Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Jammerlappen und arrogante Fatzke

„Nicht jammern, sondern etwas tun.“
Original: „Nit jaumman sondern a wos tuan.“
Österreichisches Sprichwort

Dieser Tage hatte ich Kontakt mit einem Mann, der sehr verzweifelt war. „Meine Freundin hat mich verlassen, ich bin so allein! Jetzt bin ich in verschiedenen Single-Börsen registriert, aber da ist auch nichts los… Ach, wäre bloß das Wochenende vorbei und ich könnte wieder zur Arbeit gehen…“
Zusammen mit einigen Freunden machte ich ihm Vorschläge, wie er seine Situation verändern könnte. Doch das Klagen wurde mehr statt weniger, die einzige Strategie, die er zur Verfügung hatte, war „eine neue Freundin“.

Irgendwann wandte ich mich ab, ich spürte Wut und Verzweiflung und meine Wölfe jaulten einen schaurigen Gesang.

Da erinnerte ich mich an ein Interview mit Harald Reinhardt, das mir vor ein paar Wochen in die Hände gefallen war. Er ist Psychosynthese-Therapeut aus Köln. In dem Interview wies er darauf hin, dass es etwas mit unserem Schatten zu tun hat, wenn wir so intensiv auf andere Menschen reagieren. In seinem Beispiel ging es um einen „arroganten Fatzke“, der uns zur Weißglut treiben kann. Und seine Empfehlung lautete: Fühl dich doch einmal in den anderen ein! Was fühlt er? Ist da vielleicht etwas dabei, was Du dir selbst nicht zugestehst? Zu glänzen vielleicht, oder Raum einzunehmen?

Es war mir ganz leicht, mich in den klagenden Mann einzufühlen. Ich spürte seine Hilflosigkeit, seine Verzweiflung und seinen Schmerz. Und als ich mich mit seiner Strategie verbinden konnte, erlebte ich eine ungeheure Entlastung. Ich muss gar nichts tun, ich kann gar nichts tun… Ohne eine Partnerin wird das sowieso nichts…

Ich war in diesem Moment so erleichtert, keine Verantwortung für die Situation zu haben! Wie einfach das Leben auf einmal war, wie leicht, wenn ich das Opfer misslicher Umstände war… Ich war nicht Schuld, ich konnte nichts tun…

Auf diese Weise habe ich sehr intensiv gespürt, wie anstrengend und schwierig mein Leben manchmal ist, und wieviel ich mir oft abverlange. Ich spürte eine Sehnsucht in mir, mich fallen zu lassen und zu klagen. Ja vielleicht mir selbst gegenüber anzuerkennen, dass manche Tage hart sind, und dass ich manchmal keine Kraft mehr habe. Stattdessen toben in mir die Wölfe, ich solle nicht jammern, mich zusammenreißen, etwas tun, mich nicht hängen lassen. Mit anderen kann ich oft einfühlsam sein, mit mir selbst nur selten.

So kam es dazu, dass ich dem vermeintlichen Jammerlappen sehr dankbar war. Er brachte mich in Verbindung mit meiner zarten Seite, die ich mir im Alltag oft nicht zubillige.


Heute will ich darauf achten, was mich meine Urteile über andere Leute lehren. Was erlauben sie sich, was ich mir nicht zugestehe? ich bin dankbar für die Lektionen, die ich durch sie lernen darf.

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