Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

… was du immer hast…

Hallo, Welt!
Am Donnerstag hatten wir in der Übungsgruppe ein Thema am Wickel, das für mich auch im neunten Jahr GfK nichts an Brisanz verloren hat: Du-Botschaften.
Intellektuell habe ich natürlich verinnerlicht, dass jede giftige Du-Botschaft eine Aussage über meine/deine unerfüllten Bedürfnisse ist. Wenn also eine Person zur anderen sagt, „du hörst schon wieder die Flöhe husten…“, hat er oder sie vielleicht ein Bedürfnis nach Leichtigkeit. Wir haben an der Flipchart eine ganze Reihe von Du-Botschaften gesammelt und zum Abschluss im Schnelldurchlauf Vermutungen angestellt, welche Bedürfnisse beim Sender eventuell im Mangel gewesen sein könnten.
Spannend wurde es im Mittelteil. Da waren wir nämlich damit beschäftigt, wie diese du-Botschaften zustande kommen und was uns helfen könnte, uns und andere zu verstehen. Wir sind ja oft genug selbst Sender von Du-Botschaften. Ein Beispiel hat mich besonders angesprochen. Eine Person kommt zu einem Paar zu Besuch und nimmt etwas Atmosphärisches wahr. Auf die Frage, ob es gerade dicke Luft gebe, bekommt die Person die Antwort: „was du immer hast…“.
In aller Regel kann man davon ausgehen, dass der Frage „habt ihr euch gerade gestritten?“ eine Beobachtung vorausgeht. Leider sind wir nicht gewohnt, Beobachtungen zu benennen. Vielmehr sind wir darauf trainert, 1 & 1 zusammenzurechnen und unsere Mutmaßungen abzufeuern. Dieses Verhalten kann uns das Leben retten. Wenn wir ein seltsames Rasseln hinter uns hören und erst mal fragen, hört ihr auch so ein seltsames Rasseln, könnte uns die Schlange schon gebissen haben. Wie doof! Wir sind also in unzähligen Alltagssituationen darauf angewiesen, der Rechenleistung unseres Hirncomputers zu vertrauen. Zum Beispiel im Straßenverkehr: Schaffe ich es noch zu überholen oder ist der Gegenverkehr zu dicht dran?
In aller Regel benutzen wir diese besondere Fähigkeit aber nicht selektiv, also situationsbezogen, sondern grad mal immer. Und wenn wir nun unsere Gedanken über etwas Zusammengerechnetes äußern, können wir damit ganz schön anecken. Hier mal ein großartiges Video, auf das mich die „kleine“ Claudia gebracht hat: Wie unser Hirn funktioniert.

Ich nehme Du-Botschaften, die ich höre, inzwischen oft körperlich wahr. Als sei ich mit hoher Geschwindigkeit gegen eine Wand geknallt. Meine unerfüllten Bedürfnisse (ich habe gerade ein paar aktuelle Du-Botschaften im Ohr) sind Gesehen werden, Respekt, Augenhöhe, Anerkennung, Wertschätzung und dieses wunderbare Bedürfnis „shared reality“, das erst vor ein paar Monaten in mein Leben gekommen ist: Mir ist es wichtig, dass wir den gleichen Blick auf die Dinge haben. Mein frontaler Kortex, also dieser vordere Teil im Hirn, der das Einordnen übernimmt, läuft zu Höchstform auf und kontert mit einer Du-Botschaft. Meine Impulskontrolle, also der präfrontale Kortex, funktioniert mittlerweile so gut, dass ich sie (meist) nicht mehr herausplärre. Aber der Schmerz und der Groll bleiben. Wenn ich getroffen bin, hilft es mir in der aktuellen Situation nicht so viel mir bewusst zu machen, ach, der oder die hat mal gerade ein unerfülltes Bedürfnis. ICH habe nämlich auch eins oder mehrere!
Jetzt kommt also das übliche GfK-BlaBla. Gib dir Einfühlung, such dir jemanden, der dir Einfühlung gibt. Das klappt aber nicht immer in der konkreten Situation. Daher ein anderer Tipp von mir. Konzentriere dich auf die Beobachtung. Du möchtest zurückfeuern? Du merkst, dass du wirklich betroffen bist? Wende dich dir zu. Was fühlst du? Was denkt es in dir? Und ganz besonders: Was ist die Beobachtung?
In meinem aktuellen Backfire-Modus – ich möchte sofort den passenden Kommentar zurückschießen – fällt es mir schwer, eine Beobachtung zu benennen. Meist ist die Beobachtung nicht der Satz, der jetzt zum Auslöser geworden ist. Die Beobachtung zu meinem Schmerz geht tiefer. Im Beispiel „…was du immer hast…“ ging es unter anderem um den altvertrauten Schmerz, dass die eigene Wahrnehmung in Frage gestellt wird. „Aber ich spüre doch, dass da was ist…“. Und die Lernerfahrung kann sein: Ja, meine Beobachtung stimmt, aber statt dass die Leute sich gerade gestritten haben, sind sie gerade hopplahopp aus der Kiste gekommmen und das ist ihnen peinlich.
Also: Statt auf den anderen zu schießen, lege ich das Augenmerk auf mich und auf meinen Schmerz. Kann ich eine Beobachtung benennen? Was sind meine Gedanken dazu? Welche Gefühle werden ausgelöst? Ganz schön komplex und genug Stoff, um in der konkreten Situation nicht mit Sperrfeuer, sondern mit Bedacht zu reagieren. Beim Hören einer Du-Botschaft könnte daher eine Antwort sein: Was du da gerade sagst, möchte ich erst mal für mich einordnen und werde dir später etwas dazu sagen. Vor dem Abfeuern einer Du-Botschaft ist es der Gedanke: Offensichtlich gibt es da in dir einen großen Schmerz. Was ist das unerfüllte Bedürfnis, und gibt es eine Beobachtung dazu?

So long!
Ysabelle

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