Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Fremdschämen

Hallo, Welt!
In letzter Zeit sind mir wieder so viele Situationen untergekommen, in denen ich dachte, „das wäre jetzt was für den Blog“, aber bis ich an den Rechner kam, gab es schon wieder so viele neue Impulse, dass ich dann doch nicht zum Schreiben kam. Heute habe ich dann mit schiefem Grinsen quittiert, dass es mal wieder höchste Zeit ist. Der Auslöser war … Fontane.

Mein Pudel ist jetzt 15 Monate alt und voll in der Pubertät. Anders als sein Bruder ist er nicht kastriert. Bei seiner großen Operation haben die Ärzte davon abgesehen, der verbliebene Hoden sorgt dafür, dass das umliegende Gewebe einigermaßen straff bleibt.

Das führt nun dazu, dass er Hundedamen jeglichen Alters sehr, sehr spannend findet. Überhaupt ist er ziemlich aufdringlich. Ständig versucht er aufzureiten und bedrängt auch andere Hunde, die sich nicht klar positionieren.

Heute nun hat die Trainerin eine „Schocktherapie“ angekündigt. Als Fontane wieder eine sehr schüchterne Hündin bedrängte, holte sie einen Pappbecher mit Wasser und kippte ihm den mit Schwung ins Gesicht. Zumindest bei mir hat die Schocktherapie gewirkt. Ich bin noch immer geschockt. Das ist keine gewaltfreie Hundeerziehung. Denn in der gewaltfreien Hundeerziehung geht es immer und ausschließlich nur darum, erwünschtes Verhalten zu bestärken, aber nicht zu strafen bei unerwünschtem Verhalten.
Fontane war kurz irritiert, aber geschockt schien er mir nicht. Das habe ich dann ja für ihn erledigt.

Während er so drängte und den Mädels hinterher rannte und sich mit den anderen Hunden anlegte, wurde mir mehr und mehr unbehaglich. Ich konnte mir wie bei einem Fernsehfilm zuschauen, wie sich meine Stimmung veränderte. Mein Hund machte etwas, was „nicht gut“ war. Kaum hatte er beim Agility zwei Hindernisse genommen, büchste er wieder aus und rannte zu den Mädels. Mir war das peinlich. Und ich erinnerte mich an diverse andere Situationen in meinem Leben, in denen ich mich fremdgeschämt habe, also Scham empfunden, weil andere sich nicht so verhielten, wie dritte es für richtig hielten.

Zunächst fielen mir da die endlosen Besuche in der Schule meines Sohnes ein. Er hatte dies gemacht, er hatte das gemacht. Einmal sagte ich am Telefon, „dann müssen Sie jemandem mit dem Daktari-Gewehr holen, ich bin in Hamburg bei der Arbeit und kann einfach nicht in zehn Minuten bei Ihnen sein.“

Wenn ich richtig tief in meiner Erinnerung grabe, dann habe ich mich auch für meine Mutter geschämt, die eine Zeit lang (vor 50 Jahren) ziemlich viel getrunken hatte und sich dann in der Kneipe weniger als wundervoll benahm.
Ich erinnere mich auch an Situationen, in denen ich mich für meinen Partner geschämt habe. Zum Beispiel, weil er sich nicht für ein Geschenk bedankt hatte, und der Schenkende jetzt gekränkt war. Oder weil mein Partner andere Menschen zuschwallte und überhaupt nicht merkte, dass diese mit dem Kopf ganz woanders waren. Meine Gefühle dabei: Unbehagen, Ängstlichkeit, Scham, Sorge und manchmal sogar Ärger. „Der/die blamiert mich“.

Bei Kind und Hund finde ich das noch immer ganz schwierig. Ja, es sind eigenständige Wesen, ein zwölfjähriger Junge kann vielleicht seine Affekte ebenso wenig steuern wie ein 15-monatiger Hund. Ich kämpfe also mit dem alten Glaubenssatz, dass ich für das Verhalten anderer Menschen verantwortlich bin. In diesem konkreten Fall auch für das Verhalten meines Hundes. Als ich dann vom Hundeplatz schlich, war ich echt genervt von mir. Neun Jahre Einzel- und Gruppentherapie und elf Jahre GFK und noch immer machen mir diese alten Muster zu schaffen. Es ist zum Mäusemelken. Die Trainerin meinte dazu nur abschließend: Jeder kriegt den Hund, den er verdient. (Da habe ich ja Glück, so einen wunderbaren Hund zu verdienen …)

Vielleicht gelingt es mir ja doch irgendwann, dieses Fremdschämen loszulassen … Es wird Zeit!
So long!
Ysabelle

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