Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Vergebung

„Als Gott mir vergeben hat, dachte ich mir, ich sollte das vielleicht auch tun.“
Johnny Cash, im Interview mit Kurt Loder, MTV, August 2003, drei Wochen vor seinem Tod, mtv.com.

Heute tauschte ich mich mit jemandem aus, der sagte, „ich habe das Bedürfnis nach Vergebung“.
Spontan dachte ich, das sei ein Wortschätzchen. Was fühlt jemand, der von sich sagt, er brauche Vergebung? Ich vermute, derjenige spürt Schmerz, Einsamkeit und Scham. Er ist vielleicht bedrückt oder beklommen, besorgt, mutlos, schwer, sorgenvoll, unter Druck und unbehaglich. Und die unerfüllten Bedürfnisse könnten nach Verbindung, Zugehörigkeit, Vertrauen, Gesehen/gehört werden, Verständnis, Verstehen, Leichtigkeit, Ritual, Harmonie und Spiritualität sein.
Doch dann merkte ich, dass es damit noch etwas anderes auf sich hat.

Vergebung – das glaube ich zu brauchen, wenn ich etwas FALSCH gemacht habe. Wenn ich etwas getan oder unterlassen habe, von dem ich zu der Bewertung komme, dass ich es besser nicht getan hätte.
Das genau ist aber die Crux. Hätte, sollte, wollte, könnte – da bin ich in Nimmerland oder sonstwo, aber nicht im Hier und Jetzt. Dabei ist das Hier und Jetzt die einzige Zeit, die ich beeinflussen kann. Die Vergangenheit ist vorbei, ich kann sie nicht verändern. Welchen Nutzen hat es also, im Nachhinein Dinge als Richtig oder Falsch einzusortieren?
Was genau heißt eigentlich Vergebung?
Wenn Eltern ihrem „unartigen“ Kind vergeben, sind sie anschließend „wieder gut“. Im christlichen Sinn sind wir aufgefordert, unsere Sünden zu bereuen, Buße zu tun und gegebenenfalls Wiedergutmachung zu leisten, um wieder in Gnaden in den Schoß der Kirche oder der Gemeinde zurückkehren zu dürfen. Dann wird mir vergeben. Gleichzeitig heißt es in der christlichen Mythologie, Jesus sei gestorben, auf dass unsere Sünden vergeben seien. Da ist nicht mehr die Rede davon, dass wir dafür noch extra etwas leisten müssen.
Ich brauche Vergebung?
Mein Schicksal liegt dann komplett in den Händen anderer. Sie entscheiden, ob wir wieder „mitspielen“ dürfen oder nicht. Sie entscheiden nicht etwa nur über sich – mit wem SIE spielen wollen – sondern eben auch über uns, wenn wir glauben, ihre Vergebung zu brauchen.

Wenn ich also glaube, Vergebung zu brauchen, bin ich in einer Welt von Schuld und Sühne, von Richtig oder Falsch. Dann bin ich abhängig von dem was du tust oder von mir denkst. Ich räume dem anderen Macht über mich ein. Ich unterwerfe mich seinem Urteil, seiner Vergebung oder seiner Verdammnis.
Heute will ich mich so akzeptieren wie ich bin, Wenn ich mit meinem Verhalten anderen einen Schmerz zugefügt habe, mache ich mir bewusst: ich bin verantwortlich für mein Tun und mein Unterlassen. Was den anderen schmerzt, fällt nicht in meinen Vantwortungsbereich.

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