Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Wortschätzchen: Neid

Das Glück gedeiht im eigenen Haus und kann nicht in Nachbars Garten gepflückt werden. Douglas Jerrold

Neulich hörte ich, wie jemandem Anerkennung zuteil wurde und entdeckte dabei Gefühle in mir. Ah… Neid! Gleich lief natürlich das volle Programm ab. Ist Neid ein Wolfsthema?
Ich habe mich mal auf die Suche gemacht. Hier einige Ergebnisse…

Eifersucht setzt ein Subjekt, aber zwei Objekte voraus: das Objekt des Besitzanspruches bzw. der Verlustangst (den Partner) und das Objekt der Eifersucht, die Bedrohung (den „Eindringling“ in die Zweierbeziehung). Objekt der Verlustangst ist immer eine Person (bzw. alles, dem man einen Personenstatus zubilligt, z. B. ein Haustier). Objekt der Eifersucht ist meist ebenfalls eine Person, kann allerdings theoretisch alles sein, durch das jemand seinen Besitzanspruch oder seine besondere Position im Leben eines anderen gefährdet sieht, wie zum Beispiel ein zeitraubendes berufliches Projekt.

Der Unterschied zwischen Eifersucht und Neid ist der, dass ein eifersüchtiger Mensch Angst hat, zu verlieren, was (oder wen) er besitzt und wirklich oder vermeintlich braucht, und ein neidischer Mensch das haben will, was andere besitzen. Beispielsweise sind Kinder eifersüchtig, wenn ihre Mutter ihren Geschwistern Aufmerksamkeit zuteil werden lässt, aber neidisch wegen des Fahrrades ihres Freundes, das sie gerne hätten.

Die gemeinsame Ursache für Eifersucht und Neid ist ein Selbstwert-Defizit. Im Fall von Eifersucht empfindet der Betroffene mangelnde Wertschätzung durch eine konkrete Person, Neid hingegen entzündet sich an den eigenen Wertvorstellungen oder denjenigen, die der Betroffene in eine soziale Gruppe bzw. die Gesellschaft projiziert.

Diesen interessanten Aspekt fand ich bei meinen Recherchen zum Thema Eifersucht (das plagt mich zur Zeit grad mal nicht. 😉

Unter Neid fand ich bei Wikipedia ebenfalls Spannendes:
Unter Neid versteht man das ethisch vorwerfbare, gefühlsmäßige (emotionale) Verübeln der Besserstellung konkreter Anderer. Ähnlich ist der Begriff der Missgunst. Fehlt es am ethischen Vorwurf, spricht man auch von Unbehagen gegenüber Überlegenheit, die man selber gerne hätte und nicht zu erreichen vermag. Will man Neid rechtfertigen, so ist eher von einem Streben nach Gleichheit die Rede. Wie andere Gefühle auch, hat der Neid Vorteile für den, der ihn hegt.

Das Gegenteil des Neides ist die Gunst.
(…)
Studien mit Kapuzineraffen um Frans de Waal an der Emory University zeigten in der Verhaltensbiologie eine Verweigerungshaltung bei benachteiligten Tieren. Die Forscher spielten mit den Affen und belohnten sie mit unterschiedlichen Leckereien. Boten die Forscher etwa einem Tier leckere Trauben und dem anderen lediglich ein Stück Gurke, verweigerte letzteres eine weitere Zusammenarbeit in dem Spiel. [6]

Ein Forscherteam um den Bonner Neuroökonomen Armin Falk verglich in Experimenten unter einem Kernspintomographen die Gehirnaktivität von menschlichen Probanden. Er sieht einen Beleg für seine These, dass Menschen Belohnungen immer im Vergleich sehen. [7]

Die Wirtschaftswissenschaftler Daniel Zizzo und Andrew Oswald von der Universität Warwick wiesen in einem computersimulierten Glücksspiel nach, dass nahezu zwei Drittel aller Teilnehmer Gebrauch von der Option machten, unter Einsatz eines Teils ihrer Gewinns andere finanziell zu schädigen, obwohl sie dabei die Hälfte der ausgeschütteten Gewinnsumme verloren. Als sie ihre Ergebnisse 2001 veröffentlichten, schrieben sie: „Unsere Experimente messen die dunkle Seite der menschlichen Natur.“
(…)
In der Bibel wird Neid an mehreren Stellen verurteilt, zum Beispiel Röm 1,29 EU, 1 Tim 6,4 EU, Tit 3,3 EU, 1 Petr 2,1 EU, Jak 3,14+16 EU, Gal 5,21 EU. Bekannt ist vor allem die biblische Erzählung von Kain und Abel, in der Neid ein Mordmotiv darstellt. Der Neid gehört seit dem späten 6. Jahrhundert zu den sieben Hauptsünden (siehe auch zur Abgrenzung Todsünden) der Römisch-Katholischen Kirche.

Im Hinduismus wird gesellschaftliche Ungleichheit als Folge des individuellen spirituellen Karmas dargestellt und Neid lediglich als das nicht akzeptierte Karma bzw. Schicksal, das der Welt der Kasten entgegensteht. Danach kann nur ein spirituell-esoterischer Aufstieg nach dem Anerkennen des eigenen Karmas erfolgen, der einen in eine höhere Kaste nach einer späteren Wiedergeburt bringt, oder ganz im Jenseits. Als Anti-Neid-Konzept ist der Hinduismus bei den durch das Karma weniger Benachteiligten sehr populär und bestimmt so den Großteil der Welt von 850 Millionen Hindus.

Im Islam wird der Neid im Koran erwähnt. Es gilt, ihn als eine schlechte Eigenschaft zu besiegen und damit bei sich selbst anzufangen. Laut dem Propheten Muhammed kann Neid zu Unheil und sogar zum Tode führen. Es existieren Schutzverse und Bittgebete, die mit Gottes Hilfe vor einem Neider schützen.

Da habe ich doch richtig was dazu gelernt.
Jetzt aber der Blick auf die Gefühle, die ich wahrnahm, als ich von der Anerkennung für den anderen erfuhr:

ungläubig
besorgt
bestürzt
betroffen
bitter
durcheinander
einsam
frustriert
irritiert
lustlos
müde
niedergeschlagen
traurig
verwirrt
widerwillig

Mir fällt auf, dass in meinem konkreten Beispiel keine kraftvollen Gefühle beteiligt waren. Wut kann ja durchaus Schubkraft geben, aber müde, lustlos, niedergeschlagen schiebt mich mal höchstens ins Bett…
Und nun der Blick auf die Bedürfnisse. Als erstes springt mich an:
Sicherheit – weiß der Geier warum. Mein Herz geht da hin.
Wärme (menschliche, nicht Kohleofen…)
Selbstvertrauen
Integrität
Zugehörigkeit – ganz stark. Ich fühle mich nicht zugehörig.
Wertschätzung
Gesehen/gehört werden
Verständnis (wie es zu dieser Auszeichnung gekommen ist)
Verbindung. Das merke ich jetzt erst. Ich hatte keine Verbindung.
Ausgleich – ich arbeite so hart und kriege nichts…

Ja, das ist ja ein spannendes Ergebnis. In mir gibt es einen Teil, der meint, ich würde auch Anerkennung verdienen und bekomme sie nicht… Die Welt ist auf einmal undurchschaubar und ich bin hilflos, ungesehen, nicht geliebt…

Das passt doch perfekt zu einer Stelle, die ich im Spiegel fand:
Über 100 Jahre später bestätigen Forscher um Sybil Hart von der Texas Tech University in Lubbock diese Beobachtung in systematischen Studien. 2004 stellten sie fest, dass Babys schon im Alter von gerade einmal sechs Monaten ein weinerliches Gesicht aufsetzen und versuchen, die Aufmerksamkeit der Mama zu erlangen, wenn diese eine lebensechte Babypuppe hätschelt. Widmete die Mutter ihre Aufmerksamkeit dagegen einem Bilderbuch, ohne das eigene Kind zu beachten, verhielt sich der Nachwuchs weitaus entspannter.

Eins kann ich Euch sagen: Der Blick auf die Gefühle und Bedürfnisse gefällt mir bedeutend besser als das Etikett „neidisch“.

So long!

Ysabelle

Wortschätzchen: Konkurrenz

Hallo, Welt!
Da streifte mich doch dieser Tage das schöne Wort Konkurrenz. Es dauerte eine Weile, bis seine Wucht bei mir ankam. Erst als ich las, „Konkurrenz belebt das Geschäft“ wurde ich so richtig hellhörig.
Ein Tauchgang in die Tiefen meiner Gehirnwindungen ergab: Konkurrenz stammt vom lateinischen Begriff concurrere ab, was übersetzt schlicht mit-laufen bedeutet. Es geht also um Läufer, die gemeinsam unterwegs sind. Vermutlich ja aber nicht auf einem Spaziergang von Rom nach Ostia, sondern eher um Leute, die im Wettbewerb stehen. Wer ist schneller, wer kommt eher an?
Das Sprichwort „Konkurrenz belebt das Geschäft“ löst mir eher Unbehagen aus. Gefühlt bringe ich es irgendwie mit Nazi-Deutschland zusammen, wobei ich noch keine Ahnung habe, ob es dahin irgendwelche Wurzeln oder Verbindungen hat. Es gibt aber auch ein freundliches Bild dazu in meinem Kopf. Angenommen, ein kleiner Ort hat bisher nur einen Kaufmannsladen. Nun eröffnet ein zweiter mit einem erweiterten Sortiment. Dann ist der erste Kaufmann herausgefordert, mehr auf die Wünsche der Kunden einzugehen. Und ich denke bei diesem Beispiel nicht an einen Discounter, der einen lokalen Einzelhändler platt machen will, sondern an den Höker, der jetzt auch mehr Zeitschriften oder Küchenartikel in sein Sortiment aufnimmt. Wenn ich also als Kunde die Wahl habe, gehe ich da hin, wo meine Bedürfnisse besser erfüllt werden. Im Idealfall -aber was ist schon ideal – haben beide Anbieter mehr Umsatz in der Kasse, weil der Kunde wegen der erweiterten Sortimente mehr kauft. So weit die Theorie.
Wenn aber zwei Mitarbeiter auf die gleiche Aufgabe angesetzt werden und man „die bessere Lösung“ nachher realisieren will, dann kann ich mein Unbehagen deutlich spüren. Das ist nicht Konkurrenz im Sinne von „wir spazieren zusammen an ein gemeinsames Ziel“, sondern Circus Maximus, und wir gucken mal, wer von uns den Löwen zum Affen macht und als Sieger nach Hause geht.
Denke ich an dieses Bild für Konkurrenz, also im Berufsleben, im Wettbewerb, das Ringen von Geschwisterkindern um die Liebe der Eltern, fühle ich mich
Alarmiert
Angespannt
Besorgt
Beklommen
Bitter
Durcheinander
Einsam
Erschöpft
Erschreckt
Frustriert
Furchtsam
Hilflos
Schwer
Unter Druck
Unbehaglich
Widerwillig und
zögerlich

Und meine unerfüllten Bedürfnisse sind
Gesehen und gehört werden (anscheinend mein persönlicher Liebling….)
Sicherheit
Vertrauen
Selbstvertrauen
Authentizität
Beteiligung (gegeneinander hat nicht viel Beteiligung, oder?)
Zugehörigkeit (statt Spalten)
Klarheit
Harmonie
und Wertschätzung.

Und JETZT wird es spannend.
Als ich in den Gefühlen bei unerfüllten Bedürfnissen kramte, fiel mir auf, dass Konkurrenz bei mir durchaus auch andere Gefühle auslöst, und zwar lustvolle. Dann fühle ich mich
Angeregt
Aufgedreht
Begeistert
Berauscht
Beschwingt
Energiegeladen
Entschlossen
Fasziniert
Hellwach
Inspiriert
Kraftvoll
Lust habend
Optimistisch
Selbstsicher
Unbekümmert
Zuversichtlich
Zupackend

und meine erfüllten Bedürfnisse sind
Anregung
Autonomie
Selbstvertrauen
Kreativität
Authentizität
Anerkennung
Wertschätzung
Vertrauen
Wachstum
Begeisterung
Spaß
Leichtigkeit
Sinnhaftigkeit

Alle Achtung!
Und wann spüre ich das eine, und wann das andere?
Erster Deutungsversuch: Wenn ich vermute, dass ich den Kürzeren ziehe, der andere gewinnt, habe ich es eher mit unerfüllten Bedürfnissen zu tun.
Wenn ich vermute, dass meine Lösung den Vorzug bekommt, fühle ich mich kraftvoll und inspiriert.
Aber hat das etwas mit Konkurrenz zu tun? Also, habe ich diese wunderbaren Gefühle und Bedürfnisse in einer Konkurrenzsituation, oder wenn ich eine Aufgabe übernehme, von der ich glaube, dass ich sie meistern kann? Hat die Begeisterung etwas damit zu tun, jemand anderes hinter mir zu lassen, auszustechen, oder hat sie damit etwas zu tun, meine eigenen Fähigkeiten zeigen zu können, gesehen zu werden mit dem, was ich mitbringe?

Ihr seht, Konkurrenz lohnt auf jeden Fall einen zweiten Blick.
Wie geht es Euch damit?

So long!

Ysabelle

Wortschätzchen: Unverschämt

Hallo, Welt!
Heute Morgen purzelte mir ein „unverschämt“ aus den Tasten.
Die Beobachtung:
Ein Freund hatte am Wochenende eine Überweisung von seinem Konto vorgenommen. Es war unklar, ob es das tun könne, aber alles funktionierte reibungslos, das Konto war gedeckt.
Nach drei Tagen bekam er eine kostenpflichtige Benachrichtigung, die Überweisung habe aus bestimmten Gründen nicht ausgeführt werden können.
Die Rechnungsstellung zu dem Vorgang entlockte mir das „unverschämt“ und ich bekam eine Mail zurück:
also, unverschämt ist m.E. eine Bewertung und daher nicht GfK-konform.
Sach ma, sowas wie Empathie geht nur bei natürlichen Personen, oder? Also Körperschaften öffentlichen Rechts etc. sind da ausgeschlossen? Doof aber auch…

Das ist zum einen eine gute Gelegenheit, hier morgen etwas über Organisationsempathie einzustellen. Und zum zweiten ein wunderbarer Anlass für ein Wortschätzchen zum Thema unverschämt.
Also: Welche Gefühle waren in mir lebendig, als ich das aus der Tastatur feuerte?
Ärgerlich
empört
frustriert
wütend
ohnmächtig
sauer
unzufrieden
traurig
widerwillig.

Und meine unerfüllten Bedürfnisse in dieser Angelegenheit sind
Klarheit (kann ich jetzt überweisen oder nicht????),
Sicherheit (wenn ich so einen Buchungsvorgang ausführe und es keine Störungsmeldung gibt, möchte ich sicher sein können, dass das Geld auch überwiesen wird),
Autonomie (ich entscheide, an wen das Geld geht),
Vertrauen,
Gesehen/gehört werden,
Leichtigkeit
Respekt.
Das In-Rechnung-stellen einer Überweisung, die nicht ausgeführt wurde, erfüllt nicht mein Bedürfnis nach Ausgleich und Respekt!

Mir steigt noch immer der Rauch aus den Ohren. Obwohl ich jetzt weiß, welche Bedürfnisse im Mangel sind. Vielleicht fehlt noch was?

So long!
Ysabelle

Wortschätzchen: Ertappen

„Lehre deine Zunge sagen: Ich weiß nicht. Denn vielleicht ertappt man dich sonst bei einer Lüge und nagelt dich darauf fest.“
Aus ‚Babylonischer Talmud‘, Berachot 4

Ertappen, erwischen, auffliegen – wunderbare Worte aus einer Welt von Richtig oder Falsch. Mein erster Gedanke, als ich mich mit „ertappen“ zu beschäftigen begann, war an jemanden, der etwas klaut. Das ist natürlich falsch. Klauen ist falsch. Klauen ist böse. Ehebruch (ebenfalls ein Wortschätzchen wert…) geht ebenfalls gut mit ertappen. Und Steuerhinterziehung. Man ertappt also jemanden oder man wird ertappt bei etwas, was nicht sein darf. Ich habe einen oder eine Gute, und einen oder mehrere Böse. Ich kann mich auch selbst bei etwas ertappen, was ich mir eigentlich nicht zugestehe, zum Beispiel beim Tagträumen oder indem ich etwas mache, was ich eigentlich nicht mehr machen wollte. Ein 83. Spiel Klondike, obwohl ich eigentlich den Papierkram erledigen wollte.
Wenn ich ertappt werde, und vorausgesetzt, ich denke mich ins Unrecht, welche Gefühle sind dann bei mir lebendig?
Ängstlich
alarmiert
angespannt
beklommen
einsam
furchtsam (wegen der Folgen)
in Panik (kommt drauf an, wobei ich mich ertappen lasse…)
gelähmt
miserabel
schwer
sorgenvoll
unglücklich
unter Druck
unruhig
verzweifelt
wütend (gern über meine eigene Dummheit)

Und meine Bedürfnisse im Mangel sind wahrscheinlich
Schutz
Sicherheit
Selbstvertrauen
Zugehörigkeit
Verständnis
Leichtigkeit.

Mal ehrlich, es fällt mir schwer, aus diesem Schuld-Karussell auszusteigen und nachzuspüren, welche Gefühle und Bedürfnisse beim „Ertappten“ lebendig sind.

Mal angenommen, ich wäre derjenige, der dazu kommt, wenn gerade ein Fremder in meiner Handtashce wühlt und schon das Portemonnaie in der Hand hält – dann wären meine Gefühle
Alarmiert
erschrocken
bestürzt
empört
enttäuscht
sauer
streitlustig
zornig

Und meine Bedürfnisse im Mangel kann ich ganz klar benennen:
Vertrauen
Ehrlichkeit
Sicherheit
Schutz
Verbindung
Klarheit
Gesehen/gehört werden
Leichtigkeit

Ich merke, ich kann darauf gucken, aber es macht mich noch nicht glücklich. Da gibt es noch einen Beigeschmack, dem ich hier noch nicht beikomme. Ich glaube, darauf muss ich noch ein bisschen rumkauen. Ich könnte Unterstützung gebrauchen. Hat einer von Euch eine Idee, warum das nicht rundläuft, warum es keine „Erleichterung“ gibt?

So long

Ysabelle

Wortschätzchen: Wehleidig

Männer [sind] zwar sprachlich oft Kraftmeier, aber in ihrem Inneren sensibel und vor allem wehleidig; sie möchten, dass jeder merkt, wenn es ihnen schlecht geht.
Aus Wiktionary, dem freien Wörterbuch

Was für ein Wort! Wer hat es doch gleich gestern benutzt? Ich fand es so phänomenal, dass ich es gleich aufgeschrieben habe, um nicht zu vergessen, daraus ein Wortschätzchen zu machen. Ich glaube, es war mein Auszubildender, der sich darüber äußerte, er sei wie so viele Männer wehleidig. Das riecht für mich nach Glaubenssatz und lohnt auf jeden Fall einen näheren Blick.

Wehleidig – damit ist eine Bewertung verbunden. Jemand erleidet einen Schmerz, eine Verletzung und zeigt mehr Leiden, als jemand anderes für angemessen hält. Vor meinem geistigen Auge erscheinen Witzfiguren von Männern, die angeblich „nur“ eine Erkältung haben, aber sich verhalten als sei es mindestens eine doppelte Lungenentzündung. Die nach einem Schnitt in den Finger ohnmächtig werden, weil sie kein Blut sehen können und denen im Kreisssaal schlecht wird.
Wehleidig – das sagen Menschen abfällig über andere um zum Ausdruck zu bringen, dass jene nicht so hart, belastbar, tough sind wie sie sein sollten. Welche Gefühle sind denn bei Menschen lebendig, die andere als wehleidig bezeichnen?
ärgerlich
vielleicht ängstlich. Mit ist unbehaglich, wenn du nicht so stark bist wir ich dich gern hätte
alarmiert
bestürzt
enttäuscht
ernüchtert
genervt
perplex
sauer
unbehaglich
verstört
und vielleicht noch manches andere.
Welche Bedürfnisse mögen im Mangel sein? Vielleicht
Schutz
Sicherheit
Ordnung
Selbstständigkeit
Kongruenz
Wertschätzung
Unterstützung
Geborgenheit
Leichtigkeit
und Klarheit?

Doch damit nicht genug! Welche Gefühle mögen denn in demjenigen lebendig sein, den der andere für wehleidig hält? Ich tippe auf
apathisch
ausgelaugt
einsam
durcheinander
elend/miserabel
erschöpft
genervt (von seinem ungewohnten Schwächezustand)
müde
schlapp
teilnahmslos
bitter
verstört
verzweifelt

Und die Bedürfnisse im Mangel könnten sein
Schutz
Gesehen/gehört werden
Selbstvertrauen
Wertschätzung – mit dir ist alles in Ordnung, auch wenn du krank bist
Unterstützung
Nähe
Verständnis
Und vielleicht so etwas wie Ritual oder Spiritualität.
Wenn ich mir ins Bewusstsein rufe, wie es dem anderen geht, kann ich ihn nicht mehr als wehleidig bezeichnen. Aber ich kann feststellen, dass ICH ganz offensichtlich etwas brauche, wenn ich so über den anderen – oder mich selbst – urteile.

Was meint Ihr dazu?
Ysabelle

Wortschätzchen: Niederlage

„Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.“
Sunzi, Die Kunst des Krieges

Im Traum der letzten Nacht tauchte der Begriff Niederlage auf. Ich weiß nicht mehr den Zusammenhang, aber ich erinnere mich an die Gefühle. Daher ging heute mein Gang zu Wikipedia, die darüber nur wenig zu vermelden hatte:
Niederlage bezeichnet:

* das Gegenteil von einem Sieg
* die zum Deponieren (Lagern) bestimmte Zweigstelle eines Unternehmens (v. a. bei Brauereien)
* ein Zwischenlager (z. B. Kohleniederlage)

Ich beziehe mich auf „das Gegenteil von einem Sieg“. Spannend, dass auch Sieg ein Wortschätzchen sein könnte, ist mir vorher gar nicht aufgegangen.

Eben habe ich zum Großen Wahrig Wörterbuch gegriffen und fand: Niederlage – unterliegen, Besiegtwerden (im Kampf, in einem Streitgespräch),Fehlschlag; Lager, Aufbewahrungsort für Waren, Stapelplatz, Zweiggeschäft… Eine Niederlage erleben, erleiden, einstecken, hinnehmen müssen.

Ich glaube, dass Niederlage in die Dose mit den Interpretationsgefühlen gehört. Die dazu gehörigen Gefühle könnten sein:
angstvoll
apathisch
ausgelaugt
beklommen
bitter
deprimiert
dumpf
durcheinander
elend
erschöpft
erstarrt
gelähmt
leblos
mutlos
traurig
ohnmächtig
schwer
sorgenvoll
unglücklich
verstört
verzweifelt
widerwillig

Wahrscheinlich das eine mehr, das andere weniger. Und wenn man noch wehrhaft ist, kommen wahrscheinlich noch ein paar aktivere Gefühle dazu.
Welche Bedürfnisse sind denn nun lebendig, wenn ich von einer Niederlage spreche? Mal angenommen, wir reden von einem Gerichtsverfahren oder von einer unklaren Situation im Berufsleben:
Vielleicht sind es die Bedürfnisse nach
Ordnung
Selbstständigkeit
Autonomie
Integrität
vielleicht ist auch Ehrlichkeit im Mangel
Beteiligung, falls ich genau das wollte und es nicht bekam
Anerkennung
Vertrauen
Gesehen/Gehört werden
Verstehen
Friede
Harmonie
Eine Niederlage gehört für mich seit vergangener Nacht in die Welt von Richtig oder Falsch. Einer gewinnt, einer unterliegt, einer bekommt Recht, dann hat der andere natürlich Unrecht… Ich habe keine Lust mehr, so auf die Welt zu schauen. ich entscheide mich bewusst für den Blick auf meine Gefühle und Bedürfnisse. Und auf die meines Gegenübers. Was brauche ich? Und was brauchst Du?

Mögt Ihr Eure Gedanken dazu teilen?

Ysabelle

Wortschätzchen: Toleranz

„Die Toleranz ist eine Übung und ein Sieg über sich selbst.“
Albert Memmi, Exercice du bonheur

Das Wort Toleranz hat lateinische Wurzeln und wird von tolerare, erdulden, abgeleitet. In der Bedeutung von duldsam oder nachsichtig ist es seit dem 18. Jahrhundert belegt. Aber schon im 16. Jahrhundert wurde es in Bezug auf die Religionsausübung angewandt. Obwohl ein Herrscher sich einer bestimmten Glaubensrichtung zugehörig fühlt, erlaubt er als Katholik etwa die Ausübung der jüdischen Religion in seinem Reich.
Interessanterweise diente die Ausübung von Toleranz auch zur Abschottung von Gruppen. Indem man sich tolerant zeigte, brauchte man sich über Integration keine Gedanken zu machen. „Wir lassen die anderen ja wie sie sind, das ist doch eine großzügige Haltung von uns.“
Zwar bietet damit eine ausgeübte Toleranz der Minderheit die Gewissheit, so sein zu dürfen und nach den Werten zu leben, die ihr richtig erscheint. Eine Eintrittskarte in bestehende Herrschaftssysteme bekommt sie aber nicht.
Ich bin gerade ganz erschrocken festzustellen, dass Toleranz geradezu ein Mittel zur Ausgrenzung sein kann. Über diesen Aspekt hatte ich bisher noch nie nachgedacht. Mir fallen dabei meine türkischen Nachbarn ein. Sie feiern ihre Feste und sprechen ihre Sprache. Letztlich habe ich keine Ahnung, was sie bewegt, und da ich sie auch nicht zu mir einlade oder nachfrage, was es mit bestimmten Dingen auf sich hat, kommt es nicht zu einer Verbindung.
Im Klartext kann das bedeuten: Toleranz und Gewaltfreie Kommunikation können sich ausschließen, wenn es nicht in einem tieferen Sinne um Verbindung geht.
Welche Gefühle mögen nun in jemandem lebendig sein, der sagt: „Da ist meine Toleranz am Ende“? Ich tippe auf
aufgeregt
ärgerlich
bitter
einsam
empört
entrüstet
ernüchtert
erschreckt
genervt
vielleicht sogar hasserfüllt
hilflos
in Panik
kalt
perplex
sauer
streitlustig
unbehaglich
unzufrieden
widerwillig
zornig

Ich vermute, es kommt ein wenig auf die Situation an. Wenn ich sehe, wie jemand sein Kind am Arm hinter sich her zieht, ist meine Toleranz in Sachen Kindererziehung am Ende, ich bin aber deshalb nicht hasserfüllt oder in Panik. Wäre ich Augenzeuge einer Steinigung, wie sie ja wohl im Irak kurz bevorsteht, wäre ich mit Sicherheit in Panik, aber ich wäre nicht kalt oder unzufrieden. Vielleicht habe ich auch das eine oder andere nicht gefunden, was einer von Euch in so einer Situation empfindet.

Was für Bedürfnisse sind im Mangel, wenn jemand sagt, „da hat meine Toleranz ein Ende“?
Verbindung
Autonomie
vielleicht Respekt vor der eigenen Weltanschauung o.ä.
Sicherheit
Schutz
Ordnung
Vielleicht Anregung
Sinnhaftigkeit
Integrität
Zugehörigkeit
Ausgleich
Gesehen/gehört werden.

Hier wird der Boden ganz schwankend. Ich würde da doch lieber auf eine einzelne Situation schauen, statt allgemeine Bedürfnisse zu vermuten.

Der Kollege, mit dem ich heute gearbeitet habe, erzählte, in Köln gebe es das Sprichwort, Toleranz kommt von Tellerrand, da muss man nicht drübergucken. Und Karl Popper schrieb die Worte: „Im Namen der Toleranz sollten wir uns das Recht vorbehalten, die Intoleranz nicht zu tolerieren.“ Was für ein spannender Gedanke!

Wortschätzchen: zickig

„Mädchen sind häufig zickig. Alle Mädchen werden mit dem Zicken-Gen geboren, alle! Das ist für mich unfassbar, wie unterschiedlich die Geschlechter sind – ich nenne es nur noch das Z-Gen.“

Sky du Mont, Schauspieler und Autor, auf Bild online, 13. Juli 2008

Ich sprach gestern mit einer Freundin über innere Kinder, und sie bezeichnete eines der ihren als zickig.
Ich bin im Moment ziemlich empfindlich, was Worte angeht, und so haben wir gemeinsam überlegt, wie sich ihr inneres Kind verhält und was ihm wohl in der Pubertät (aus dieser Zeit stammt das Introjekt vermutlich) die Bewertung „zickig“ eingetragen hat.

Wir fanden dabei solche Beschreibungen wie
wehrhaft
energiegeladen
engagiert
wach
kraftvoll
klar
lebendig

Und vor unseren Augen entstand das Bild eines Mädchens, das Konventionen sprengte.
Wir versuchten auch herauszufinden, welche Bedürfnisse sich dieses Mädchen mit seinem Verhalten erfüllte. Wir fanden
Schutz
Autonomie
Authentizität
Ehrlichkeit
Gesehen und gehört werden
Klarheit
Spaß
Leichtigkeit.

Ich finde es spannend, jetzt mal bei den Leuten zu gucken, die andere als Zicken bezeichnen, wie etwa Sky du Mont, von dem das obige Zitat stammt. Welche Bedürfnisse mögen bei ihm unerfüllt sein?
Respekt
Ordnung
Sicherheit
Schutz
Wertschätzung
Anerkennung
Vertrauen
Verbindung
Verständnis
und Harmonie

möchte ich aufzählen. Sie springen mich gerade an.
Es ist also nichts falsch mit Zicken. Sie erfüllen sich wunderbare Bedürfnisse. Und es ist nichts falsch mit Menschen, die andere Zicke nennen: Sie haben einfach nur unerfüllte Bedürfnisse. So leicht kann das Leben sein…

Wie geht es Euch mit dieser Ansicht? Will etwa irgendjemand rumzicken?

Y.

Wortschätzchen: Todesurteil

„Die Woche fängt gut an.“
Mathias Kneißl (*1875, +1902), bayrischer Wilderer und Räuber;
Letzte Worte, 10. Februar 1902, nach der Verkündung des Todesurteils

Nein, ich will mich nicht über einen Mann lustig machen, der hingerichtet wurde. Mir geht es um unsere Sprache, um unseren Umgang mit uns selbst und mit anderen.

Neulich hörte ich eine Kollegin sagen, „als ich den Arztbrief las, wusste ich, das ist ihr Todesurteil!“
Mir wurde mulmig, als ich ihre Worte hörte, und seither kamen sie mir immer wieder in den Sinn. Es ging um einen Menschen, bei dem eine schwere Krebserkrankung festgestellt wurde. Und heute wurde mir klar, was mich an dem Wort so störte: Die eigentliche Bedeutung war ja vermutlich: Wir Ärzte sind machtlos und können nichts mehr für den Patienten tun.
Doch für mich ist das eine ganz andere Aussage als mit dem Wort Todesurteil beschrieben wird. Richter verurteilen Menschen zur Todesstrafe. Es gibt auch Menschen, die ohne Richterspruch der Ansicht sind, jemand anderes hätte sein Recht auf Leben verwirkt. Dieser Tage hat ein Mann seine Ehefrau und deren 23-Jährige Geliebte erschossen und anschließend versucht, sich selbst das Leben zu nehmen. Offenbar fand er keine andere Möglichkeit, seinem Schmerz und seiner Verzweiflung Ausdruck zu verleihen. Doch Ärzte fällen zumindest hierzulande kein Todesurteil. Ärzte gestehen ihre Machtlosigkeit gegen den Lauf des Lebens ein. Wir werden geboren um zu sterben. Eine schwere Krankheit, ein Unfall, ein Tumor – sie können für uns Angehörige wie eine Strafe wirken. Und doch ist es nur der Lauf des Lebens.

Was mag meine Kollegin für Gefühle gehabt haben, als sie den Arztbericht las?
War sie

erschrocken
entsetzt
alarmiert
angespannt
beklommen
bestürzt
erschüttert
hilflos
angstvoll
traurig
scheu
sorgenvoll
im Schmerz
ohnmächtig
schockiert
und vielleicht zornig?

Und was könnten ihre unerfüllten Bedürfnisse gewesen sein?
Sehnte sie sich vielleicht nach
Sicherheit
Vertrauen
Geborgenheit
Schutz
Friede
Harmonie
Leichtigkeit
und Spiritualität?
Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit und ich kann sie fragen.
ich glaube nicht, dass Ärzte ein Todesurteil fällen oder aussprechen.
Ich glaube, dass unser aller Leben in der Hand einer Höheren Macht liegt. Und wir haben die Chance, aus jedem einzelnen Tag das Beste zu machen. Ob uns nun noch 10000 Tage oder nur 10 Tage vergönnt sind. Wer weiß das schon.

Heute bin ich nachdenklich. Wie geht es Euch da draußen? Seid Ihr gesund? Ist Euer Leben voller Glück, Wärme, Verbindung? Ich schicke gute Wünsche zu Euch, wo immer Ihr sein mögt.

So long!

Ysabelle

Wortschätzchen: Fähig

Ich brauche mich jetzt nicht mehr als intolerant zu sehen, sondern einfach nur in der damaligen Situation nicht fähig, meinen Bedürfnissen (…) so Ausdruck zu verleihen, dass sie gehört und verstanden werden.
Gabriel in einem Kommentar zu einem Wortschätzchen

Klingt doch ganz harmlos, oder? Nicht fähig… Klingt auch nicht so schlimm wie unfähig. Trotzdem haute ich mir an der Begrifflichkeit gleich ein Auge blutig und ich habe Gabriel gefragt, ob ich ihn für das nächste Wortschätzchen zitieren darf.

In einem meiner GfK-Bücher fand ich vor Jahren einen Hinweis, man möge einen Koch nicht mehr einen Koch nennen, weil das ein Label, ein Etikett sei. Als ich das damals las, dachte ich, Himmel, man kann’s auch übertreiben. In dem Textabschnitt wurde vorgeschlagen, man möge sagen, jemand sei beruflich mit der Zubereitung von Speisen beschäftigt, oder man möge die Tätigkeiten aufzählen, die der „Koch“ vornehme. Und ich dachte, ne, das geht mir echt zu weit.

Doch neulich habe ich miterlebt, wie ein Mensch zum Gewalttäter erklärt wurde. Menschen, die sich so und so verhalten, sind Gewalttäter. Zack! Da klebte ein Etikett an der Person. Es war geeignet, den anderen zu diffamieren.
Das gilt auch für Vergewaltiger, Polizistenmörder, Steuerhinterzieher, Schlaumeier, Drückeberger, Karrieristen, Faulpelze, Kanaken, Rechte, Linke, Schwule, Behinderte, grüne und schwarze Witwen, Mercedesfahrer und Arschkriecher.

Nun scheinen diese Beispiele noch einigermaßen einleuchtend und nachvollziehbar. Doch was ist „falsch“ mit fähig?

Gehen wir zum Ausgangspunkt zurück:
Gabriel schätzte sein eigenes Verhalten ein. „Ich war nicht fähig, meinen Bedürfnissen … Ausdruck zu verleihen.“ Im günstigsten Fall ist dieser Satz ein Ausdruck von Trauern und Bedauern.
Seine Gefühle wären dann vielleicht:
bedrückt
bitter
deprimiert
einsam
elend
enttäuscht
frustriert
hilflos
leblos
perplex (ob der neuen Erkenntnis)
traurig
unbehaglich
unzufrieden

je nach Tagesform vielleicht vom einen mehr und vom anderen gar nichts.
Wenn aber jemand, der denkt, er sei zu etwas nicht fähig gewesen, das durch die urteilende Brille betrachtet, kommen wahrscheinlich noch ein paar mehr Gefühle ins Spiel oder einige der bereits aufgezählten würden ihre giftige Note entfalten, weil sie durch den Fleischwolf gehen (= im Kopf wird das Gefühl interpretiert und ein paar Urteile kommen dabei raus). Und dann sind wir in Nullkommanix bei beschämt, niedergemacht, schuldig, unwichtig, unwürdig und wertlos. Wenn ich dazu nicht fähig bin, bin ich… FREIE AUSWAHL…

Als Gabriel also schrieb, er sei nicht fähig gewesen, waren vermutlich folgende Bedürfnisse bei ihm im Mangel:

Sicherheit
Selbstvertrauen
Integrität
Kongruenz
Authentizität
vielleicht auch Beteiligung
Gesehen und gehört werden
Vertrauen
Wertschätzung
und Harmonie.

So oder ähnlich könnte es gewesen sein.
Und fähig als Pendant zu „unfähig“ ist ab sofort auf der Roten Liste der Worte, die ich nur zu sehr bestimmten Anlässen heraushole. Aber möglichst nicht um mich oder andere zu beurteilen.

Mögt Ihr die Gedanken ergänzen?

Ysabelle

Wortschätzchen: Intolerant

„Im Namen der Toleranz sollten wir uns das Recht vorbehalten, die Intoleranz nicht zu tolerieren.“
Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde

Heute erzählte ich einer Bekannten von einem GfK-Workshop, in dem auch mehrere Kinder durch den Raum wuselten. „Hätten die Eltern die Kinder nicht anderweitig betreuen lassen können?“, fragte sie. „Was Kinder und Lernen angeht, bin ich echt intolerant.“

Im Gespräch stellte sich dann heraus, dass sie zwei Jahre als Au-Pair-Mädchen bei dreijährigen Zwillingsjungs in Arizona gejobbt hatte. „Ohne Kindergarten, weil weg von allem, was einen unterstützen könnte…“ Meinem Einwand, „intolerant“ sei eine Bewertung, und zwar keine besonders freundliche, stimmte sie schließlich zu. Jetzt will ich doch einmal nachspüren, was sie wohl für Gefühle gemeint haben mag, als sie sagte, sie sei da intolerant.

Vermutlich fühlte sie sich bei dem Gedanken an Kinder in einem Seminar
unbehaglich
irritiert
angespannt
besorgt
entrüstet
erschöpft
frustriert
genervt
kribbelig
lustlos
sauer
streitlustig
unbehaglich
ungeduldig
und verspannt.

Und in meiner Fantasie sind in so einem Fall bei ihr die Bedürfnisse nach
Lernen/Wachstum
Leichtigkeit
Verstehen (ganz praktisch, von „Hören“)
vielleicht auch von Schutz und Beteiligung im Mangel.
Ich möchte gefragt werden, ob ich lernen kann, wenn Kinder im Raum sind.
Vielleicht sehnte sie sich auch nach Unterstützung, weil die Anwesenheit der Kinder sie an die Zeit erinnerte, in der sie selbst so gern Unterstützung erlebt oder erfahren hätte. Also fühlte sie sich vielleicht auch einsam. Ich werde sie fragen, wenn ich sie das nächste Mal sehe.

Bei mir selber merke ich, dass meine „Intoleranz“ nachlässt. Ich kann andere Menschen in ihrer Andersartigkeit besser sehen und wertschätzen. Das heißt aber nicht, dass ich alles toleriere, was andere Leute tun… Wie ist es bei Euch? Mögt Ihr diese Überlegungen ergänzen?

Wortschätzchen: un-

Neulich erzählte ein Freund am Telefon, er habe bei einem Umzug geholfen. „Da war ich einen Moment unaufmerksam und habe mir den Kopf an der Heckklappe des Autos blutig gestoßen.“ Ich hörte mich sagen: Können wir „unaufmerksam“ übersetzen?“ Er stockte kurz und sagte dann, „in Gedanken“.
Die kleine Vorsilbe un- hat mich seitdem beschäftigt. Unsicher, ungerecht, unklar, Ungar *lach*, unwahr, ungeschickt, unüblich, unsauber… Diese Liste ließe sich sicher sehr lang fortschreiben. Und in den Beispielen, die ich gerade im Kopf habe, ist es so, dass es immer eine „richtige“ Art gibt, etwas zu tun oder zu denken, und eine falsche. Die Konnotation bei der Vorsilbe un- liegt also häufig darauf, dass etwas FALSCH ist, und zwar im Zweifelsfall mit mir oder mit meinem Gegenüber.
Diese Erkenntnis entlockt mir einen tiefen Seufzer. Je länger ich mich mit diesen Wortschätzchen beschäftige, desto stärker fällt mir auf, dass unsere Alltagssprache wirklich unglaublich tief das Denken über Richtig und Falsch widerspiegelt. „Unaufmerksam“ ist also keine Beobachtung, bei „abgelenkt“ schwingt ebenfalls gern mit, dass die Aufmerksamkeit eigentlich auf etwas anderes gerichtet sein „sollte“. An manchen Tagen erscheint es mir wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel, die Gewalt aus meiner Sprache herauszufiltern.
Wie geht es Euch damit im Alltag?

Wortschätzchen: Kontrollieren

„Bei der Schleierfahndung machen wir gerade keine willkürlichen Kontrollen. Ich sage es einmal salopp: Wir kontrollieren diejenigen, die danach ausschauen, als ob sie einer Kontrolle dringend bedürften.“

CSU-Politiker Günther Bechstein im Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 15/62 v. 07.03.2006, S. 4662

„Ich fühle mich kontrolliert“, schnappte ich heute auf. Juchu! Zu meinem Glück sagte es jemand, der mit dee GfK ganz gut vertraut ist, und so konnte er auch meine Frage „welche Gefühle hast du, wenn du dich kontrolliert fühlst?“ gut hören. Wir haben kurz darüber nachgedacht und sind aber zunächst nur auf „irritiert“ gekommen.
Aus dem Zusammenhang wurde aber klar, dass mein Gegenüber Druck verspürte und ich machte mir im Geiste einen Knoten ins Ohr: Achtung, Wortschätzchen!

Was ist bei mir los, wenn ich mich kontrolliert fühle? Ich vermute, dass dann die Bewertungsmaschine im Kopf eine Einschätzung abliefert, die ganz viel mit RICHTIG oder FALSCH zu tun haben könnte. Beliebte Fragen, die das Interpretationsgefühl „kontrolliert“ auslösen können, sind zum Beispiel „wo warst du?“ oder „warum hast du das (nicht) gemacht/erledigt?“ Unsere Bewertungsmaschine interpretiert diese Fragen nicht etwa sachlich, sondern hört: du solltest etwas so und so machen, und du musst schon gute Gründe haben, wenn du es anders machst, sonst gibt es Ärger!
Es könnte also gut sein, dass die Person, die denkt, sie werde kontroliert, dabei folgende Gefühle hegt:
ärgerlich
alarmiert
einsam
entrüstet
genervt
irritiert
sauer
streitlustig
unbehaglich
widerwillig

Bei der Suche nach passenden Gefühlen kam mir noch ein spannender Gedanke. Manchmal ist es so, dass es in uns selbst einen Anteil gibt, der sagt, „du müsstest und du solltest…“. Wenn dann jemand anderes eine Frage stellt a la „warum hast du dich da so entschieden und nicht anders?“, aktiviert das den Persönlichkeitsanteil, der eben auch genau dieser Ansicht war. Und die anderen Persönlichkeitsanteile wehren sich dagegen. Das klingt sehr theoretisch, fürchte ich. Ich versuche es an dem Beispiel „kontrolliert“ einmal aufzuzeigen.
Ausgangslage ist: XY hatte einen Plan und hat ihn im Verlaufe des Tages geändert. Darum fuhr die Person nicht wie ursprünglich besprochen nach Dingsbums. In XY gab es eine innere Stimme, die sagte, „du hättest da hinfahren sollen. Es wäre besser,wenn du vor Ort bist!“ Nun fragt also jemand von außen, „du wolltest doch da hin fahren, warum hast du das nicht gemacht?“ Und zack! Da meldet sich irgendwo im Inneren das schlechte Gewissen, „du hättest doch und du solltest…“ und das muss nun abgewehrt und zum Svhweigen gebracht werden, indem ich meinem Gegenüber Dinge sage, die wölfisch vielleicht lauten: ich fühle mich kontrolliert, oder kümmere dich um deine Angelegenheiten, oder das geht dich nichts an. Wie an der Tischtennisplatte schmettern wir den Ball zurück in das Feld des „Gegners“.

[ich bitte um Rückmeldungen, ob dieses Beispiel verständlich ist.]

Welche Bedürfnisse sind gerade bei uns unerfüllt, wenn wir denken, wir würden kontrolliert? Sofort springt mich das Bedürfnis nach Autonomie an. ich möchte selbe entscheiden können, wann ich was mache, und was für mich richtig ist.
Bestimmt hat es auch etwas mit Vertrauen zu tun. Ich möchte darauf vertrauen, das meine Entscheidungen für mich richtig und stimmig sind, und ich möchte auch, dass mein Gegenüber darauf vertraut.
Vielleicht ist auch mein Selbstvertrauen im Mangel. Mir fehlt die innere Zuversicht, die „richtige“ Entschjeidung getroffen zu haben.
Unte Umständen sind auch Verständnis und Harmonie im Mangel, wenn ich denke, dass meine Entscheidungen in Zweifel gezogen werde. Mit großer Wahrscheinlichkeit fehlt mir auch Leichtigkeit. Mögt Ihr diese Überlegungen ergänzen?

Wortschätzchen: Provoziert

„Der Duft, der Frauen provoziert.“ –

Werbespruch, Axe

Diesem Wort nähere ich mich nur ganz vorsichtig. Es weckt in mir allerlei Assoziationen, und die sind keineswegs sexy, wie der Werbespruch für Axe vielleicht noch vermuten lässt.

Als ich ein Kind war, war „provozieren“ gleichzusetzen mit Prügel. Du hast mich provoziert, hieß es. In meiner Familie konnte man das noch steigern: du hast ja um Schläge gebettelt.
Allein bei der Erinnerung daran überfällt mich tiefe Verzweiflung. Gibt es unter Euch jemanden, der glaubt, ein Kind MÖCHTE geschlagen werden?
Am Samstag habe ich bei der Arbeit mit einem fünfjährigen Jungen zu tun gehabt. Ich war gerade dabei, das Essen für zehn Personen zuzubereiten und hatte schon die Nudeln im Topf, also Endspurt. Der Tisch war gedeckt und die Süßigkeiten weggeräumt. Doch der Kleine fand die Schale mit den Naschies und griff zu. Ich sagte, guck mal, das Essen ist gleich fertig, und deshalb möchte ich nicht, dass Du jetzt noch naschst. Dann hast Du ja gleich keinen Hunger! Er langte wieder in die Schale und sagte, ich will sowieso nicht Mittag essen.

Es verschlug mir echt die Sprache. Ich fühlte mich hilflos und frustriert, ich war ärgerlich und fassungslos. In mir stiegen Erinnerungen auf, wie ich diese Art von Diskussion mit meinem Sohn geführt habe, als er klein war, und ich war voller Scham, dass mir in diesem Moment mein GfK-Werkzeug nicht zur Verfügung stand. Und ich hatte tiefste Hochachtung für Eltern, die sich in einer solchen Situation mit dem Bedürfnis des Kindes verbinden können. Als ich Kind war, gab es für eine solche Antwort gleich eine Ohrfeige oder einen Katzenkopf: das hast du provoziert.

Wenn ich glaube, ich sei provoziert worden, liegt die Verantwortung für mein Handeln nicht mehr bei mir. Du bist Schuld. Du hast etwas gemacht, das mich meines freien Willens beraubte, dass ich nur noch eine einzige Möglichkeit gesehen habe, mich abzugrenzen, meine Interessen zu wahren. Damit bist Du dann auch dafür verantwortlich, was ich fühle und wie ich damit umgehe.

Ich habe schon zu oft erlebt, wie jemand handelt, der glaubt, provoziert worden zu sein. Prügeln, Brüllen, Bilder von der Wand dreschen, eine Beziehung beenden, Dinge zerschlagen. Wenn ich das erlebe, wird mir eiskalt ums Herz, ich habe Angst, ich traue mich nicht, mich zu bewegen, etwas zu sagen. Ich bewege mich wie auf rohen Eiern. Ich hantiere mit einer scharfen Handgranate und ein „falscher“ Blick lässt sie hochgehen…

Welche Gefühle werden lebendig, wenn der Gedanke kommt, man werde provoziert?
Alarmiert
Aufgeregt
Betroffen
Durcheinander
Einsam
Empört
Geladen
Hasserfüllt
Hilflos
Ohnmächtig
Schockiert
Streitlustig
Überwältigt
Ungeduldig
Zornig

Besonders beim Gefühl „einsam“ ging ich in Resonanz, das rührte mich ganz tief an. Meine Vermutung, welche Bedürfnisse in mir unerfüllt sind, wenn ich denke, ich würde provoziert, beginne ich deshalb mit
Verbindung
Gesehen/gehört werden
Respekt
Verstehen
Leichtigkeit

In der Hamburger S-Bahn-Station Jungfernstieg hat ein 16-Jähriger einen 19-Jährigen erstochen, weil dieser zu ihm gesagt hatte, was ist los, Alter? Der 16-Jährige sagte, er habe sich provoziert gefühlt.
Was mag er gefühlt haben?
Was mag meine Mutter gefühlt haben, wenn sie mich schlug?
Was habe ich gefühlt, wenn ich meinen Sohn geschlagen habe?
Verzweiflung und Ohnmacht. So war das bei mir. Hilflosigkeit, Wut.
Und es war verbunden mit der Gewissheit: ich bin richtig, und du bist falsch.
Und wenn ich mein Richtig nicht durchsetzen kann, dann knallt es. Dann bist DU schuld, denn Du hast mich provoziert. Auch wenn es ein fünfjähriger Junge ist, der in einer fremden Atmosphäre nicht einfach essen will, was die fremde Frau kocht. Der vielleicht Sicherheit braucht und Einbezogen sein, der sich wünscht, dass seine Bedürfnisse genau so zählen wie die der anderen.

Was kann ich tun, wenn in meinem Gehirn nur hämmert: Provokation! Der will mich vorführen! Ich werde gemobbt!

Mir fällt nur die Giraffenhotline ein. Irgendjemanden anrufen, der mir einfühlsam zuhört und mir Empathie gibt. Und der mich auf dem Weg begleitet, bei mir zu bleiben, statt außer mir zu sein.

Mögt Ihr die Überlegungen ergänzen?

Provoziert – das macht mir Höllenangst.

Wortschätzchen: Verraten

Heute habe ich wieder eine richtige Bombe am Wickel. Verraten heißt das Wort, das mir dieser Tage über den Weg lief. Und dabei dachte ich nicht an die Bedeutung:

„Verrätst du mir, was ich zu Weihnachten kriege?“.

Vielmehr habe ich  über mein eigenes Verhalten nachgedacht und mich gefragt, ob es mit meinen Werten übereinstimmt oder ob ich eine Sache oder eine Person „verraten“ habe. Der Wolf hob nur einmal müde den Kopf.

Starten wir mit der Bibel. Judas hat Jesus verraten. Logischerweise war das etwas Schlimmes, denn so war Judas SCHULD am Tod von Jesus. Logisch, oder?
Wenn mich meine Bibelkenntnisse nicht im Stich lassen, ging es darum, dass die Obrigkeit nicht wusste, welcher aus dieser Horde von Langhaarigen nun der Messias war, und Judas hat es ihnen gesagt, für 50 Silberlinge. Genauer gesagt hat er Jesus geküsst und auf diese Weise seine Identität preisgegeben.

Wikipedia schreibt:

Während sich in den Paulusbriefen und anderen Episteln kein Hinweis auf Judas Ischariot findet, führen ihn alle Evangelien als Apostel ein und stellen seine Rolle in Jesu Passion heraus. Sein Name erscheint bei den Synoptikern (Markus, Matthäus, Lukas) erstmals jeweils in den Jüngerlisten, die die zwölf erstberufenen Jünger Jesu aufzählen. In Mk 3, 19 EU, dem Mt 10, 4 EU und Lk 6, 19 EU fast wörtlich folgen, wird nur beim Namen Judas sofort auf dessen künftige Rolle in der Passionsgeschichte Jesu hingewiesen: …der ihn später verriet.

Dieses Tun wird durchgängig mit dem griechischen Verb para-didomi benannt,[1] was allgemein „hingeben“, „übergeben“ bedeutet. Das Wort umfasst das Bedeutungsspektrum zwischen dem „Überliefern“ einer Sache (auch von Lehren), dem „Ausliefern“ von Personen an Gericht und Strafverfolgung bis hin zur „Preisgabe“ an die Feinde.[2] Moderne Bibelübersetzungen wie die Einheitsübersetzung und die 1984 revidierte Lutherbibel übersetzen den Ausdruck an den Stellen, die das Judashandeln erwähnen, meist mit „ausliefern“ oder „verraten“, die Elberfelder Bibel mit „überliefern“. Dabei geht es im jeweiligen Kontext um Jesu Übergabe an seine Richter, Feinde oder zur Hinrichtung. Die Evangelien stellen Judas also nicht als bloßen Vermittler einer unabhängig von ihm vollzogenen Tötungsprozedur, sondern als aktiven Initiator der Passionsgeschichte dar. Deshalb heben sie sein zukünftiges Handeln schon bei seiner Berufung hervor.

Nach der Jüngerberufung gehört Judas bei den Synoptikern jedoch ganz selbstverständlich zu denen, die Jesus als „Brüder“ anspricht (Mk 3, 34 EU) mit der Begründung: Alle, die Gottes Willen ausführten, seien seine nächsten Verwandten. Auch in der Aussendungsrede gehört Judas zu den Jüngern, von denen es heißt (Mk 6, 13 EU):

„Und sie gingen aus und predigten, man solle Buße tun, und trieben viele böse Geister aus und salbten viele Kranke mit Öl und machten sie gesund.“

Er wird auch in der weiteren Darstellung nirgends als einer der Jünger hervorgehoben, die Zweifel äußerten oder Fragen an Jesu Sendung stellten.

Erst nach dem Tötungsplan der Tempelpriester und Schriftlehrer (Mk 14, 1f EU), das heißt, der im Sanhedrin vertretenen jüdischen Führungsgruppen, wird Judas als der genannt, der Jesus an diese seine Feinde verraten habe, wofür sie ihm Geld versprochen hätten (Mk 14, 10f EU). Das Matthäusevangelium führt diese Notiz weiter aus. Nach Mt 26, 15 EU soll Judas unmittelbar nach der Salbung in Bethanien die Hohenpriester aufgesucht und von sich aus um Lohn für seinen Verrat ersucht haben: Was wollt ihr mir geben? Ich will ihn euch verraten. Daraufhin hätten sie ihm 30 Denare – etwa den damaligen Monatslohn eines Handwerkers – dafür angeboten. Dies habe ihn motiviert, eine Gelegenheit für den Verrat zu suchen. So erscheinen die Jerusalemer Sadduzäer bei Matthäus als Hauptgegner Jesu.

Das Lukasevangelium gibt dagegen als Grund für Judas‘ Handeln an, dass der Satan von ihm Besitz ergriffen habe (Lk 22, 3 EU). Wie bei Markus bieten auch bei Lukas die Hohenpriester eine Bezahlung für die Dienste des Judas an, ohne dass er dies verlangt hätte.

Im Bericht vom letzten Mahl (Mk 14, 12-26 EU) kündigt Jesus selbst an, dass einer seiner Tischgäste den Verrat begehen werde, ohne Judas beim Namen zu nennen. Er weist dabei in Gegenwart aller Jünger auf Gottes Vorherbestimmung seines wie des Verräters Weges hin:

„Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird. Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre.“

Judas verkörpert demnach die Möglichkeit des Verrats inmitten der Jüngerschar, die Jesus angesichts seiner Festnahme verließen und wie Petrus verleugneten. Aber Jesu Austeilung von Brot und Wein gibt ihnen allen, auch Judas, vorweg Anteil an Jesu Lebenshingabe, die nach Mt 26, 28 EU und 1_Kor 15, 3 EU Sündenvergebung beinhaltet: Und sie tranken alle daraus, nämlich aus dem Kelch, den Jesus als „Blut des neuen Bundes“ deutete (v. 23).
Cappella degli Scrovegni (Padua): Der Judaskuss von Giotto

Danach führte Judas nach allen Evangelien die jüdische Tempelwache und römische Soldatenschar zu Jesu Aufenthaltsort im Garten Gethsemane und identifizierte ihn für sie mit einem Kuss. Nach Mt 27, 3ff EU soll er seine Tat später bereut haben, darüber verzweifelt sein und sich nach Jesu Verurteilung erhängt haben. Apg 1, 18 EU zufolge barst er mitten entzwei, und alle seine Eingeweide traten heraus.

Also: ein Mensch, der einen anderen verrät, ist schlecht und böse.
Ein Verräter ist jemand, der ein Geheimnis nicht bewahren kann. Ein Verräter ist jemand, der seinen eigenen Interessen eine höhere Priorität einräumt als dem Gemeinwohl.

Jetzt wenden wir uns einer spannenden Frage zu.

Welche Gefühle sind in einem Menschen lebendig, der glaubt: du hast mich verraten!

Ich vermute, der Mensch spürt Schmerz, Verzweiflung, Angst, Hilflosigkeit und Ohnmacht.

Ein Blick auf meine schlaue Liste und ich ergänze:

angstvoll

ausgelaugt

beklommen

bestürzt

bitter

durcheinander

elend

erschüttert

erstarrt

furchtsam

in Panik

mutlos

traurig

schockiert

sorgenvoll

überwältigt

verzweifelt

und die Bedürfnisse, die vermutlich im Mangel sind, sind:

Sicherheit

Schutz

Autonomie (ich möchte selbst entscheiden, wer was über mich weiß)

Integrität

Ehrlichkeit

Zugehörigkeit

Unterstützung

Wertschätzung

Respekt

Vertrauen

Leichtigkeit (ich möchte nicht lange abwägen, wem ich vertrauen kann…)

Ja, so geht es mir vermutlich, wenn ich den Gedanken habe, ich sei verraten worden. Irgendwie hat „verraten“ auf diesem Weg ein bisschen den Stachel verloren. Es schmerzt noch immer, aber die Gefühle haben sich verändert.

Vielleicht mag jemand ergänzen, was vielleicht in  demjenigen lebendig ist, der mit seinem Verhalten der Auslöser für so eine Bewertung war?

Ich möchte gerade an dieser Stelle noch einmal sagen, wie viel Freude mir die Wortschätzchen machen, und dass ich hoffe, dass sie Euch auch etwas bringen. Mir tut es so gut, Worte mit einer Bewertung in Gefühle und Bedürfnisse zu übersetzen. Ich werde im Alltag munter dafür, wenn Bewertungen unterwegs sind, und ich übe, sie zu übersetzen.

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