Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Wortschätzchen: Wehleidig

Männer [sind] zwar sprachlich oft Kraftmeier, aber in ihrem Inneren sensibel und vor allem wehleidig; sie möchten, dass jeder merkt, wenn es ihnen schlecht geht.
Aus Wiktionary, dem freien Wörterbuch

Was für ein Wort! Wer hat es doch gleich gestern benutzt? Ich fand es so phänomenal, dass ich es gleich aufgeschrieben habe, um nicht zu vergessen, daraus ein Wortschätzchen zu machen. Ich glaube, es war mein Auszubildender, der sich darüber äußerte, er sei wie so viele Männer wehleidig. Das riecht für mich nach Glaubenssatz und lohnt auf jeden Fall einen näheren Blick.

Wehleidig – damit ist eine Bewertung verbunden. Jemand erleidet einen Schmerz, eine Verletzung und zeigt mehr Leiden, als jemand anderes für angemessen hält. Vor meinem geistigen Auge erscheinen Witzfiguren von Männern, die angeblich „nur“ eine Erkältung haben, aber sich verhalten als sei es mindestens eine doppelte Lungenentzündung. Die nach einem Schnitt in den Finger ohnmächtig werden, weil sie kein Blut sehen können und denen im Kreisssaal schlecht wird.
Wehleidig – das sagen Menschen abfällig über andere um zum Ausdruck zu bringen, dass jene nicht so hart, belastbar, tough sind wie sie sein sollten. Welche Gefühle sind denn bei Menschen lebendig, die andere als wehleidig bezeichnen?
ärgerlich
vielleicht ängstlich. Mit ist unbehaglich, wenn du nicht so stark bist wir ich dich gern hätte
alarmiert
bestürzt
enttäuscht
ernüchtert
genervt
perplex
sauer
unbehaglich
verstört
und vielleicht noch manches andere.
Welche Bedürfnisse mögen im Mangel sein? Vielleicht
Schutz
Sicherheit
Ordnung
Selbstständigkeit
Kongruenz
Wertschätzung
Unterstützung
Geborgenheit
Leichtigkeit
und Klarheit?

Doch damit nicht genug! Welche Gefühle mögen denn in demjenigen lebendig sein, den der andere für wehleidig hält? Ich tippe auf
apathisch
ausgelaugt
einsam
durcheinander
elend/miserabel
erschöpft
genervt (von seinem ungewohnten Schwächezustand)
müde
schlapp
teilnahmslos
bitter
verstört
verzweifelt

Und die Bedürfnisse im Mangel könnten sein
Schutz
Gesehen/gehört werden
Selbstvertrauen
Wertschätzung – mit dir ist alles in Ordnung, auch wenn du krank bist
Unterstützung
Nähe
Verständnis
Und vielleicht so etwas wie Ritual oder Spiritualität.
Wenn ich mir ins Bewusstsein rufe, wie es dem anderen geht, kann ich ihn nicht mehr als wehleidig bezeichnen. Aber ich kann feststellen, dass ICH ganz offensichtlich etwas brauche, wenn ich so über den anderen – oder mich selbst – urteile.

Was meint Ihr dazu?
Ysabelle

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