Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

In den schönen Absichten gesehen werden

„Das Ziel des Dialogs ist nicht Unterwerfung und Sieg, auch nicht Selbstbehauptung um jeden Preis, sondern gemeinsame Arbeit in der Methode und in der Sache“.
Richard von Weizsäcker, Geschichte, Politik und Nation. Ansprache des Bundespräsidenten auf dem Weltkongress der Historiker in Stuttgart 1985

Vor einem Jahr habe ich eine einwöchige Kreuzfahrt gemacht, die mir eine Fülle von Bedürfnissen befriedigte: Leichtigkeit, Entspannung, Schönheit, Wärme (im Januar um die Kanaren), Selbstständigkeit, Autonomie, Spiel, Wertschätzung meiner selbst, Harmonie, Berührung und Begeisterung fallen mir dabei spontan ein. Später im Jahr sprach ich mit meinen Eltern, die aus gesundheitlichen Gründen schon lange keinen Urlaub mehr gemacht haben. Ich erzählte, dass auf dem Schiff aus diverse Rollstuhlfahrer unterwegs waren, schwärmte von den tollen Möglichkeiten an Bord und der Ruhe, wenn die Mitreisenden auf Landausflug sind. Und ich fragte sie, ob wir nicht einmal zusammen eine Kreuzfahrt unternehmen wollten, zum Beispiel ab Hamburg nach Norwegen und zurück nach Hamburg. Die Kreuzfahrt erschien mir dabei als eine mögliche Strategie, ihnen einen unkomplizierten Urlaub zu ermöglichen, ich wollte Unterstützung, Gemeinschaft, Nähe, auch ein Stück weit Autonomie für die beiden, Leichtigkeit, Begeisterung, Abwechslung und Schönheit in ihr Leben bringen.
Die Reaktion haute mich komplett aus den Puschen. Es gab eine Kanonade an Urteilen, warum eine Kreuzfahrt unter keinen Umständen der geeignete Urlaub für die beiden wäre. Angefangen von der komplizierten Anreise per Flugzeug (der Hamburger Hafen ist 60 Autominuten von meinen Eltern entfernt), den engen Kabinen, in denen man sich nicht bewegen könne, die Hitze (in Norwegen?) und die Menschenmassen, denen man ständig ausgesetzt sei, und die festgelegten Essenszeiten in Gala-Kleidung.
Zum einen frustrierte es mich, dass hier mit Argumenten hantiert wurde, die nicht stimmten (zum Beispiel die Anreise), und dass Gründe angeführt wurden, die einfach auf mangelnder Sachkenntnis (Kabinengröße, Essenszeiten etc.) beruhten.
Ich habe dann auf Empathiemodus geschaltet und zurückgemeldet, was bei mir angekommen ist. Damit war das Thema für mich erledigt.
Dieser Tage machte mein Vater in ganz anderem Zusammenhang die Bemerkung, „und das ist ja auch der Grund, warum wir keine Kreuzfahrt machen“, und sofort war es wieder da, das bittere Gefühl. Diesmal spürte ich ihm länger nach und stellte dabei fest, dass ein wichtiges Bedürfnis von mir im ganzen Dialog zu diesem Thema komplett unerfüllt geblieben war: Das Bedürfnis, in meinen schönen Absichten gesehen zu werden. Was für wundervolle Bedürfnisse wollte ich ihnen gern erfüllen! Kein Problem, wenn sie die Strategie (Kreuzfahrt) nicht mögen. Aber mir hätte es verdammt gut getan, wenn sie einmal gesagt hätten, oh, wie schön, dass du mit uns in den Urlaub fahren würdest, um es für uns leichter zu machen… Wie nett von Dir, dass du uns ein bisschen Abwechslung ermöglichen möchtest. Anscheinend ist das ein wichtiges Thema: in meinen schönen Absichten gesehen zu werden. Ich kann die Absicht meines Gegenübers wertschätzen und würdigen, ohne die vorgeschlagene Strategie für mich anzunehmen. Damit stärke ich die Verbindung, ohne meine Autonomie oder meine Werte aufzugeben.
Wenn ich heute in einen Dialog trete, will ich mir bewusst machen, welche schönen Absichten sich mein Gegenüber mit seinen Anregungen erfüllen möchte und will sie wertschätzen.

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