Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Auskuppeln

„Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind! … Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt.“
Günter Eich (1907-1972), deutscher Lyriker und Hörspielautor zitiert bei www.berlinerliteraturkritik.de “seid unnütz”

Dieser Tage sprach ich mit einer Freundin, die zu einem Vorstellungsgespräch gegangen war. Die potentielle Arbeitgeberin griff am Ende des Gesprächs noch einmal zu dem Bewerbungsfoto und fragte, „Sind das wirklich Sie? In Wirklichkeit sehen Sie viel jünger aus!“
Meine Freundin geriet durch diese Bemerkung in schwere Not. Das Bild war drei Jahre alt, was war jetzt zu tun? Aus verschiedenen Gründen „hörte“ meine Freundin etwas ganz anderes als die Worte ihres Gegenübers, nämlich: Sie sehen überhaupt nicht aus wie auf dem Foto! Sie haben mir etwas vorgegaukelt, Sie sind gar nicht die, als die Sie sich mit Ihrer Bewerbung ausgeben…“

Zusammen haben wir es geschafft, uns genau auf die Beobachtung zu fokussieren. Alles andere war eine automatische Reaktion in ihrem Kopf, ein so genanntes Stimulus-Response-Pattern. Ein Muster, das bei ihr ausgelöst wird, wenn sie in gewisser Weise angeregt wird. Ich kenne solche Muster von mir. Wenn mein früherer Chef bei mir anrief, dachte ich jahrelang, jetzt will er dich rausschmeißen… und ich kramte sofort in meinen Erinnerungen, was ich wohl falsch gemacht haben konnte. Mein Sohn hatte die Angewohnheit, als erstes zu sagen: Ich wars nicht! Häufig reagieren wir in dieser Weise, geradezu automatisiert. Wir haben gelernt, mit bestimmten Stimuli auf bestimmte Weise umzugehen.
Die GfK schenkt uns die Möglichkeit, Stimulus und Reaktion zu entkoppeln. Das ist, als seien wir mit dem Auto unterwegs und würden den Gang rausnehmen. Die Zahnräder werden voneinander getrennt. Und ich kann neu entscheiden, welchen Gang ich einlegen will. Das setzt voraus, dass ich mir bewusst bin, dass gerade ein Muster bei mir angetickt wird. Das Läuten des Telefons macht mir Angst? Der Blick meines Chefs lässt mich innerlich zittern? Die Reaktion meines Partners löst Schmerz und Trauer aus? Auskuppeln! Zurückkehren zu den vier Schritten: Was ist die Beobachtung? Die Personalchefin hat gesagt, auf dem Foto sähe ich älter aus als heute in echt.
Atmen… Und was löst diese Bemerkung bei mir aus? Ich werde mir bewusst, dass diese Auslöser nur für mich stimmen müssen. Jemand anderes freut sich vielleicht, wenn ihm gesagt wird, in Wirklichkeit sähe er jünger aus, oder wenn der Chef ihn oder sie anruft: Vielleicht eine gute Gelegenheit, eine zusammen zu rauchen. Die Angst entsteht in meinem Kopf, weil ich nicht weiß, wie ich den Anruf einordnen soll. Ich kann Auslöser und meine innere Reaktion darauf voneinander getrennt sehen. Und ich finde neue Wege damit umzugehen, weil ich nicht mehr automatisch reagieren muss.

Heute will ich mein Augenmerk darauf richten, wo ich automatisch reagiere. Dann werde ich mich fragen: Was ist die Beobachtung dazu?

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