Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Dankbarkeit: 22. Dezember 2012

Hallo, Welt!
Heute Abend habe ich drei Stunden lang Geschenke eingepackt. So richtige Weihnachtsfreude wollte sich nicht einstellen. Ein Mensch, den ich beschenken möchte, hat große Schwierigkeiten etwas anzunehmen. Da fließt dann der Giraffensaft eher tröpfelnd. Für andere wurde einfach nur eine Wunschliste abgearbeitet. Das lässt mein Herz auch nicht gerade singen. Es war schön, für meine Nachbarin, die so oft meine Post annimmt, etwas zu Naschen einzupacken. Und ich hoffe, dass sich meine Mutter über das Briefpapier freut, das meine Lieblings-Designerin gestaltet hat. Morgen weiß ich mehr.
Heute Morgen war ich mit einem Begleiter auf dem Weihnachtsmarkt unterwegs. Wir kamen an einem Eingang zu einem Bürogebäude (?) vorbei, und dort stand ein großer Mann vor einem vielleicht fünf Jahre alten Kind. Er schimpfte, „wenn du damit nicht aufhörst, hau ich dir den Hintern voll. Du kriegst nen Hintern voll. Diese Gemaule wollen wir nicht hören. Wenn du jetzt nicht lieb bist, dann ist jetzt aber Schluss. dann setzt es was!“

Wenige Meter weiter stand eine aparte blonde Frau, die offenbar dazu gehörte. Schade, ich kriege meine, unsere Worte nicht mehr zusammen, aber obwohl es das Beste an Giraffisch war, was uns in dem Moment zur Verfügung stand, konnten wir uns mit dem Mann nicht verbinden. Er schnauzte, er verbäte sich alle Ratschläge, wie er sein Kind zu erziehen hätte. Ich antwortete: Ich will Ihnen gar keine Ratschläge geben. Ich finde nur, dass kein Kind eine Tracht Prügel „verdient“ hat. Ein Wort gab das andere, mein Begleiter versuchte noch mal ein warmes „Sind Sie im Stress?“, aber insgesamt waren wohl die Emotionen zu hoch als dass wir noch durchkommen konnten. Dann sagte ich, „mir fällt das ganz schwer zu hören, weil ich als Kind schwer geschlagen worden bin.“ Und der Mann antwortete: „Wahrscheinlich hatten Sie es verdient!“

Daraufhin murmelte mein Begleiter noch etwas von „wenn du dem Kind was tust, sollte man dir ein paar aufs Maul hauen…“, aber insgesamt wussten wir beide, dass wir in dieser Situation nicht zum Frieden beigetragen haben, obwohl das unser Anliegen war.

Noch eine ganze Weile haben wir hinterher überlegt, wie wir uns anders hätten verhalten können. Offensichtlich brauchte der Vater des Kindes Einfühlung. Zumindest ich war am Rande einer Retraumatisierung, und mein Begleiter noch nicht so giraffenfest, dass er die Situation und mich hätte halten können. Vor allem dieser Satz „wahrscheinlich hatten Sie es verdient“ löste bei mir eine tiefe Bestürzung aus. Kein Kind auf dieser Welt „verdient“ Schläge. Ich bin entsetzt. Das paar wirkte gut situiert, es waren zwei attraktive Menschen. Und dann stand da dieser große Mann, er war sicher länger als 1,90 m., vor diesem kleinen Kind und bedrohte es mit Prügeln… 2012. Am vierten Adventssamstag…

Simran K. Wester schrieb dieser Tage in ihrem Rundbrief:

Wir stehen jetzt vor einer großen Wende der Menschlichkeit: nicht nur hat es in West-Europa seit über 70 Jahren keinen Krieg mehr gegeben (und auch weltweit nimmt die Häufigkeit von Kriegen stetig ab, es wird nur mehr über die einzelnen Kriege berichtet) – es gibt jetzt zum ersten Mal ganze Generationen von Menschen, die nicht ihre gesamte Energie darauf verwenden müssen, irgendwie trotz der Folgen ihrer qualvollen Kindheit ihre Existenz zu sichern und zumindest die Oberfläche glatt zu halten, während sie gleichzeitig die Dämonen im Innern in Schach halten. Sie haben die Chance, ihr menschliches Potenzial ganz zu entfalten, ihr Herz in den Mittelpunkt zu stellen und eine Bewusstheit zu erreichen, die bislang nur durch Einzelne erfahren worden ist. Es wird sicherlich noch einige Jahre dauern, bis dieser Bewusstseinswandel offensichtlich wird, und doch kann man den Trend jetzt schon erkennen.

Heute Morgen ist mein Glaube an diesen Bewusstseinswandel schwer erschüttert worden. Trotzdem will ich dankbar dafür sein, dass ich es gewagt habe, meinen Mund aufzumachen und – so hoffe ich jedenfalls – ohne Aggression dem Mann zu sagen, dass ich nicht möchte, dass Kinder geschlagen werden.

Ich will auch dankbar dafür sein, dass ich trotz Schneeglätte heil mit dem Auto nach Hause gekommen bin. Immerhin ist das gute Stück gerade frisch aus der Werkstatt. Da wäre es doch ärgerlich, wenn ich da ne Beule reinfahre…

Ich bin dankbar, dass ich Geschenke machen kann. Und ich bin dankbar für die guten Dinge, die ich hier zu Hause vorfinde. Im Topf in der Küche simmert ein Suppenhuhn seit vier Stunden. Ich freue mich auf eine wunderbare Brühe. Und bin dankbar für all die wunderbaren Nachrichten, Karten, CD’s und Päckchen, die in den vergangenen Tagen für mich eingetroffen sind.

So long!

Ysabelle

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