Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Abenteuer Ehrlichkeit

Jede kleine Ehrlichkeit ist besser als eine große Lüge….
– Leonardo da Vinci (1452 – 1519) –

Vielen von uns fällt es schwer, ehrlich zu sein. Da ist der Mann, der die alte Beziehung noch nicht final beendet hat, aber schon eine neue Frau umwirbt. Da ist die Frau, die sich in einen Mann verliebt hat, aber sich nicht traut, es ihm zu sagen. Da ist der Vorgesetzte, der mit der Leistung eines Mitarbeiters unzufrieden ist, aber es nicht klar ausspricht. Da ist die Tochter, die sich über das Schweigen der Mutter ärgert, aber selbst auch keinen Kontakt sucht…

Wie kommt es, dass wir Ehrlichkeit für einen hohen Wert halten, aber selbst immer wieder in Situationen kommen, in denen wir nicht ehrlich sind?

Häufig war es in der Vergangenheit so, dass wir für unsere Ehrlichkeit einen hohen Preis bezahlt haben. Solange wir in dem Glauben gefangen waren, unsere Aussagen oder Handlungen seien der Grund für den Schmerz anderer, war es risikoreich, unserem Bedürfnis nach Ehrlichkeit Raum zu geben. Das konnte seinen Anfang durchaus im Kindergartenalter nehmen. „Tante Lisa ist traurig, wenn du ihr kein Küsschen gibst“… Später waren die Eltern enttäuscht, wenn das Kind schlechte Noten nach Hause brachte, oder entrüstet, wenn der Nachwuchs mit langem Haar oder Punkfrisur nach Hause kam. Immer wieder bekamen wir zu hören: Du bist dafür verantwortlich, wie es mir geht.

Je länger wie die Gewaltfreie Kommunikation praktizieren, desto leichter fällt es uns, unsere Meinung zu sagen, zu unseren Ansichten zu stehen, unseren eigenen Bedürfnissen nachzuspüren und uns für ihre Erfüllung einzusetzen. Denn uns wird mehr und mehr bewusst, dass wir vielleicht einen Auslöser für den Schmerz unseres Gegenübers liefern. Doch verantwortlich für seine Gefühle sind wir nicht.

Und noch etwas Neues lernen wir. Wir können unserem Bedürfnis nach Ehrlichkeit und Klarheit nachgeben und gleichzeitig den anderen sehen. „Was brauchst du, um mit dieser Situation, Aussage, Handlung klar zu kommen? Wie kann ich einen Beitrag dazu leisten, dass auch dein Leben wunderbar wird, ohne die Verantwortung für mein Leben und meine Bedürfnisse zu vernachlässigen?“

Je mehr uns bewusst wird, dass wir für den Schmerz des anderen nicht verantwortlich sind, und je stärker das Bewusstsein in uns wächst, dass wir auch dann für den anderen da sein können, wenn wir nicht das tun, was er oder sie erwartet, desto leichter wird es uns fallen, ehrlich zu sein. Und diese Ehrlichkeit wird dazu führen, dass unsere Herzen für andere offen sind.

Heute will ich beobachten, wo ich noch nicht ehrlich mit meinem Gegenüber bin. Ich will überprüfen, welches wundervolle Bedürfnis ich mir erfülle, wenn ich schweige oder die Unwahrheit sage.

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