Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Wortschätzchen: Toleranz

„Die Toleranz ist eine Übung und ein Sieg über sich selbst.“
Albert Memmi, Exercice du bonheur

Das Wort Toleranz hat lateinische Wurzeln und wird von tolerare, erdulden, abgeleitet. In der Bedeutung von duldsam oder nachsichtig ist es seit dem 18. Jahrhundert belegt. Aber schon im 16. Jahrhundert wurde es in Bezug auf die Religionsausübung angewandt. Obwohl ein Herrscher sich einer bestimmten Glaubensrichtung zugehörig fühlt, erlaubt er als Katholik etwa die Ausübung der jüdischen Religion in seinem Reich.
Interessanterweise diente die Ausübung von Toleranz auch zur Abschottung von Gruppen. Indem man sich tolerant zeigte, brauchte man sich über Integration keine Gedanken zu machen. „Wir lassen die anderen ja wie sie sind, das ist doch eine großzügige Haltung von uns.“
Zwar bietet damit eine ausgeübte Toleranz der Minderheit die Gewissheit, so sein zu dürfen und nach den Werten zu leben, die ihr richtig erscheint. Eine Eintrittskarte in bestehende Herrschaftssysteme bekommt sie aber nicht.
Ich bin gerade ganz erschrocken festzustellen, dass Toleranz geradezu ein Mittel zur Ausgrenzung sein kann. Über diesen Aspekt hatte ich bisher noch nie nachgedacht. Mir fallen dabei meine türkischen Nachbarn ein. Sie feiern ihre Feste und sprechen ihre Sprache. Letztlich habe ich keine Ahnung, was sie bewegt, und da ich sie auch nicht zu mir einlade oder nachfrage, was es mit bestimmten Dingen auf sich hat, kommt es nicht zu einer Verbindung.
Im Klartext kann das bedeuten: Toleranz und Gewaltfreie Kommunikation können sich ausschließen, wenn es nicht in einem tieferen Sinne um Verbindung geht.
Welche Gefühle mögen nun in jemandem lebendig sein, der sagt: „Da ist meine Toleranz am Ende“? Ich tippe auf
aufgeregt
ärgerlich
bitter
einsam
empört
entrüstet
ernüchtert
erschreckt
genervt
vielleicht sogar hasserfüllt
hilflos
in Panik
kalt
perplex
sauer
streitlustig
unbehaglich
unzufrieden
widerwillig
zornig

Ich vermute, es kommt ein wenig auf die Situation an. Wenn ich sehe, wie jemand sein Kind am Arm hinter sich her zieht, ist meine Toleranz in Sachen Kindererziehung am Ende, ich bin aber deshalb nicht hasserfüllt oder in Panik. Wäre ich Augenzeuge einer Steinigung, wie sie ja wohl im Irak kurz bevorsteht, wäre ich mit Sicherheit in Panik, aber ich wäre nicht kalt oder unzufrieden. Vielleicht habe ich auch das eine oder andere nicht gefunden, was einer von Euch in so einer Situation empfindet.

Was für Bedürfnisse sind im Mangel, wenn jemand sagt, „da hat meine Toleranz ein Ende“?
Verbindung
Autonomie
vielleicht Respekt vor der eigenen Weltanschauung o.ä.
Sicherheit
Schutz
Ordnung
Vielleicht Anregung
Sinnhaftigkeit
Integrität
Zugehörigkeit
Ausgleich
Gesehen/gehört werden.

Hier wird der Boden ganz schwankend. Ich würde da doch lieber auf eine einzelne Situation schauen, statt allgemeine Bedürfnisse zu vermuten.

Der Kollege, mit dem ich heute gearbeitet habe, erzählte, in Köln gebe es das Sprichwort, Toleranz kommt von Tellerrand, da muss man nicht drübergucken. Und Karl Popper schrieb die Worte: „Im Namen der Toleranz sollten wir uns das Recht vorbehalten, die Intoleranz nicht zu tolerieren.“ Was für ein spannender Gedanke!

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