Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Wer Gewalt sät…

Hallo, Welt!
Hier liegen drei angefangene Postings und gleichzeitig ist heute Morgen etwas anderes dran.
Über Oliver Heuler bin ich auf dieses Video aufmerksam geworden. ACHTUNG! Wer durch Gewalt oder ähnliches traumatisiert ist, sollte das eingebettete Link nicht anklicken.
Es handelt sich um einen Film, der in einer Einrichtung für Schüler entstanden ist, der Vorfall war 2002. Bislang war das Video verschwunden, jetzt wurde es als Beweismittel in einem Gericht verwandt. Die Bilder zeigen, wie ein behinderter Junge/ein junger Mann mit Elektroschocks gefoltert wird, weil er seinen Mantel nicht ausziehen wollte. Seine Mutter berichtet vor Gericht, dass ihr Sohn nach dieser „Behandlung“ nicht ansprechbar war, keine Reaktionen zeigte. Im Krankenhaus wurde dann festgestellt, dass er durch die Schocks traumatisiert worden war.
In dem Film schreit sich der Junge die Seele aus dem Leib. Und ich stelle etwas Schockierendes an mir selber fest. Ein Teil von mir ist entrüstet, entsetzt, fassungslos, möchte am liebsten sofort eingreifen. Und ein anderer Teil ist geradezu leidenschaftslos. Da wird jemand gefoltert, ein Kind. Na und? HILFE! Marshall sagt, dass wir alle von Natur aus einfühlsame Wesen sind. Was ist mit mir passiert, was habe ich mit mir gemacht, dass meine Menschlichkeit auf der Strecke geblieben ist? Wieso gibt es einen Teil von mir, der so etwas ungerührt zur Kenntnis nehmen kann? Es gibt ja mittlerweile ganze Testreihen wie das Milgram-Experiment oder das Stanford-Prison-Experiment, wo Menschen zeigen, was möglich ist, wenn sie Befehle und Anordnungen bekommen. Sie geben ihre Verantwortung ab, sie entfernen sich vom Leben. Ich bin entsetzt und traurig. Ich bin nicht besser als die Schläger (es geht doch nichts über einen schönen, vernichtenden Vergleich…).
In diesen Tagen muss sich Anders Breivik in Norwegen vor Gericht verantworten, der im vergangenen Juli 77 Menschen getötet hat. 68 Menschen erschoss er auf der Insel Utoya, die meisten von ihnen Schüler und Studenten. In einer Stellungnahme hat Breivik beteuert, er habe die westliche Welt vor dem Islam beschützen wollen. Er wähnte sich im Krieg. Spiegel online schreibt von der „Demontage des Bösen“. Nachdem ich den Artikel gelesen hatte, konnte ich mich das erste Mal mit Breivik verbinden. Für sein persönliches „Scheitern“ an so vielen Schnittstellen – Schule, Beruf, Beziehung – musste es einen Schuldigen geben. Getreu dem Motto: Du bist Scheiße oder ich bin Scheiße. Und bevor ich Scheiße bin, sollst es doch lieber du sein. Nun waren es die Moslems, die Migranten. Und mit diesem Feldzug wurde Breivig zum Helden. Jedenfalls ist das seine Sichtweise. Der Retter der westlichen Zivilisation. Es gibt tatsächlich sogar einige Leute, die das glauben.
Ich bin gerade ganz still innerlich.
Solange wir in diesem System von Richtig oder Falsch leben, solange wir vergleichen und nicht die Einzigartigkeit eines jeden Menschen feiern, wird es solche Vorkommnisse geben. Wachleute werden behinderte Jugendliche foltern, Eltern ihre Kinder schlagen, Attentäter Andersgläubige ermorden.

Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass dieses System irgendwann der Vergangenheit angehört. Wahrscheinlich ist es am besten, ich fange bei mir selber an. Ich verzeihe mir meine ambivalenten Reaktionen auf das Video. Und ich bereite den GfK-Volkshochschulkurs vor, den ich am Wochenende in Hamburg gebe.

So long!

Ysabelle

Eine Reaktion zu “Wer Gewalt sät…”

  1. Oliver Heuler

    Ich habe einen noch schöneren, noch vernichtenderen Vergleich: Ich bin noch viel schlimmer als du. Ein Teil von mir empfindet bei dem Video sogar Freude. Ja, jetzt ist es öffentlich. Und zwar Freude darüber, dass die Gewalt ins Extrem getrieben wird. (Der Junge wollte seine Jacke nicht ausziehen!) Wenn die Gewalt ins Extrem getrieben wird, dann hoffe ich immer, dass mehr Menschen Gewalt als Mittel für höhere Zwecke hinterfragen.

    Aber natürlich hatten die Folterer auch nur universelle Bedürfnisse. Wahrscheinlich:
    Authentizität,
    Ordnung,
    Sicherheit,
    dem Jungen zu helfen, Strategien zu finden für ein unproblematisches Leben in der Gesellschaft.

    Liebe Grüße
    Oliver

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