Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Wir sind was wir denken

Hallo, Welt!
Nachdem ich annähernd 30 Jahre als Bahnfahrende unterwegs war, fahre ich nun seit einem Dreivierteljahr mit dem Auto über Landstraßen zur Arbeit. Je nach dem, wie ich gerade drauf bin, reagiere ich auf andere Verkehrsteilnehmer. Wer von hinten kommt und mich überholt, ist meist ein Spinner. „Ich fahr doch schon (fast) 100, was willst du denn noch?“ Alle Treckerfahrer sollten sowieso eine eigene Spur haben. Morgens, wenn ich selbst pünktlich bei der Arbeit sein will, stören mich Trecker mehr als nachmittags, wenn ich nach Hause dümpel.
Vorige Woche nun war ich bestrebt, besonders früh bei der Arbeit zu sein, denn meine Kollegin hatte Urlaub und ich wollte noch etwas vorbereiten. Vor mir fuhr ein Wagen, dessen Fahrer/Fahrerin sich exakt an die vorgeschriebenen Geschwindigkeitsregeln hielt. Strich 50 in der Ortschaft, 70 auf dem Teilstück bis zur Umgehung, wieder runter auf 50… Ich hing dahinter und hörte mich vehement fluchen. Gehts noch ein bisschen langsamer? Soll ich rauskommen und schieben? Alter, darfst du überhaupt noch/schon fahren?
Das war eine spannende Erfahrung. Ich würde mich selbst als sehr verkehrsregeltreu bezeichnen. In meinen 35 Jahren Führerscheinbesitz bin ich ein einziges Mal geblitzt worden – beim Abbiegen in eine 30-er-Straße in Hamburg, wo ich wegen des nachfolgenden Verkehrs zusehen musste die Kreuzung zu räumen. 15 Euro. Ich glaube, meine erste rote Ampel habe ich 2010 überfahren… Und nun hielt sich jemand an die Regeln und ich brodelte hinter dem Steuer wie ein HB-Männchen/Frauchen.
Als erstes ging mir auf, dass vermutlich tausendfach andere Fahrer hinter mir so gebrodelt haben. Geht’s nicht ein bisschen schneller? Es ist doch alles frei… Das entlockte mir schon mal ein kleines Grinsen. Guck an, jetzt geht es dir mal so wie es den anderen vielleicht hinter dir ergeht…
Im nächsten Schritt konnte ich direkt körperlich wahrnehmen, wie sich abhängig von meinen Gedanken meine Laune/meine Körperspannung veränderte. Dachte ich, der Vorausfahrende wäre ein Idiot und würde etwas falsch machen, erhöhte sich mein Blutdruck, die Kiefermuskeln und der Nacken waren angespannt, die Hände pressten sich ans Lenkrad. Als ich mir bewusst machte, dass das lediglich meine Gedanken waren, die mich so aggressiv werden ließen, spürte ich die Ent-Spannung in allen Knochen. Ich konnte auf einmal wählen. Wut oder Gelassenheit. Das war ein faszinierendes Erlebnis.

Ich habe schon häufiger festgestellt, dass meine Gedanken meine Stimmung beeinflussen. Am drastischsten – ACHTUNG, KÖNNTE UNERWÜNSCHTE ASSOZIATIONEN AUSLÖSEN – erlebe ich das in Bezug auf Erbrochenes. Meinem eigenen Kind konnte ich nicht helfen, wenn ihm schlecht war. Und im Auto war ihm ständig schlecht. Prompt setzte bei mir der Brechreiz ein. Das setzte sich in den vergangenen Jahren fort, wenn die Katzen sich irgendwo übergeben hatten. Auch beim 100. Mal (ich habe schon seit 27 Jahren Katzen) wurde es nicht besser. Und irgendwann habe ich gemerkt, wenn ich das beseitige, denkt es etwas in mir, und das Denken löst meinen Brechreiz aus.
Ich hatte einmal ein Gespräch mit meiner Mutter, die ja ein Tracheostoma hatte, also eine Kanüle im Hals. Sie schleimte ständig und tat das auch geräuschvoll neben mir im Auto auf der Heimfahrt vom Krankenhaus. Ich merkte schon, wie mir übel wurde und ich bat sie, einen etwas dezenteren Weg zu finden. Einen Augenblick war Stille, dann sagte sie: „Tut mir Leid, ich habe es ein bisschen übertrieben. Ich wollte einfach, dass es sichtbar/hörbar wird, was das für eine schreckliche Krankheit ist und wie beschissen es mir geht…“

Ich glaube, das war der Wendepunkt. Ich konnte mich vollkommen mit ihr verbinden. Ich konnte bei ihr sein in ihrem rotzenden Elend. Und das ist mir bis zu ihrem Ende immer häufiger gelungen. Ich konnte auf einmal meinen Brechreiz im Kopf abschalten, indem ich bewusst an etwas anderes dachte. Oder mit dem Brechreiz „redete“. Ganz ruhig. Stell dir vor, es wäre etwas anderes… es ist nur das, was du denkst, was diesen Würgereiz auslöst… denk einfach an was anderes oder an nichts…

Für mich ist das ein großes Geschenk: Zu erkennen, dass meine Gedanken meine Existenz beeinflussen, und dass ich daher meine Gedanken verändern kann, um Frieden zu haben. Wie bei dem Autobeispiel muss ich vielleicht erst fühlen und wolfen, um dafür den Schalter zu finden. Ich muss zu Bewusst-Sein kommen. Solange ich hinter dem Lenkrad dumpf vor mich hin wüte, verankere ich mich in der Welt von Richtig oder Falsch. Beim Erkennen meiner Gefühle und Bedürfnisse zeigt sich auf einmal die Tür aus diesem Knast…

So long!

Ysabelle

Lob, Anerkennung und die Haltung

Hallo, Welt!
Puh, hier muss ich erst mal den Staub vom Dashboard blasen. Monate habe ich nichts geschrieben. Themen hätte es genug gegeben. Aber Zeit und Kraft sind endlich. Jetzt ist der Hausstand meiner Mutter aufgelöst, die Wohnung geräumt. Ab Montag wird sie neue Mieter haben. Und bei mir stehen noch immer Umzugskartons, Lampen, Bücherkisten… Keine Ahnung, wo ich sie lassen soll.

Ein GFK-Freund schrieb mir gestern, und ich habe heute geantwortet. Das Thema finde ich so spannend, dass ich es gern hier teilen möchte. In seiner Nachricht heißt es:

ich denke gerade über „Dankbarkeit und Lob“ nach.
Wenn ich eine Frau sehe, die ein sehr schönes Kleid an hat und ich geneigt bin, dies wertschätzend anzusprechen, dann tue ich das doch nicht aus Dankbarkeit heraus, oder doch? … Liebe Grüße aus XY, M.

Ich musste schmunzeln, denn er hatte mir neulich etwas Nettes sagen wollen und war dabei im Urteilsmodus gelandet. Wir haben darüber gesprochen, offenbar war davon was hängen geblieben. Und ich habe ihm geantwortet:

Moin, Kollege,

Lob ist nicht auf Augenhöhe, und Lob spricht nicht von Dir. Lob beurteilt, was der andere getan hat. Lob trägt nicht unbedingt zur Verbindung bei.

Um bei Deinem Kleiderbeispiel zu bleiben:

Du siehst jemand, der sich in einer Weise kleidet die Dir gefällt, die Dich anspricht, die Deinem Geschmack entspricht. Es erfüllt also Deine Bedürfnisse nach Schönheit, Ästhetik, Eleganz. Das jetzt zu kommunizieren erfüllt vielleicht Deine Bedürfnisse nach Feiern, Beitragen zum Wohlergehen des anderen, Anerkennung oder Wertschätzung. Vermutlich wird dann auch Deine Wortwahl anders ausfallen als bei Lob. Statt so was zu sagen wie „du hast so einen guten Geschmack bei deiner Kleiderwahl“ sagst du jetzt vielleicht, wow, ich finde, das Kleid steht dir toll, die Farben passen zu deinem Typ und der Schnitt betont deine Taille. Ich bin ganz hin und weg…

Noch Ideen dazu?

Mir geht es nicht nur um Lob oder Anerkennung, mir geht es um die Haltung. Ich merke, wie mir Augenhöhe immer wichtiger wird. Zwei Menschen aus meiner Übungsgruppe quälen sich aktuell mit der Frage, „muss ich denn immer GFK machen?“ Nein. „Müssen“ schon mal gar nicht. Das Beispiel, mit dem wir am Donnerstagabend gearbeitet haben, zeigte sehr eindrücklich, worum es wirklich geht. Es geht um Verbindung. In erster Linie zu mir. Wie geht es mir, zum Beispiel wenn ich mich über die Aussage einer anderen Person ärgere und auf einmal sehr kühl reagiere? Merke ich dann noch, wie es mir geht, oder bin ich im klassischen Urteilsmodus Gut ./. schlecht oder richtig ./. falsch? Für die Teilnehmerin, deren Beispiel wir auseinander genommen haben, war es ein Aha-Erlebnis zu erkennen, dass sie auf bestimmte Weise reagiert hat, um sich zu schützen und ihren Raum zu verteidigen. Das war ihr vorher gar nicht bewusst gewesen. Als sie ging, war sie mit sich verbunden. In der Situation, die wir beleuchtet haben, war das nicht der Fall. Ich vermute, dass alle diese moralischen Urteile uns letzten Endes von uns selbst entfernen. Wie seht Ihr das?

So long!

Ysabelle

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