Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Ich hätte gern eine Tüte Empathie!

Hallo, Welt!

das mit der Empathie ist noch viel komplizierter als ich sowieso schon immer dachte.
Neulich kam es in der Übungsgruppe zu einer Diskussion, ob der Satz „Was ist passiert?“ empathisch sei oder nicht.

ich bin superempfindlich beim Thema Empathie. Ich bin gern mit der Heimwerkermütze unterwegs, will immer alle Probleme lösen. Nichts habe ich schneller auf den Lippen als einen natürlich großartigen Vorschlag, wie man die Situation zum Besseren verändern kann. Und gleichzeitig merke ich, je mehr ich in die GfK einsteige, wie GIFTIG das ist. ich mag mit bestimmten Leuten überhaupt nicht mehr über meine Probleme reden, weil deren Reaktionen in mir einen Vulkan an Abwehr triggern. Zu diesen Bemerkungen gehören neben vielen anderen „wann hat das angefangen?“ und „was ist passiert?“. ICH erlebe es so, dass diese Bemerkungen zu einem intellektuellen Verstehen führen, und das ist nicht der Sinn von Empathie wie wir sie in der Gewaltfreien Kommunikation auffassen.

Hier mal ein schönes Beispiel, wie Empathie eben nicht funktioniert.

Ich schrieb an eine Bekannte:

So. Eben habe ich ganz viel Geld für meine Neuanschaffungen von der Bank abgeholt *schnief*

und sie antwortete:
denk nicht an das geld, sondern an die neuanschaffungen! du wirst es schön haben und hoffentlich habt ihr im norden auch so herrliches wetter und du kannst dann (…) alles genießen.

Das erfüllt nicht mein Bedürfnis nach Verbindung und Wertschätzung. Ja, ich WEISS, dass es lieb gemeint ist. Und trotzdem geht es mir auf den Keks!
Ich bin jetzt auf ganz dünnem Eis.
Es gibt kein Richtig und kein Falsch, von daher kann auch so ein Satz wie „denk nicht an das geld, sondern an die neuanschaffungen“ weder richtig noch falsch sein. Ich sage von mir, dass ich mich nicht verstanden fühle, dass ich keine Verbindung spüre, wenn jemand das zu mir sagt.

Vor einem Jahr hat es einen ziemlichen Knall in meinem Leben gegeben, an den ich mit Unbehagen zurückdenke. Im Rahmen der Jahresgruppe waren wir jeweils zu viert oder fünft in Empathiegruppen eingeteilt. Diese Gruppen trafen sich nicht nur während der Zeit der Fortbildungsmodule, sondern auch zwischen den Modulen, um sich gegenseitig zu unterstützen, aber auch um Empathie zu üben. In einer dieser Übungssituationen berichtete einer der Teilnehmer von seinen vielschichtigen familiären Herausforderungen. Eine GfK-Freundin fing an nachzufragen: „ich habe das nicht verstanden. Und das Kind ist von Dir?“ Er antwortete, es entspann sich ein Zwiegespräch und ich bin irgendwann einfach explodiert und habe geblafft, „das ist keine Empathie!“ Ich war in dem Moment total verzweifelt und unter Druck, aber eben nicht wirklich mit mir in Verbindung, sonst wäre ich vielleicht weggegangen und hätte mich erst mal neu sortiert.
Wir haben als Gruppe ziemlich lange gebraucht, um die Scherben meines Ausbruchs zu beseitigen. Der Befragte erzählte später, er habe sich bei den informatorischen Fragen der GfK-Freundin wie bei der spanischen Inquisition gefühlt, total unbehaglich, und er hätte aus den Fragen auch eine Bewertung rausgehört. Als hätte sie gesagt, wie, was sind denn das für Zustände??? Sie hatte es nicht gesagt, aber er hatte es so wahrgenommen. Und die Freundin war einfach nur total verwirrt und glaubte, sie müsse überhaupt erst mal verstehen, worum es sich bei dem Problem handele, um dann Empathie geben zu können. DAS ist aber nicht das, was Marshall unter Empathie versteht. Empathie ist Präsenz, und für Präsenz brauche ich NICHTS zu wissen.

Letzten Endes geht es aber um die Haltung, und nicht um Worte. im Idealfall kann ich jemandem Empathie geben, der nur Kisuaheli spricht und weinend auf einem Bahnsteig sitzt. Ich brauche nicht zu wissen, ob er seinen Zug verpasst hat oder ein geliebter Mensch nicht angekommen oder gerade weggefahren ist. Scheißegal. Ich kann mich mit dem Menschen verbinden und seine Hand halten. ich muss seinen Kummer nicht zu meinem machen, ich muss sein Problem nicht lösen, ich muss ihn nicht mal verstehen. Es reicht, beim anderen zu sein. Und wenn es Momente gibt, in denen das Gegenüber sich gesehen und gehört und unterstützt und begleitet fühlt durch den Satz „was ist passiert?“, dann ist dieser Satz in dieser Situation perfekt.

Das will ich mir in meiner heutigen Verzweiflung ins Gedächtnis rufen, wenn ich mit Sätzen zu dealen habe die da lauten:

Ich finde, dass der Kommentar, gemessen an unserer Situation nicht angebracht war.
Da hätte ich gern eine Tüte Empathie.

Vielleicht klinke ich mich heute Abend noch in die NVC-Hotline ein.

So long!

Ysabelle

2 Reaktionen zu “Ich hätte gern eine Tüte Empathie!”

  1. Christel

    Danke Ysabelle, für den berührenden Artikel. Ich habe ihn mir eben durchgelesen und er spricht mir gerade aus der Seele. Einfach nur verstanden werden, einfach nur sein dürfen mit dem, was gerade los ist. Gehört und gesehen werden, meine Probleme behalten dürfen und darauf vertrauen, nicht allein zu sein.
    Wie wundervoll wäre es, gäbe es das einfach so. Vor einiger Zeit habe ich zu diesem Thema mal dies geschrieben: http://blog.sohnemann.net/?p=170
    Danke Dir, Ysabelle, für diesen Artikel, der mir gerade sehr gut tut zu lesen.

  2. Ysabelle Wolfe

    Christel, hätte ich auf dieser Seite einen Facebook-Button, bekämst Du für Deine Rückmeldung „Daumen rauf!“ Das tut mir gerade unglaublich gut, denn dieses Posting hat einigen Staub aufgewirbelt. Danke.

    Y.

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