Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Vorwürfe in der Waschmaschine

„Wer so recht aus voller Seele lacht, der kann kein schlechtes Gewissen haben.“
– 39. Brief, Der Witz. Aus: Briefe an eine Jungfrau über die Hauptgegenstände der Aesthetik. Ein Weihgeschenk für Frauen und Jungfrauen. 22. verbesserte Auflage. Bearbeitet und hg. von A. W. Grube. Leipzig: Friedrich Brandstetter, 1880. S. 313

Es gibt immer einen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben. Mehr Geld ausgegeben als geplant, nicht beim Sport gewesen, zu viel gegessen, eine wichtige Verabredung vergessen. Schlimmer geht es immer: Manchmal treffen gleich mehrere Gründe zusammen.

Wer meldet sich da und macht uns Vorhaltungen? Du musst das Geld besser zusammen halten! Du weißt doch, dass du für den Rücken Bewegung brauchst! Kein Wunder, dass die Hose kneift, wenn du auch kein Maß kennst! Himmel, die Leute erwarten dich, und dir geht einfach der Termin durch die Lappen… So oder ähnlich klingt es dann.

Wem können wir diese Stimme zuordnen? Und was will der Sprecher von mir?
Ich kenne diese Sätze aus meiner Kindheit. Besorgte Eltern, Großeltern, Lehrer, aufgewachsen in Dominanzstrukturen, wollten uns mit solchen Vorwürfen dazu bewegen, uns möglichst so zu verhalten, dass wir eben keinen Anstoß erregen.

Wenn wir zu unseren Giraffenohren greifen, können wir die Vorwürfe übersetzen.
Ich bin besorgt, dass du auch Rücklagen hast, wenn demnächst die Heizkostenabrechung fällig ist. Ich möchte sicher sein, dass du dann nicht in Schwierigkeiten kommst… Deine Gesundheit liegt mir am Herzen. Immer wieder hast du Schmerzen. Mit Übungen für den Rücken und weniger Gewicht hättest du viel mehr Lebensfreude… Ich weiß doch, wie viel dir deine Freunde bedeuten. Da ist es mir wichtig, dass du ihnen mit Zuverlässigkeit auch deine Wertschätzung zum Ausdruck bringst…

Hört sich das nicht schon ganz anders an? Aus bitteren Vorwürfen, die ursprünglich dafür gedacht waren, ein schlechtes Gewissen zu verursachen und uns damit zu lenken, wird auf einmal der Ausdruck von Fürsorge, Liebe und Besorgnis.

Wir können uns heute von der Wucht der Selbstvorwürfe befreien. Wenn wir bereit sind, diesem besorgten Anteil in uns selbst, der sich nur in Wolfssprache verständigen kann, liebevoll zuzuhören, können wir seine Worte in die Sprache des Herzens übersetzen. Und dann finden wir Mittel und Wege, kompetent die Verantwortung für unser Tun und Lassen zu übernehmen.

Heute will mich meinen kritischen Stimmen einfühlsam zuhören und übersetzen, wovor sie mich aus Liebe warnen wollen.

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