Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Beschwerden

Hallo, Welt!

Heute habe ich den halben Tag mit Beschwerden zugebracht. Es gab einen ganzen Stapel Briefe mit den verschiedensten Themen. Um eine Mail zu beantworten, habe ich zwei Stunden gebraucht. Kein Chef der Welt kann das für effizient halten, oder?
Wann immer ich es mit diesen Beschwerdebriefen und ähnlichen Schreiben von mir fremden Menschen zu tun habe, versuche ich nach dem gleichen Muster zu verfahren: Erst Einfühlung, dann Belehrung. Zum Einstieg ins Thema wiederhole ich praktisch, was die Leute geschrieben haben, ich entgifte es nur. Wenn sie uns alle für Idioten halten, die den Kopf nur auf den Schultern haben, um das Stroh nicht in der Hand zu halten, schreibe ich ihnen, dass sie vermutlich entrüstet oder frustriert, schockiert oder befremdet sind, weil ihnen … wichtig ist. Dann versuche ich ihnen für ihr Anliegen Empathie zu geben. Im hinteren Drittel des Briefes schließlich erläutere ich unsere schönen Absichten und frage die Leute schließlich, wie es ihnen mit der Antwort geht. Ich selbst bin mit dem Inhalt der Briefe meist hoch zufrieden. Es kommt praktisch nie eine weitere Nachfrage, aber ich merke, dass es mir ein Anliegen geworden ist, die Leute Ernst zu nehmen, die sich die Mühe machen zu schreiben.
Dieser Tage hatte ich ein Gespräch mit meiner Mutter. Sie hatte eine Beschwerde, war unzufrieden und sagte scharf, „ich dachte, das hätten wir geklärt“. Es hat mich einen Haufen Kraft gekostet, im Geiste an den Schrank zu gehen, die Giraffenohren rauszuholen und sie fest auf meine charmante Kurzhaarfrisur zu drücken. Bei manchen Menschen ist es mir so schwer, empathisch zuzuhören. Bei anderen kann ich Beschimpfungen aushalten und es belastet mich nicht. Bei manchen Menschen bringt mich schon der Tonfall in Not und bei anderem werde ich innerlich immer ruhiger und mitfühlender. Ich bin bereit, die Arbeit mit den Beschwerdebriefen als spirituelle Übung zu betrachten. Ich lerne immer besser zu hören: was brauchst Du und was brauche ich… Irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich mich nicht mehr verteidigen muss. Ich bin ganz sicher.

So long!

Ysabelle

2 Reaktionen zu “Beschwerden”

  1. Gabriel

    Hier eine alternative Sichtweise auf die Aussage „Kein Chef der Welt kann das für effizient halten“: So wie es für mich aussieht, sind Deine Antworten wirklich … nachhaltig. Wenn ich an Beschwerdebriefe denke, sehe ich vor meinem inneren Auge Menschen, die vielleicht ganz verzweifelt versuchen, gesehen und gehört zu werden. Dieses Bedürfnis erfüllst Du ihnen. Vor meinem innere Auge sehe ich auch die potenziellen Folgen des dauerhaften nicht-gesehen-werdens: Entrüstete Artikel in der Presse, Jahrelang mit viel Elan ausgefochtene teure Gerichtsprozesse, am Ende vielleicht sogar ein Amoklauf. All das kommt zwar nicht häufig vor, aber wenn, dann kostet es viel Geld. Ohne genaue Zahlen, Fakten und Wahrscheinlichkeiten kann ich natürlich nicht berechnen, ob sich deine E-Mail aus betriebswirtschaftlicher Sicht „lohnt“. Aber für diese Herangehensweise finde ich im Moment nur die Verurteilungen „zynisch“ und „menschenverachtend“ und es macht mich ganz traurig, wenn ich mir vorstelle, dass es Menschen gibt, die so denken und handeln. Jeder Chef, der die Firma als Teil eines größeren Ganzen, als eine Zelle eines „gesellschaftlichen Organismus“ sieht, der würde dich für Deine gute Arbeit beglückwünschen. Und ich bin mir sehr sicher, dass es da draußen auch solche Chefs gibt …

  2. Ysabelle Wolfe

    Moin, Gabriel,
    ich wusste in dem Moment, in dem die Buchstaben aus der Tastatur perlten, dass etwas mit dem Satz nicht stimmte. Byron Katie meldete sich mit „ist das wirklich wahr?“, und ich wusste, dass das nicht wahr ist. Von Katie profitiere ich wirklich ungeheuerlich. Ich habe übrigens am nächsten Tag direkt meinen Boss auf diese spezielle Mail, bei der ich ihn BCC gesetzt hatte, angesprochen. Seine Reaktion war sinngemäß, der Kunde hat ein Rad ab, aber das können wir ihm ja schlecht zurückschreiben. So gesehen ist das eine gute Lösung…

    Hm. Btter than a poke in the eye with a burned stick.

    So long!
    Y.

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