich durch diese Aussagen einen Eindruck davon, was in meinem Gegenüber lebendig ist: Hey, da drückt jemand seine unerfüllten Bedürfnisse aus! Na, super! Und gleichzeitig lässt das bei mir sehr viele Bedürfnisse offen, zum Beispiel nach Authentizität, Echtheit, Klarheit, Verbindung. Ja, die Verbindung leidet darunter, wenn ich nicht aufrichtig mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen verbunden bin. Und ich, Ysabelle, bade es dann aus, indem ich wieder und wieder übersetzen muss…

Im Umgang mit meiner Mutter finde ich das verzeihlich. Sie ist 80 Jahre alt und in den vergangenen zwei Jahren hat sich bei ihr unter dem täglichen Einfluss von GFK (grosses „f“, *grummel*) wirklich viel verändert. Bei anderen Menschen in meinem Leben finde ich das viel schwieriger. Vor allem bei mir selbst. Im Moment bin ich gerade mal wieder besonders wach, was Du-Botschaften angeht, und versuche verzweifelt, meine eigenen Du-Botschaften in Gefühle und Bedürfnisse zu übersetzen. Dabei habe ich dieser Tage entdeckt, dass es da einen großen schmerzhaften Krater in mir gibt: In meiner Kindheit bin ich gern auf den Kalkberg gekraxelt, einen Gipshut am Rande der historischen Innenstadt. Vom Gipfel konnte man auf die Häuser herabsehen, aber auf der einen Seite sah man in einen „Abgrund“, Lueneburg_IMGP9671_wp_Photo-Rainer-Knäpper-Free-Art-License-http-_artlibre.org_page_id65.jpgin dem im Mittelalter der Gips abgebaut wurde. Wenn ich diesem Gefühl in mir nachspüre, sieht es so aus wie dieser Abgrund in meiner Kindheit. TIIIIIEF. Und es ist besser, vom Rand ein wenig Abstand zu halten… Es ist so schmerzhaft mich damit zu beschäftigen, welche Bedürfnisse an dieser Stelle unerfüllt sind, dass ich es kaum wage, mich dieser Abbruchkante zu nähern… Vielleicht reagiere ich deshalb im Moment so vehement auf Du-Botschaften: weil ich so sehr damit ringe, meine eigenen Du-Botschaften in Ich-Botschaften zu übersetzen und mich das mit einem unglaublichen Schmerz über meine unerfüllten Bedürfnisse in Verbindung bringt. Da haben wir den Salat…

So long!
Ysabelle

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