Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Fett und faul

HORATIO
Er kommt ganz außer sich vor Einbildung.

MARCELLUS
Ihm nach! Wir dürfen ihm nicht so gehorchen.

HORATIO
Kommt, folgen wir! Welch Ende wird dies nehmen?

MARCELLUS
Etwas ist faul im Staate Dänemarks.

Hamlet, Drama von William Shakespeare, 1. Akt, 4. Szene.

 

 

Dieser Tage hatte ich Gelegenheit, länger mit einer Frau zu sprechen. Wir saßen bei einem Geschäftsessen nebeneinander und teilten auch das Frühstück am nächsten Morgen.
Ich war ziemlich durchgeschüttelt, denn sie ließ an sich selbst kein gutes Haar. Îch bin so fett geworden“, sagte sie. Die Beobachtung meinerseits dazu war, dass sie einen ziemlichen Hüftumfang hatte und wahrscheinlich Kleidergröße 48 oder 50 trägt. Ihr Gesicht war schmal, ebenso ihre Unterarme und ihre Hände. Wir sprachen ein bisschen über Gewicht und Selbstwahrnehmung. Dann kamen wir auf ein neues Thema, und sie erzählte, „ich bin so faul“. Die Beobachtung dazu war, dass sie nach einem langen Arbeitstag keine Energie mehr hatte, bei sich zu Hause längere Zeit Hausarbeiten zu verrichten. Wäsche und Putzen bleiben bis zum Wochenende liegen.

Die meisten von uns haben eine Richtschnur eingebaut, wie wir sein sollten, was wir tun müssen, damit wir ok sind, akzeptiert, geliebt werden. Wie-Worte, Adjektive beschreiben diesen erwünschten Zustand. Fleißig, pflegeleicht, atttraktiv, anständig, sparsam und sportlich. Abweichungen von diesem Bild werden mit Selbstabwertungen gestraft.

All diese Bewertungen lassen eines außer acht: Unsere Gefühle.
Ich glaube, unsere Gefühle sind älter als unsere Bewertungen. 157680 Stunden vergehen beim Menschen von der Geburt bis zum Erreichen des 18. Lebensjahres. In dieser unfassbaren Zeit lernen wir täglich: Das ist richtig, das ist falsch. Wenn du das machst, hat Mami dich nicht mehr lieb und Papi schimpft mir dir. Und nur in Ausnahmefällen lernen wir: Wie geht es mir, wie geht es dir? Was brauche ich, und was brauchst du?
Das Denken in den Kategorien von Richtig oder Falsch trägt dazu bei, dass wir uns von unseren Gefühlen entfernen. Nach den Maßstäben unserer Eltern, der Gesellschaft, des Chefs oder der Partnerin zu leben heißt auch, von uns selbst und unserem inhärenten Wert entfremdet zu sein. Wir sind von Natur aus richtig, liebenswert, perfekte Wesen, egal was wir auf die Waage bringen, wie oft wir putzen oder zum Sport gehen.

Heute will ich auf die Wie-Worte in meinem Leben achten. Viele beinhalten eine Wertung. Ich bin bereit, sie in Gefühle und Bedürfnisse zu übersetzen und meine eigenen Maßstäbe zu finden.

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