Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Dankbarkeit: 29. Dezember 2015

Hallo, Welt!
Heute bin ich in Kontakt mit meiner Angst gekommen.
Für heute Abend war ein Telefonat verabredet, und ab ca. 11 Uhr habe ich gemerkt, wie mein Gehirn unangenehme Gedanken produzierte. Zum Glück war ich gegen Mittag mit einer GFK-Kollegin zu einem Austausch verabredet. Im Gespräch mit ihr wurde mir ganz deutlich, dass meine Angst nicht in 2015 begründet war. Es war eine alte Kinderangst, dass ich jetzt nicht mehr lieb gehabt werde, weil ich mich nicht so verhalte, wie andere Menschen das gern wollen. Ich konnte es wirklich körperlich spüren. Mir war eng in der Brust, etwas stand mir vor dem Magen, in einer Dauerschleife wurden mir vom Gehirn Horrorszenarien angeboten.

Ich habe dann versucht, die Person zu erreichen, doch niemand ging ans Telefon. Weil ein anderes Telefonat länger dauerte als geplant, schrieb ich eine SMS an die Person: Jetzt dauert es doch noch ein paar Minuten. Die Antwort lautete: „Ich habe deinen Anruf vorhin verpasst. Lass dir Zeit und ruf einfach durch, ich bin erreichbar“.

Lasten fielen von meinen Schultern. Da war Verbindung, Gesehen werden, Wertschätzung, Respekt! Und genau so verlief das Gespräch. Zwar waren die Inhalte nicht durchgehend erfreulich, aber der Austausch war wertschätzend, mit gegenseitigem Zuhören und der Suche nach einer gemeinsamen Lösung. Und dafür bin ich unglaublich dankbar.

Spannend finde ich, dass ich die Kinderangst so genau wahrnehmen und einordnen konnte. Vor zehn Jahren wäre ich dazu sicher nicht in der Lage gewesen. Die Trennung zwischen „ich fühle etwas“ und „ich handele oder unterlasse“ begeistert mich total. Ich bin nicht mehr getrieben. (Jedenfalls nicht mehr so oft …). Ende der Neunziger schrieb ich an einen Freund, dass ich mich als ein von Gefühlen geschütteltes Wesen wahrnehme. Das ist heute nicht mehr der Fall. Ich las dazu heute Mittag einen interessanten Aufsatz von Schulz von Thun zum Thema Authentizität. Dabei beschrieb er unter anderem, wie man bewusst entscheidet, welchen Teil des inneren Teams man zum Ausdruck bringt. Zitat:

„Die achtsame Selbsterkundung der inneren Pluralität ist ein wesentliches Ziel und ein wesentlicher Prozess in Therapie und Selbstefahrungskontexten. … Wer sich selbst versteht, kommuniziert besser. Diese Erkenntnis bedeutet aber nicht, dass die Früchte der Selbsterkundung alle auf den Markt gehören. In der Therapie ja, denn das Ansprechen und In-Worte-Fassen dessen, was mir bewusst geworden ist, gehört hier zum heilsamen Prozess der Selbstwerdung. Hier steht die Schule der Authentizität. Im Leben aber kommt es nicht nur und oftmals nicht vorrangig darauf an, sich selbst unverfälscht zum Ausdruck zu bringen. Nicht jede Situation lädt zur Selbstoffenbarung ein, im Gegenteil, das kann schwer „daneben“ sein!“

Schulz von Thun bricht eine Lanze für „Stimmigkeit“, die eben mehr ist als das authentische Herausplärren von Gefühlen und Bedürfnissen. Vielmehr berücksichtige auch auch die Situation, den Kontext, mein Gegenüber. Und da habe ich beim Lesen weise genickt und mich dankbar an meinen Wachstumsschritten gefreut.

Apropos lesen …! Dankbar bin ich auch dem Optiker, der gestern meine Brille wieder hingebogen hat. Das hatte ich schon ganz vergessen. Sie war mir bei der Inventur runtergefallen und ich bin auch gleich noch draufgetreten … der Bügel stand in sehr kranker Weise ab. Aber jetzt nicht mehr. Die schlechte Nachricht: Sie ist auf, das Material ist ermüdet, die Gläser zerkratzt. Zeit für etwas Neues. Ich werde eine Freundin fragen, ob sie mich zum Brillenkauf begleitet, denn die gleiche gibt es nicht mehr. Wie schade!

Zum Thema Dankbarkeit stoplerte ich eben über diesen Film.

Der junge Mann beschreibt, wie er vor 15 Jahren eine Gitarre geschenkt bekam. Er wollte Musiker werden, aber in seinem Umfeld fand er dafür keine Unterstützung, und schon gar kein Instrument. daraufhin schrieb er 20 Leute bei Ebay an, die eine Gitarre verkaufen wollten, und teilte ihnen mit, dass er Musiker werden wolle und ein Instrument suche. Ob sie ihm die angebotene Gitarre schenken würden, wenn sie sie nicht verkauften? 18 Anbieter reagierten überhaupt nicht, einer schrieb zurück, er werde es sich überlegen. Und einer antwortete, er werde ihm die Gitarre schicken, es sei sein Hanukkah-Geschenk (Wikipedia: Chanukka (חנוכה, [xanʊˈkaː] Chanukka?/i ; dt.: „Weihung, Einweihung“; Schreibweisen: Chanukkah, Hanukkah oder Lichterfest) ist ein acht Tage dauerndes, jährlich gefeiertes jüdisches Fest zum Gedenken an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels (des Serubbabelischen Tempels) in Jerusalem im Jahr 164 v. Chr. Es beginnt am 25. Tag des Monats Kislew (November/Dezember). Tatsächlich gab der Spender eine Menge Geld aus, um die Gitarre von den USA nach Israel zu schicken. Heute ist der Empfänger ein erfolgreicher Profi-Musiker. Er möchte sich gern bei dem Menschen bedanken, der einst sein Leben veränderte, indem er ihm eine Gitarre schenkte. Ist das nicht wunderbar?

So long!

Ysabelle

2 Reaktionen zu “Dankbarkeit: 29. Dezember 2015”

  1. Dorothee

    Danke für diesen inspirierenden Blog zur Dankbarkeit…
    Bitte mehr von dir…
    Wie arbeitest du mit den Flüchtlingen?
    Wie gehst du mit Problemen in der Beziehung um?

    Weisst du, dass du sehr wichtig für mich geworden bist,
    dass du mein Leben bereicherst?
    Dorothee

  2. Ysabelle Wolfe

    Hi, Dorothee,
    danke für Deine Rückmeldung. Ich sage gleich was zum Thema Flüchtlinge. Aktuell ist gerade sehr viel zu tun, deshalb schaffe ich es wieder mal nur sporadisch, hier etwas zu schreiben. Seltener als mir lieb ist :-/
    Gruß, Ysabelle

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