Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Der wunde Punkt

Hallo, Welt!

„Der heiße Stuhl“ muss von einem GfK’ler erfunden worden sein. Ich meine damit eine Übung, sich Sachen anzuhören, die wirklich Schmerzen oder andere intensive Gefühle hervorrufen. Die Kunst ist es, dann empathisch zu bleiben – erst mich sich, dann mit dem anderen.

In der Übungsgruppe hatten wir beim letzten Treffen ein schönes Beispiel. Jemand erzählte: Ich hatte länger gearbeitet als geplant. Mit mulmigem Gefühl rief ich die Person an, mit der ich für den Abend eine Verabredung hatte, und sagte, „ich fahr jetzt los.“ Die Person machte ein seltsames Geräusch und antwortete dann mit erhobener Stimme: Das ist doch nicht dein Ernst!?“

Der Mensch, der ohnehin ein schlechtes Gewissen hatte, weil es so spät geworden war, fand auf diesen Satz keine empathische Antwort.
Wir haben dann in der Gruppe geübt, empathisch auf den Sprecher auf der anderen Seite des Telefons einzugehen. „Bist du frustriert, weil dir die effiziente Nutzung deiner Zeit wichtig ist?“ Oder: „Bist du traurig, weil du dir Gemeinschaft und Verbindung wünschst?“ Nun hatte unser Gruppenmitglied zwar einige Anregungen, was er in einer vergleichbaren Situation sagen könnte, aber das eigentliche Problem war noch nicht gelöst: Wie verhalte ich mich, wenn die Bemerkung eines anderen bei mir einen wunden Punkt trifft?

Wunde Punkte sind eine sehr individuelle Sache. Heute hörte ich von einer Frau die Klage, ihr Vorgesetzter habe zu ihr gesagt, sie hätte einen Fehler gemacht, und das wolle sie nicht auf sich sitzen lassen… im Gespräch tauchte vor meinem geistigen Auge ein Bild auf: Manche Bemerkungen rauschen an uns vorbei wie der Stier, der den capote (das farbige Tuch) mit dem Torrero verwechselt. Zisch… ist er weg. Andere Bemerkungen treffen uns wie ein Horn in die Eingeweide oder womöglich ins Herz. Aua!

Wie ein Torrero können wir die Kunstfertigkeit lernen, dass uns der andere nicht treffen kann. Nicht etwa, weil wir so abgebrüht sind, dass uns nichts mehr erreicht. Vielmehr gelingt es uns immer besser, die Gefühle und Bedürfnisse hinter solchen Aussagen wahrzunehmen und darauf einzugehen. Die Frau, die von ihrem Vorgesetzten angesprochen wurde, lernt vielleicht zu hören: Wir bekommen Probleme, wenn das hier so geschrieben ist und deshalb bitte ich Sie, das noch einmal zu ändern… Und der Freund aus der Übungsgruppe hört vielleicht beim nächsten Mal: Mir ist die Zeit mit Dir so kostbar, am liebsten hätte ich schon die vergangenen zwei Stunden mit Dir verbracht…
Es scheint so leicht zu sein, die Ohren empathisch aufzusperren, wenn es nicht die eigenen wunden Punkte trifft. Doch auf dem heißen Stuhl ist man genau mit den Sätzen konfrontiert, die ins Mark treffen. Dieser Tage flog mir ein Satz um die Ohren, der mich noch immer beschäftigt. „Es fällt mir einfach schwer nachzuvollziehen, dass XXXX Euro viel Geld sind bei deinem Gehalt“. Leute, wollt Ihr meinen Wolfschor hören? Die Tatsache, dass ich auch nach drei Tagen noch immer den Impuls habe mich dafür zu rechtfertigen, dass ich belegen will, welche Kosten ich wuppen muss, ist ein deutliches Indiz dafür, dass hier mein wunder Punkt aktiviert wurde. Die Wölfe jaulen Kommentare wie „du sparst eben nicht genug“ oder „ich hab ja schon immer gesagt, du kannst nicht mit Geld umgehen“. Und so erklärt sich auch, warum diese Bemerkung von außen mich so durchrüttelt. Das, was der andere sagt, findet ein Echo bei meinem inneren Erzieher, der so gern hätte, dass auf meinem Sparbuch zehntausende Euros dicke Zinsen bringen. Leider versucht er das mit Beschimpfungen und Drohungen durchzusetzen (im Alter wirst du komplett verarmen…!). und der Erzieher setzt sich nicht mit meinem inneren Entscheider an einen Tisch, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Na ja, gelegentlich schon. Aber wenn solche Bemerkungen kommen, werden alle anderen Persönlichkeitsanteile beiseitegeschoben, der Erzieher stemmt die Hände in die Hüften und bollert: Genau, würdest du die Kohle besser zusammenhalten, wärest du schon fast Millionär…!
Also: Problematisch ist ein Satz immer dann, wenn er im Inneren auf Resonanz trifft, wenn er etwas beschreibt, was ein Teil von mir auch über mich denkt. Dann entsteht in mir der Impuls, ich müsse mich verteidigen oder den anderen abwehren, und zunächst kann ich weder mit mir noch mit meinem Gesprächspartner empathisch sein.

ich glaube, ich gehe jetzt in die Stadt und versuche, einen capote zu kaufen. Vielleicht gibt‘s die ja auch mit Blümchen.

So long!

Ysabelle

2 Reaktionen zu “Der wunde Punkt”

  1. MarkusC

    Hallo Ysabelle,
    ich weiß nicht, was es ist, aber dieser BLog Eintrag von dir spricht mich auf eine subtile Weise anders an als deine anderen…vielleicht ist es eine Einbildung, aber er kommt mir anders geschrieben vor. Ich kann noch nichtmal sagen wie…aber er berührt mich 🙂

    Lieber Gruß,
    Markus

  2. Ysabelle Wolfe

    Moin, Markus,
    ich versichere Dir, ich habe ihn selbst geschrieben. Vielleicht kommt bei Dir an, dass ich sehr traurig war, als ich daran gearbeitet habe. It is simple, but not easy…

    So long,

    Ysabelle

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