Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Schattenspiele

Hallo, Welt!
Neulich Abend legten wir in einem Vorort von Nancy an. Im Backofen schmorte ein Kürbis-Kartoffelauflauf, der Tisch war gedeckt. Einer der Mitreisenden ging von Bord, um den Hafenmeister zu suchen, denn wir wollten gern per Landanschluß Strom beziehen.
Die Minuten vergingen und sehnsüchtig blickte ich auf den Platz hinüber, auf dem ein paar Autos standen. Dahinter eine Straße und auf der anderen Straßenseite eine Bäckerei und offenbar noch andere Geschäfte. Es juckte mich, einmal draußen herumzuschnuppern, aber nein, das Essen war ja fertig und der Mitreisende würde jeden Augenblick wieder kommen und vielleicht den Hafenmeister oder zumindest eine Info wegen des Stroms mitbringen.
Nach einer halben Stunde mischte sich unter meine Ungeduld Wut und Sorge. Und als der Mitreisende nach 50 Minuten schwer bepackt in der Salontür stand, war mir die Lust auf ein gemeinsames Abendessen und einen gemütlichen Abend komplett vergangen. In mir tobten die Wölfe.
Ganz bewusst lud ich mich ein, meinen eigenen Wölfen zuzuhören. Er sollte nicht so lange weg sein! Er sollte sich anders abmelden, wenn er einkaufen gehen will! Er ist rücksichtslos und egoistisch. Wir sitzen hier und warten mit dem Essen und er macht einfach was er will…
Als erstes merkte ich, dass das Argument mit dem Essen vorgeschoben war. Erstens war ich noch nicht verhungert, zweitens hätten wir an Bord jederzeit beschließen könne, ohne Nummer 4 anzufangen.
Dann räumte ich mir gegenüber ein, dass ich selber so gern einkaufen gegangen wäre. Diesen blöden Joghurt, den Nr. 4 gekauft hatte, wollte ich nicht. Ich wollte anderen, und ich wollte Creme Brulee aus der Kühlung, und köstliche Pasteten und Terrinen aus der Fleischabteilung.
Und dann musste ich erkennen:
Ich hatte ein Bedürfnis Autonomie nicht ausgelebt. Ich hatte es mir verkniffen, draußen rumzustromern. Ich hatte „brav“ gemacht was ich dachte tun zu „müssen“. Und Nr. 4 hatte im Grunde meine Bedürfnisse ausgelebt, das was ich mir nicht zugestanden hatte. Er war zu meinem Schatten geworden, er lebte meine verdrängten Anteile aus. Mein vernebeltes Wolfsdenken hatte daraus gemacht, wenn ich mir schon die Erfüllung meiner Bedürfnisse verkneife, dann sollten andere auch ihre Bedürfnisse nicht ausleben dürfen. Wo kommen wir denn da hin?
Vermutlich in den Himmel… An dem Tag, an dem jeder von uns für seine Bedürfnisse die Verantwortung übernimmt, leben wir im Paradies.

So long!

Ysabelle

4 Reaktionen zu “Schattenspiele”

  1. Britta

    Liebe Ysabelle,
    diese Art von Situationen gehört eindeutig zu meinen Lieblings-Fallen – gern darauf bezogen, dass ICH mich ja um die Kinder kümmern muss, wenn es schon kein anderer tut (sprich: der Vater, der sich seine Autonomie nimmt)… seufz… Aber es wird besser, ich fange an, mir auch Dinge „herauszunehmen“, und die Kinder leben immer noch und sind heile 😉
    Lieben Gruß
    Britta

  2. Ysabelle Wolfe

    Hallo, Britta!
    Ich hab das Foto wieder gefunden, das hier reingehört 😉
    Gruß
    Ysabelle

  3. Olaf

    Hallo Ysabelle
    Dein Beitrag hat mein Leben sehr (!) bereichert. Ein kürzliches Ereignis hat dadurch an „Wolfskraft“ verloren, ich bin sehr dankbar das ich diese Zeilen gelesen habe.
    Lg Olaf

  4. Ysabelle Wolfe

    Hallo, Olaf,

    Du siehst mich immer wieder überrascht, wenn ich von anderen höre, ein Beitrag oder ein Gedanke sei hilfreich gewesen. DANKE, dass Du es mir mitteilst. Giraffensaft schmeckt klasse!

    Gruß

    Ysabelle

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