Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

In der Arena

Hallo, Welt!
Gestern hatte ich ein spannendes Erlebnis. Um halb vier war ich in Hamburg zu einem Meeting verabredet. Im Radio hatte ich gehört, dass die halbe Stadt gesperrt war wegen der Cyclassics, einem großen Radrennen. Mir war das egal, ich fahre ja Zug. Als ich um 14.54 Uhr im Dammtor-Bahnhof in die S-Bahn umstieg, bekam ich eine SMS von der Meetingsleitung: „In der Stadt tont der Bär. Bin mit Motorrad und gebe. Ein bestes“. Ich schrieb zurück: „Dammtor. Werde rechtzeitig da sein“.

So war es auch, 15.25 Uhr traf ich am Meetingsort ein und machte es mir auf den Stufen gemütlich. Weit und breit kein Motorrad. Eine Familie fuhr mit einem VW-Bus vor und wortreich schilderte der Mann der Frau, wie kompliziert die Fahrerei gewesen sei, und was die Polizei alles abgesperrt hätte, und bis zum Garten seien sie gar nicht gekommen…
Ich wartete.
Um 16.13 schrieb ich dann eine SMS: „Du, länger als eine Stunde möchte ich hier nicht warten.“
Keine Antwort.
Um 16.31 schrieb ich dann: „Ich geh jetzt zum Bahnhof und nehm den Zug um XX zurück. Höhere Gewalt, da kann man nichts machen“
Seltsame Eingebung: Ich fasste noch mal an die Außentür – sie war offen. Das kommt schon manchmal vor, denn im gleichen Gebäude sind eine Kneipe und ein Kino. Ich habe dann den Code für die Eingangstür eingegeben und bin wohl versehentlich auf die Klingel gekommen. Im Treppenhaus hörte ich eine Stimme: „Hallo?“ Ich fragte zurück: Wer ist da? Und die Antwort haute mich aus den Socken: Die Meetingsleitung. Sie blickte erstaunt über das Treppengeländer und ich guckte mal mindestens genau so erstaunt zurück.
Und dann überkam mich eine Woge der Wut.
Eine verdammte Stunde hatte ich da draußen gesessen. Wie sollte ich wissen, dass jemand vor mir gekommen war? ZACK! In der nächsten Sekunde wechselten die Schuldigen: Mal war ich es, die zu blöd war, vorher zu überprüfen, ob schon jemand da war. Dann waren es die anderen, die wussten, dass ich komme, sogar pünktlich komme, und nicht einmal nachfragen, hallo, wo bist Du? Wir wollen anfangen …
In aberwitzigem Tempo wechselten die Positionen in meinem Kopf. Die Wut überrollte mich fast. Gerade noch war ich schuld an dieser blöden Situation, dann wieder lag es an den anderen … und der GFK-trainierte Teil konnte dieser Schlacht in der Arena zwischen diesen beiden Wölfen zusehen und es gerade noch fertig kriegen zu sagen, ich geh jetzt. Es ist besser, ich geh jetzt.

Gestern Abend habe ich dann versucht mich zu sortieren und herauszufinden, was eigentlich genau los war. Zum einen fand ich es oberspannend mir selbst zuschauen zu können, wie rasant sich Wolf innen und Wolf außen abwechselten. Hui. So schnell konnte man gar nicht gucken.

Unerfüllte Bedürfnisse: Gesehen werden, Beteiligung, Gemeinschaft, Respekt/Wertschätzung, Sinnhaftigkeit (mit meiner Zeit sinnvoll umgehen).
Das war nicht so schwierig.
Aber da ist noch was anderes.
Ich habe gespürt, dass meine Wut auf die anderen dazu da ist, um meine eigene Scham nicht zu spüren. Scham, etwas falsch gemacht zu haben. Scham, nicht auf die Idee gekommen zu sein, mal zu klingeln, sondern statt dessen wie ein Trottel eine Stunde auf der ungemütlichen Steintreppe im Dreck einer Szenekneipe zu sitzen. Wenn die anderen schuld sind, brauche ich mich nicht zu schämen. Ich teile also lieber aus als zu gucken, was ist mein Anteil an dieser Situation. Oder statt einfach zu lachen und zu sagen, na, da komme ich die letzte halbe Stunde noch dazu …

Wut als Abwehr von Scham. Und die Scham entsteht, wenn ich denke, ich werde bewertet. Das hatten wir doch schon mal. Vorauseilend kann ich mich schon mal ein bisschen schämen, bevor die anderen anfangen, mich zu beschuldigen und zu verurteilen.

An dieser Stelle locke ich die Wölfe mit zwei knackigen Markknochen aus der Arena, suche mir mit ihnen ein schönes Plätzchen zum Kraulen unter einem schattigen Baum und freue mich daran, dass ich in 2015 immer öfter merke, was sich für Dramen in meinem Kopf abspielen. Ich muss die nicht ausagieren. Ich kann einen Kumpel anrufen und mir Einfühlung geben lassen. Danke, Michael, für deine Zeit heute!

So long!

Ysabelle

S’ist Feierabend …

Hallo, Welt!
Diese Woche habe ich ein neues Gefühl entdeckt: Feierabend. Es hielt nur ungefähr zwei Minuten an und war komplett ungewohnt.

Ich kokettiere ja gern damit, dass ich sage, ich wäre arbeitssüchtig. Tatsächlich fällt es mir schwer, so etwas wie Feierabend zuzulassen. Feierabend macht schlechtes Gewissen. In den vergangenen Wochen habe ich super viel gearbeitet (sollte ich sagen, in den vergangenen 30 Jahren?) und an einem Abend war gerade alles Offensichtliche abgearbeitet. Alle Sendungen bei der Post, alle Rechnungen geschrieben, das Lager aufgeräumt, die komplette Wäsche gebügelt. Da gab es einen Moment der Leere, des Innehaltens, und dann war es da, das Feierabend-Gefühl. Und ich wunderte mich und dachte, wo kommst du denn her?
Heute blitzte es für ein paar Sekunden hervor. Grad lang genug, dass ich es wiedererkannt habe. Und mir scheint, als bin ich da einer großen Sache auf der Spur.
Wieso haben manche Leute Feierabend, sitzen dann vorm Fernseher oder stricken aus Vergnügen oder machen einen schönen Spaziergang oder gehen Golf spielen und ich nicht? Wieso ist bei mir immer noch was auf der Agenda? Jetzt in diesem Moment müsste ich eigentlich Katzenfutter kochen, noch mal zwei Maschinen Wäsche anschmeißen, drei neue Produkte im Shop einstellen, den Küchentisch aufräumen, Belege für den Steuerberater raussuchen, den Katzenkotzfleck aus dem Teppich waschen, die Katzenklos machen, ein paar Lebensmittel einkaufen, eine Freundin zurückrufen, die sich heute Morgen gemeldet hat. Insgesamt scheint mir das, was ich zu tun habe, zu viel für eine Person zu sein.
Bei Facebook entdeckte ich heute in einem Posting von David R Browning das Folgende:
A jackalpede-a stampede of judgments
A jackalsaurus-a core judgment/belief

Da scheint in Sachen Feierabend bei mir ein Jackalsaurus durch’s Bild zu laufen. Wie kannst du „Feierabend“ haben wollen, wenn noch so viel zu tun ist? Ich habe überhaupt kein eigenes Konzept dafür, was man am Feierabend macht. Vor 15 Jahren hätte ich mir eine Flasche Wein aufgemacht, eine Zigarette angezündet, zum Telefon gegriffen und mich im Gespräch mit jemand anderem langsam betrunken. Als dann das Internet und die Möglichkeit, per Mail so schnell zu kommunizieren, in meinem Leben Einzug hielten, habe ich lange Mailwechsel gepflegt. 400 Seiten Papier in einem Jahr mit einem Freund … Später dann habe ich ein Forum geleitet, dann noch eins, dann kam der Blog, heute dann der Shop. Immer am drehen. Es ist nie genug, was ich tue. Dann kommt der Tag (oder der Urlaub), an dem ich einfach nur ins Koma falle, tagelang schlafe. Will ich so leben? Was will dieser Jackalsaurus, der mich antreibt, jagt, hetzt, ja quält?

Heute habe ich wieder einmal für einen kleinen Augenblick kapiert, dass ich sehr theoretisch nie wieder einen Tag arbeiten müsste, wenn ich mit all meinen Ressourcen gut haushalte. Es wird zwar eng, aber bis zur Rente halte ich irgendwie durch. Wieso renne ich dann den ganzen Tag so blöde in meinem Schuhkarton hin und her um „irgendwas“ zu erreichen? Was ist denn das „irgendwas“? Wo will ich denn hin?

Ruhe ist anscheinend gefährlich. Dann kommt der Jackalsaurus und … und was? Frisst mich. Ich werde dem mal nachspüren. Was passiert genau, wenn ich den Feierabend-Modus aktivieren möchte? Vorher aber noch Katzenklos, Einkaufen, Katzenfutter kochen, Waschmaschine anschmeißen, drei neue Produkte im Shop einstellen ….

So long!
Ysabelle

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